«Es wurde ziemlich schnell ziemlich grusig»: FDP-Nationalrätin Christa Markwalder (44, BE) erinnert sich, als ob es gestern gewesen wäre. Dabei ist es schon sechs Jahre her: Die nationalrätliche Rechtskommission diskutierte über einen Vorstoss zum Cybergrooming. Von Cybergrooming spricht man, wenn Erwachsene sich online an Kinder heranmachen, um sie schliesslich im realen Leben sexuell zu missbrauchen.
Noch während der Kommissionssitzung machte Markwalder die Probe aufs Exempel. Sie klinkte sich als «Christa14» in einen Chatroom für Teenager ein – und musste nicht lange auf die Nachrichten von Männern warten. «Es dauerte nur wenige Minuten, bis es mit anzüglichen Bemerkungen und direkten Anspielungen losging. Das hat mich wirklich erschreckt.»
Cybergrooming nimmt massiv zu
Die Kurzrecherche überzeugte die Kommission. Auch der Nationalrat stimmte dem Vorstoss zu. Doch der Ständerat stoppte das Ansinnen. Das geltende Gesetz sei ausreichend, so die Begründung. Bereits das «sexuell motivierte Chatten mit einem Kind zu bestrafen, ginge zu weit», hielt die ständerätliche Rechtskommission fest.
Doch mittlerweile hat das Cybergrooming-Phänomen massiv zugenommen. 2014 gaben in einer Umfrage 19 Prozent der Jugendlichen an, online von Fremden mit unerwünschten sexuellen Absichten kontaktiert worden zu sein. Letztes Jahr waren es bereits 30 Prozent (BLICK berichtete).
Viola Amherd reichte Vorstoss ein
Diese Entwicklung hat Bundesbern aufgeschreckt. Bundesrätin Viola Amherd (57) reichte letztes Jahr – damals noch Nationalrätin – eine parlamentarische Initiative ein. Der Titel: «Cybergrooming mit Minderjährigen endlich unter Strafe stellen».
Politiker von links bis rechts haben den Vorstoss mitunterzeichnet. So etwa die SP-Nationalrätinnen Nadine Masshardt (34, BE) und Flavia Wasserfallen (40, BE) oder die beiden SVP-Frauen Natalie Rickli (42, ZH) und Andrea Geissbühler (43, BE).
Online-Anmache als Offizialdelikt
Jetzt will auch die nationalrätliche Rechtskommission einen neuen Anlauf nehmen: Sie hat dem Vorstoss mit 17 zu sechs Stimmen bei einer Enthaltung zugestimmt. Zur Freude von CVP-Nationalrat Philipp Matthias Bregy (41, VS), der den Vorstoss von Amherd übernommen hat. «Sexuelle Belästigung in Schrift ist an sich nicht strafbar, diese Gesetzeslücke müssen wir zum Schutz von Kindern und Jugendlichen dringend schliessen», so Bregy.
Ein konkreter Formulierungsvorschlag liegt bereits vor. Bestraft würde demnach künftig auch, wer jemanden «in grober Weise mit Worten, Schriften oder mittels Informations- oder Kommunikationstechnologien» sexuell belästigt.
Ein wichtiger Punkt kommt für Bregy noch hinzu: «Sexuelle Belästigung ist heute ein Antragsdelikt, bei unter 16-jährigen Opfern muss es zum Offizialdelikt werden.» Mit einem eigenen Straftatbestand werde Klarheit geschaffen, so Bregy. «Das erleichtert auch die Arbeit der Ermittler.»
SVP-Rechtsprofessor mit im Boot
Der Druck ist gross, dass es nun vorwärts geht – und die Unterstützung ist breit. So befürwortet auch SVP-Nationalrat und Rechtsprofessor Hans-Ueli Vogt (49) den Vorstoss. «Ich bin zwar dagegen, dass man jede Form des Anbandelns mit möglichen sexuellen Hintergedanken unter Strafe stellt, sobald jemand – im Nachhinein! – sagt, er oder sie habe das alles nicht gewollt», meint er.
Beim Cybergrooming hingegen gehe es immer um Minderjährige. «Also bereits das Anbandeln zielt auf etwas Widerrechtliches ab», so Vogt. Mit der Unter-Strafe-Stellung werde die Strafbarkeitsschwelle etwas gesenkt. «Das scheint mir richtig.»
Bockt der Ständerat auch diesmal?
Als nächstes ist die Rechtskommission des Ständerats am Zug. Stimmt diese dem Vorstoss zu, kann der Nationalrat eine Gesetzesvorlage ausarbeiten. Bisher sind Anti-Cybergrooming jeweils an der Ständeratshürde gescheitert.
Doch Bregy ist zuversichtlich, dass sich diesmal auch der Ständerat hinter die Forderung stellt. Nicht ohne Grund: Nach den Wahlen präsidiert CVP-Ständerat Beat Rieder (56) die Kommission – wie Amherd und Bregy ein Walliser.