Serbiens Präsident Aleksandar Vucic will Serben und Albaner versöhnen
«Nur Esel ändern sich nicht»

Kaum im Amt, präsentiert Serbiens Präsident Aleksandar Vucic seine politische Agenda: Zuoberst steht eine friedliche und dauerhafte Lösung des Kosovo-Konflikts.
Publiziert: 30.07.2017 um 00:10 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 01:45 Uhr
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Er gilt als starker Mann auf dem Balkan: Serbiens Präsident Aleksandar Vucic.
Foto: Sabine Wunderlin
Interview: Sermîn Faki und Simon Marti

SonntagsBLICK: Herr Präsident, Sie sind seit Mai in Ihrem Amt. Wohin wollen Sie Ihr Land führen?
Aleksandar Vucic: Wir haben bewiesen, dass wir in der Lage sind, die schwierigsten ökonomischen ­Fragen anzupacken. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg hat Serbien einen Überschuss erwirtschaftet, Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldung sinken.

Das sind alles wirtschaftliche Errungenschaften ...
Und sie sind wichtig. Doch es gibt weitere Herausforderungen. Eine davon ist der Kosovo (seufzt), ein schmerzhaftes Thema für uns Serben.

In Ihrer Antrittsrede im Mai sagten Sie, dass sich Serbien von seinen histo­rischen Mythen lösen ­müsse.
Es ist einfach, zu sagen: Geht und kämpft für Kosovo! Doch das hat uns immer in den Krieg geführt. Ich will einen neuen Weg ­beschreiten – für Serbien. Ich will, dass wir offen und fair über eine Lösung des Kosovo-Konflikts reden. Auch wenn die Serben dazu noch nicht bereit sind: Ich werde nicht nachgeben. Denn diese Debatte wird für uns alle eine heilende Wirkung haben – egal, ob wir ein gutes Ergebnis erreichen oder scheitern.

Was wäre ein Scheitern?
Wenn nicht beide Seiten bereit sind, etwas zu verlieren, dann wird der Konflikt für ewig weitergehen. Das schadet beiden Seiten. Ich glaube, dass ich der richtige Mann für diese Aufgabe bin. Wissen Sie, warum? Ich war der jüngste Parlamentarier, danach der jüngste Minister und Premier und bin jetzt der jüngste Präsident. Ich habe keine persönlichen Ambitionen mehr.

Und was sind Sie bereit zu geben?
Wir diskutieren darüber nicht öffentlich. Wir sind bereit, einen guten Kompromiss zu finden und machen Fortschritte. Irgendwann muss der Konflikt gelöst werden, und es wäre besser, wir tun es heute als in 100 Jahren.

Etwa zehn Prozent aller Kosovo-Albaner leben in der Schweiz, ebenso wie etwa 100’000 Serben. Was können Sie diesen Leuten versprechen?
Ich weiss, dass Albaner und Serben hier in der Schweiz friedlich und gar als Freunde zusammenleben. Genau das muss uns in der Heimat auch gelingen.

Reden wir über den EU-Beitritt Serbiens. Sie haben von Brüssel einen klaren Zeitplan gefordert.
Ich wusste natürlich, dass ich den nicht bekomme. Dafür gibt es zwei Gründe: den Kosovo-Konflikt und unsere Beziehung zu Russland. Alles andere, das gegen uns vorgebracht wird, dient nur dazu, uns in diesen beiden Fragen unter Druck zu setzen.

Das heisst, die Kritik an der fehlenden Pressefreiheit und an der mangelnden Unabhängigkeit der Justiz ist nur vorgeschoben?
Nicht ausschliesslich, aber hauptsächlich, ja. Aber es gibt Probleme mit der serbischen Justiz. Nur ist es nicht deren fehlende Unabhängigkeit, sondern ihre Ineffizienz.

Ihre Premierministerin Ana Brnabic erklärte, dass wenn Serbien sich zu entscheiden hätte zwischen Russland und der EU, würde sie die EU wählen. Teilen Sie diese Meinung?
Ich weiss nicht, ob sie das gesagt hat. Wir haben unsere Entscheidung schon längst getroffen. Und die führt uns in die EU. Aber noch sind wir kein Mitglied und es ist meine Aufgabe, die bestmöglichen Beziehungen zu Russland zu pflegen.

Nun steht die EU aber mit Russland in einem Konflikt wegen der Krise in der Ukraine.
Wir haben die Krim nie als Teil Russlands anerkannt. In dieser Beziehung ist die Ukraine auch nicht das zentrale Thema, sondern unsere militärische Kooperation mit den Russen. Dabei führen wir viermal mehr Übungen mit der Nato oder der US-Armee durch als mit russischen Einheiten.

Die Flüchtlingskrise ab 2015 versetzte Europa in Aufruhr. Wie sieht die Lage heute in Serbien aus?
Viel besser. Aber wir waren nie jene, die sich lautstark beschwerten, selbst wenn die meisten Flüchtlinge durch unser Land reisten. Das war keine grosse Sache.

