So sehen die Parteipräsidenten das Verhältnis zur EU
«Die Schweiz muss raus aus der Schockstarre»

Die Beziehung der Schweiz zur Europäischen Union wird die politische Diskussion auch 2018 entscheidend prägen. Wie soll sich die Eidgenossenschaft verhalten, wie soll sie vorgehen? Die Parteipräsidenten der vier Bundesratsparteien nehmen im SonntagsBlick eine Standortbestimmung vor.
Publiziert: 31.12.2017 um 18:23 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 01:55 Uhr
SP- Chef Christian Levrat (47).
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SP-Chef Christian Levrat (47): «Die Schweiz muss raus aus der Schockstarre»

Am 1. November hat der von der SVP in den Bundesrat gehievte Ignazio Cassis sein Amt als Aussenminister angetreten. Nur zwei Monate später stehen wir vor einem Scherbenhaufen: Das Verhältnis zur EU ist schlechter denn je, die bürgerlichen Bundesräte widersprechen sich gegenseitig und Aussenminister Cassis ist weiterhin auf Tauchstation.

Ich fordere darum Ignazio Cassis auf, das Ruder endlich in die Hand zu nehmen und die Verhandlungen mit der EU über ein institutionelles Rahmenabkommen voranzutreiben. Wir müssen raus aus der Schockstarre, die sich nach dem 9. Feb­ruar 2014 über die Europapolitik gelegt hat. Wir haben uns viel zu lange in Scheindebatten verheddert, jetzt braucht es Taten. Der Aussenminister soll das Abkommen mit der EU fertig verhandeln, damit wir eine ernsthafte innenpolitische Debatte auf der Basis von Fakten starten können. Man kann erst Ja oder Nein sagen, wenn die Bedingungen auf dem Tisch liegen. Denn zuweilen verstellen die Emotionen den nüchternen Blick – gerade in der Europapolitik.

Ich bleibe dabei: Stabile und freundschaftliche Beziehungen zu unseren Nachbarn sind im ureigensten Interesse der Schweiz. Das bringt uns Wohlstand, Jobs, Sicherheit und Anerkennung. Das gibt es nicht gratis. In der internationalen Politik werden keine Geschenke verteilt, Wohlstand und Sicherheit haben ­ihren Preis. Cassis muss das Abkommen mit der EU darum rasch verhandeln und vorlegen, damit die Bevölkerung entscheiden kann, ob der Preis angemessen ist.»

CVP-Präsident Gerhard Pfister.
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CVP-Präsident Gerhard Pfister (55): «Wir akzeptieren keine fremden Richter»

Die Schweiz ist ein freies und souveränes Land mitten in Europa. Sie ist nicht Mitglied der EU, und soll das auch bleiben. Sie hat ein vitales Interesse an guten Beziehungen mit ihren Nachbarn, wirtschaftlich, sicherheitspolitisch und in der Migrationsproblematik. Die bilateralen Verträge sichern diese Beziehungen. Der Bundesrat hat die Interessen der Schweiz gegenüber der EU selbstbewusst, einheitlich und pragmatisch zu vertreten. Ein Rahmenabkommen, das die Souveränität der Schweiz mit fremden Richtern beschränkt, ist für die CVP nicht akzeptabel.

Zudem muss es nicht nur der EU nützen, sondern auch uns. Der bilaterale Weg ist gegenüber den Angriffen von rechts und links zu verteidigen. Er wurde vom Volk mehrfach bestätigt. Die CVP wird der Kohä­sionsmilliarde nur dann zustimmen, wenn sie im Interesse der Schweiz ist. Die EU darf nicht einseitig die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz schwächen, ohne zu wissen, dass sie sich damit selbst schadet. Die Uneinigkeit im Bundesrat, wie man mit der EU verhandeln soll, hat der Schweiz geschadet. Ich setze grosse Hoffnungen auf den neuen Aussenminister, dass er die Regierung wieder einen kann, um die Schweiz mit einer Stimme gegenüber der EU zu vertreten. Der bilaterale Weg ist der richtige für die Schweiz. Diesen verteidigt die CVP auch im kommenden Jahr. Damit die Schweiz frei und souverän bleibt.»

