Schneider-Ammann will sie nur «beobachten»
Bund vorerst machtlos gegen Türken-Schulen

Gegen Ergänzungsschulen ausländischer Sprach- und Religionsgemeinschaften ist laut Bildungsminister Johann Schneider-Ammann (66) nichts einzuwenden – solange sie keine «einseitige Propaganda» betreiben. Die türkischen Angebote stehen deshalb zumindest unter Beobachtung.
Publiziert: 04.06.2018 um 18:09 Uhr
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Aktualisiert: 24.09.2018 um 20:23 Uhr
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Dieses Bild aus der Mehrzweckhalle Uttwil TG sorgte Anfang Mai für Empörung: Schweizerisch-türkische Primarschüler müssen im türkischen Heimatunterricht blutige Schlachten nachspielen. zvg
Foto: zvg
Andrea Willimann

Die Türkei will in 15 westlichen Ländern türkische Wochenendschulen  gründen – darunter in der Schweiz. Hinter dem staatlichen Projekt steht das Ministerium für Auslandstürken, eine von der Erdogan-Regierung gegründeten Behörde mit 300 Mitarbeitern und einem Jahresbudget von knapp 200 Millionen Franken (BLICK berichtete). Türkische Schüler sollen den Unterricht neben der Schweizer Schule besuchen – angeblich freiwillig. 

Türken-Propaganda auf Schweizer Boden? Das ruft die SVP auf den Plan. Die Aargauer Nationalrätin Sylvia Flückiger (66) wollte am Montag in der Fragestunde von Bildungsminister Johann Schneider-Ammann (66) wissen, ob der Bundesrat Kenntnis von den türkischen Plänen hat. 

«Einseitige Propaganda» ist nicht erwünscht

Schneider-Ammanns Antwort macht deutlich, dass der Bund die Türken tatsächlich auf dem Radar hat. Er beobachtet nebst den geplanten Wochenend-Schulen die bereits stattfindenden Heimat-Kurse für türkische Sprache und Kultur.

Der Bildungsminister betont, dass es sich um zwei freiwillige Angebote handelt und dass diese den Schweizer Volksschulunterricht nicht betreffen. Er hält aber auch fest, dass gegen den türkischen Unterricht nur so lange nichts einzuwenden ist, «wenn er nicht zu einseitige Propaganda» betreibt. Die schweizerischen Strafnormen seien auch in diesem Bereich gültig, warnt Schneider-Ammann.

Bundesrat Johann Schneider-Ammann machte klar, dass die schweizerischen Strafnormen auch von türkischen Wochenendschulen nicht verletzt werden dürfen. Rassismus beispielsweise könnten sich die Lehrer nicht leisten.
Foto: Keystone

Auf die Nachfrage von Flückiger, ob der Bundesrat über seine Beobachtungen bald Bericht erstattet, kommt von Schneider-Ammann ein klares Ja. Und «obschon nicht Jurist», kündigt er auch gleich an, was er erwartet: «Der Unterricht wird wohl nicht programmatisch von unseren Behörden bestimmt werden können.» Übersetzt aus dem Beamten-Kauderwelsch heisst das: Der Bund ist machtlos gegen den privaten Unterricht der Türken. 

Ergänzungsschulen brauchen keine Bewilligung

Machthaber Recep Tayyip Erdogan (64) kann schweizerisch-türkische Schüler nach seinem Gusto in Religion und Kultur ausbilden. Tatsächlich brauchen Ergänzungsschulen, wie es sie in der Schweiz auch vereinzelt für andere Sprach- und Religionsgemeinschaften gibt, keine Bewilligung. Solange kein eidgenössisch anerkanntes Diplom ausgestellt wird, haben die Schulbehörden – ob kantonal oder eidgenössisch – nichts zu sagen.

Oft bestimmen die Botschaften die Botschaft

Den Unterricht in Heimatlicher Sprache und Kultur – kurz HSK – für Migrantenkinder gibt es seit den späten Sechzigerjahren. Damals war er vor ­allem für die Kinder der italienischen und spanischen Gastarbeiter gedacht.