Keine grosse Sache?
Nein. Wir wissen, was es heisst, mit Flüchtlingen umzugehen. Im Jugoslawien-Krieg flohen 30 meiner Angehörigen nach Serbien. Mein Land fühlt mit den Syrern, die ihre Heimat verlassen. Das gilt natürlich nicht für die zehn Prozent rechtsextremen Verrückten, aber für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung.

Und wenn sich die Situa­tion doch wiederholt?
Dann werden wir uns gleich verhalten. Und sicher keine Zäune bauen.

Nun gelten Sie als der starke Mann auf dem Balkan. Bis hin zum Autoritären ...
Was ist die Bedeutung von autoritär? Von mir hängt kein Foto in den Verwaltungsbüros.

Dann sind Sie einfach weniger eitel als manche autoritären Führer.
Hören Sie, kein Präsident in unserer jüngeren Geschichte wurde in der Presse stärker angefeindet als ich. Ich stehe um sechs Uhr morgens auf und arbeite bis abends um zehn für mein Land. Ich bin einfach effizienter und leidenschaftlicher als meine Konkurrenten.

Nach Ihrer Wahl im April haben Tausende gegen Sie in den Strassen Belgrads demonstriert.
Das waren vielleicht 2000 bis 5000. Ist das viel?

Die Demonstranten fürchten, dass Sie das Land in eine Diktatur verwandeln.
Warum fürchten sie sich? Ist ihnen etwas passiert, als sie illegal demonstrierten?

Warum sollten Proteste illegal sein?
Weil man sie anmelden muss. Das taten die Organisatoren nicht. Dennoch ist ihnen nichts geschehen.

Das ist Ihre Antwort auf die Ängste der Opposition?
So funktioniert Demokratie! Niederlagen muss man akzeptieren. Ich habe das immer getan.

Wie lange wollen Sie im Amt bleiben?
Ich habe keinen Zweifel, dass ich die nächste Wahl gewinnen würde. Aber vielleicht trete ich nicht mehr an.

Sie wollen nicht erneut kandidieren?
Wir haben in den nächsten fünf Jahren genügend zu tun. Dann ist aber auch einmal Zeit, dass jemand anders die Arbeit übernimmt. Dann dürft ihr alle, die ihr so misstrauisch seid, erklären, dass ihr euch geirrt habt.

Vor genau zwei Jahren wurden Sie beim Besuch der Gedenkstätte von Srebrenica in Bosnien mit Steinen beworfen. Diese Menschen glauben nicht, dass Sie, ein ehemaliger Minister Milosevics, ein Mann der Versöhnung sind.
Nehmen Sie die Umfragen in Bosnien: Ich bin neben Putin der beliebteste ausländische Politiker in allen Landesteilen.

Aber Sie haben eine Vergangenheit ...
Ja, die habe ich, und ich verstecke sie nicht! Ich schäme mich nicht zu sagen: Ich habe mich geändert. Nur Esel ändern sich nicht. Ich bin stolz, dass ich jeden Tag dazulerne, und die Menschen glauben mir das.

Schämen Sie sich nicht für Ihre Vergangenheit?
Ich spielte keine grosse Rolle damals und kann nicht sagen, dass ich mich schäme. Aber ich analysiere meine Fehler. Ich bin noch immer ein stolzer Serbe, aber ich weiss heute, dass das Leben nicht darin besteht, irgendwo irgendeinen Felsen zu besitzen, sondern den Alltag der Menschen zu verbessern.

Der Proeuropäer

Seit Mai ist Aleksandar Vucic serbischer Präsident. Davor amtete der 47-Jährige als Ministerpräsident. Vucic steht für einen pointiert proeuropäischen Kurs: Sein erklärtes Ziel ist es, sein Land in die EU zu führen.

Einigung mit dem Kosovo

Gegen den starken Widerstand der Nationalisten will er zudem eine Einigung mit dem Kosovo erzielen. Die ehemals serbische Provinz spaltete sich in einem blutigen Krieg von Belgrad ab, Serbien erkennt den Staat bis heute nicht an.

Informationsminister

Vucic diente bis 2000 dem Kriegstreiber Slobodan ­Milosevic als ­Informationsminister. Heute distanziert er sich vom radikalen ­Nationalismus jener Tage. Die Opposition ­kritisiert ihn allerdings als Autokraten.

Aleksandar Vucic, serbischer Präsident.
Aleksandar Vucic, serbischer Präsident.
Sabine Wunderlin

Seit Mai ist Aleksandar Vucic serbischer Präsident. Davor amtete der 47-Jährige als Ministerpräsident. Vucic steht für einen pointiert proeuropäischen Kurs: Sein erklärtes Ziel ist es, sein Land in die EU zu führen.

Einigung mit dem Kosovo

Gegen den starken Widerstand der Nationalisten will er zudem eine Einigung mit dem Kosovo erzielen. Die ehemals serbische Provinz spaltete sich in einem blutigen Krieg von Belgrad ab, Serbien erkennt den Staat bis heute nicht an.

Informationsminister

Vucic diente bis 2000 dem Kriegstreiber Slobodan ­Milosevic als ­Informationsminister. Heute distanziert er sich vom radikalen ­Nationalismus jener Tage. Die Opposition ­kritisiert ihn allerdings als Autokraten.

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