FDP-Präsidentin Petra Gössi.
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FDP-Chefin Petra Gössi (41): «Selbstprofilierung von Konservativen und Sozialisten»

Die EU ist der wichtigste wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Partner unseres Landes. Die bilateralen Verträge haben uns nach der Flaute der 90er-Jahre Wohlstand gebracht, von dem wir Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen profitieren.

Die FDP hat sich immer für diesen Königsweg eingesetzt. Eine Abschottung nach Vorstellung der Konservativen kommt nicht in Frage – verlieren würde etwa, wer Produkte in die EU verkaufen möchte, wer gerne reist oder wer sich an unseren wettbewerbsfähigen Universitäten bilden will. Auch der EU-Beitritt nach Wunsch der Sozialisten ist keine Option – verlieren würde unsere direkte Demokratie.

Es wird aber immer deutlicher, dass wir ein neues Fundament für die Verträge brauchen. Dafür wollen wir eine selbstbewusste und zukunftsfähige Lösung, bei der sich die Schweiz und die EU als gleichberechtigte Partner begegnen. Die FDP will Rechts­sicherheit und Marktzugang.

Die Schweiz muss einen kühlen Kopf bewahren und mit Stärke verhandeln. Doch das ist heute wegen der ständigen Selbstprofilierung von Konservativen und Sozialisten kaum möglich. Statt innenpolitischer Zankereien braucht es einen gemeinsamen Plan und Einigkeit zwischen Bundesrat, Parlament, Wirtschaft, Bürgerinnen und Bürgern. Die EU hat ihrerseits die Blockadepolitik aufzugeben, wenn sie an guten Beziehungen interessiert ist. Die Schweiz muss 2018 zusammenstehen und mehrheitsfähige Lösungen finden, denn nur gemeinsam kommen wir weiter.»

SVP-Präsident Albert Rösti (49) «Kolonialvertrag untergräbt Selbstbestimmung»

SVP-Präsident Albert Rösti.
Foto: Daniel Kellenberger

Die EU will, dass die Schweiz EU-Recht automatisch übernimmt. In Streitigkeiten soll der Europäische Gerichtshof entscheiden. Bei Nichtbefolgung kann die EU gegenüber der Schweiz Strafmassnahmen treffen. Dieses vonseiten des EU-Kommissionspräsidenten als «Freundschaftsvertrag» bezeichnete Abkommen ist für die Schweiz ein Kolonialvertrag, der unsere Selbstbestimmung untergräbt. Ein solcher Vertrag käme praktisch einem EU-Beitritt gleich. Die Schweiz muss hier energisch Widerstand leisten, wollen wir nach Jahrhunderten der Unabhängigkeit und Freiheit unsere Selbstbestimmung nicht verlieren.

Diesbezüglich hat die bisherige Politik der Mehrheit des Bundesrats versagt. Die Schweiz hat gegenüber der EU nie ­einen Vertrag verletzt. Die Mehrheit des Parlaments hat gegen den Willen der SVP den Volksentscheid zur Steuerung der Zuwanderung aus Rücksicht auf die EU nicht umgesetzt. Zudem hat der Bundesrat der EU gar 1,3 Milliarden Franken ohne Gegenleistungen versprochen. Und nun verlangt die EU in erpresserischer Weise den raschen Abschluss des genannten Kolo­nialvertrags.

Nach diesem eklatanten Vertrauensbruch Junkers gegenüber Bern muss auch der Bundesrat den Spiess umdrehen und Klartext sprechen: 1. Die Schweiz wird niemals ­einen solchen Kolonialvertrag abschliessen; 2. Die 1300 Millionen Franken in den Osten und Süden der EU werden nicht bezahlt; 3. Die Stempelsteuer wird abgeschafft, womit wir unseren Finanzplatz eigenständig stärken.»

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