Familie B.* freut sich: Endlich soll sie – die jungen Eltern und die vier Kinder – in eine andere Unterkunft kommen. «Packt zusammen, ihr zügelt an einen Ort, der geeignet ist für Familien», hatte man ihnen in der Asylunterkunft gesagt.
Doch am Dienstag vor zwei Wochen kamen nicht etwa Zügelhelfer, sondern Polizisten. Sie brachten die afghanische Familie zum Flughafen Zürich, wo sie in eine Maschine nach Oslo gesetzt werden sollte. Das Staatssekretariat für Migration hatte ihr Asylgesuch abgelehnt, weil Familie B. schon in Norwegen ein Gesuch gestellt hatte.
Die Eltern wehrten sich gegen ihre Ausschaffung. Sie fürchteten, nach Afghanistan zurückgeschickt zu werden. Denn Norwegen hatte ihr Asylgesuch abgelehnt und verfolgt eine sehr harte Ausschaffungspolitik. Bis Ende August wurden 246 Afghanen zurückgeschafft, darunter auch Familien, wie die norwegische Asylorganisation Noas bestätigt. Die Schweiz verzichtet hingegen darauf, Familien in das Bürgerkriegsland zu schicken.
Die Weigerung der Familie B. hatte fatale Folgen: Erst kamen alle für eine Nacht in die Strafanstalt Zug, dann wurde die Familie auseinandergerissen. Der Vater wird in der Strafanstalt Zug festgehalten, die Mutter sitzt mit dem vier Monate alten Baby Nila* im Flughafengefängnis Kloten. Die drei anderen Kinder – Amin* (3), Amira* (5) und Karim* (8) – wurden auf Geheiss der Zuger Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) in einem Heim fremdplatziert. Hier spricht niemand ihre Sprache, keiner kann den Kleinen erklären, dass ihre Eltern sie nicht etwa weggegeben haben. Sie sind verängstigt, verunsichert, verloren.
Kesb stand unter Druck
Und das völlig unnötig: Familie B. hat Verwandte in der Schweiz, darunter die Grossmutter der Kinder. Sie sind gut situiert und integriert. «Wir hätten die Kinder gern aufgenommen», sagt Cousine Mirjam Klöti. «Meine Eltern haben ein Haus. Sie sind pensioniert und hätten zu den Kleinen schauen können.» Es widerspreche dem Kindeswohl, dass die Behörden die Kinder in ein Heim steckten.
Das fand offenbar auch die Kesb. BLICK weiss, dass sie nicht selbst erwogen hat, die Kinder in ein Heim zu stecken. Erst auf Druck des Zuger Migrationsamts entriss die Behörde den Eltern ihre Kinder. «Bei einer allfälligen Unterbringung bei Verwandten hätte gemäss Migrationsamt die Gefahr des Untertauchens von einzelnen Kindern bestanden. Von daher konnten keine Verwandten berücksichtigt werden», bestätigt der stellvertretende Leiter Jörg Halter. Unter diesen Umständen habe man die bestmögliche Wahl zum Wohl der Kinder getroffen. So seien die drei älteren Kinder im gleichen Heim untergebracht worden.
Auch das Zuger Migrationsamt meint, alles richtig gemacht zu haben. Die Kantone hätten keinen Ermessensspielraum. Nach der gescheiterten Rückführung «wurden von uns jene Massnahmen eingeleitet, welche das Gesetz für solche Fälle vorsieht, unter grösstmöglicher Beachtung des Kindeswohls und Wahrung der Verhältnismässigkeit. Den Kindern geht es gut», so Chef Georg Blum.
Auch Amnesty International schaltet sich ein
«Den Kindern geht es nicht gut», widerspricht Mirjam Klöti. Sie darf die Kleinen nicht besuchen. Am Freitag konnten die Eltern nach neun Tagen erstmals mit ihren Kindern telefonieren. «Das Mädchen weint ununterbrochen und hat abends Angst, dass die Polizei ins Zimmer kommen könnte», berichtet Klöti.
Nun hat sich Amnesty International eingeschaltet. «Die Kesb ist verpflichtet, sich für die Rechte und das Wohl der Kinder einzusetzen», sagt Asylspezialistin Denise Graf. «Stattdessen hat sich die Behörde vom Migrationsamt instrumentalisieren lassen.» Ihrer Ansicht nach hätte es andere Möglichkeiten gegeben, die Ausschaffung sicherzustellen. «Es hätte gereicht, den Vater zu inhaftieren», so Graf. Nun riskiere man eine schwere Traumatisierung der Kinder. «Wie das Kindeswohl hier mit Füssen getreten wird, ist ein Skandal», sagt sie.
Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter stützt diese Ansicht. Eine Trennung von Kindern und Eltern sei «nur dann in Erwägung zu ziehen, wenn ein Kind andernfalls in Gefahr wäre», schrieb sie 2014. Heute Montag wird entschieden, ob die Mutter mit ihrem Baby aus der Haft entlassen wird. «Ich hoffe, der Richter zeigt Herz», so Mirjam Klöti.