In der Schweiz ging man davon aus, dass diese Gastarbeiter nur für einige Jahre hier sind und dann wieder zurückkehren. Es sollte also sichergestellt sein, dass ihre Kinder nach der Rückkehr in die Heimat in der Schule wieder schnell Anschluss finden.

Heute geht es bei den HSK-Lektionen nicht mehr um die «Rückkehrfähigkeit». Stattdessen wollen die Kantone, die den HSK-Unterricht unterstützen, die Mehrsprachigkeit fördern. Auch, weil sich Kinder, die ihre Muttersprache beherrschen, leichter tun, andere Sprachen zu lernen.

Zudem sollen die Kinder die Geschichte, Geografie und Tradition des Landes kennen, aus dem sie stammen. Dass damit auch die nationalistische Propaganda der Regierungen der Heimatländer mitgemeint ist, darf bezweifelt werden.

Die Kantone haben sich zwar verpflichtet, nur religiös und politisch neutral ausgestaltete HSK-Kurse zu unterstützen. Doch garantieren können sie das nicht. Denn selbst grosse Kantone wie Bern und St. Gallen führen keine Kontrollen durch.

Vielerorts wird die Verantwortung einfach den jeweiligen Heimatstaaten über­lassen. Die türkischen HSK-Kurse beispielsweise koordiniert die türkische Botschaft. Auch bei Italienern, Portugiesen, Serben, Slowenen, Griechen, Ungarn und Spaniern organisieren die Botschaften die Lektionen.

Anders bei Albanern, Chinesen und Eritreern: Hier zeichnen Vereine oder spezialisierte Schulen für die Kurse verantwortlich. Die HSK-Besuche sind freiwillig. Eltern müssen ihre Kinder dort nicht anmelden. Wer aber möchte, dass sein Kind Sprache und Kultur der Heimat kennenlernt, muss die HSK-Kurse selbst bezahlen. 
Je nach Herkunftsland besteht aber mehr oder weniger Druck: Italienische Eltern werden beispielsweise regelmässig angefragt, ob sie ihre Sprösslinge nicht doch in den HSK-Kurs schicken wollen. Sermîn Faki

Den Unterricht in Heimatlicher Sprache und Kultur – kurz HSK – für Migrantenkinder gibt es seit den späten Sechzigerjahren. Damals war er vor ­allem für die Kinder der italienischen und spanischen Gastarbeiter gedacht.

In der Schweiz ging man davon aus, dass diese Gastarbeiter nur für einige Jahre hier sind und dann wieder zurückkehren. Es sollte also sichergestellt sein, dass ihre Kinder nach der Rückkehr in die Heimat in der Schule wieder schnell Anschluss finden.

Heute geht es bei den HSK-Lektionen nicht mehr um die «Rückkehrfähigkeit». Stattdessen wollen die Kantone, die den HSK-Unterricht unterstützen, die Mehrsprachigkeit fördern. Auch, weil sich Kinder, die ihre Muttersprache beherrschen, leichter tun, andere Sprachen zu lernen.

Zudem sollen die Kinder die Geschichte, Geografie und Tradition des Landes kennen, aus dem sie stammen. Dass damit auch die nationalistische Propaganda der Regierungen der Heimatländer mitgemeint ist, darf bezweifelt werden.

Die Kantone haben sich zwar verpflichtet, nur religiös und politisch neutral ausgestaltete HSK-Kurse zu unterstützen. Doch garantieren können sie das nicht. Denn selbst grosse Kantone wie Bern und St. Gallen führen keine Kontrollen durch.

Vielerorts wird die Verantwortung einfach den jeweiligen Heimatstaaten über­lassen. Die türkischen HSK-Kurse beispielsweise koordiniert die türkische Botschaft. Auch bei Italienern, Portugiesen, Serben, Slowenen, Griechen, Ungarn und Spaniern organisieren die Botschaften die Lektionen.

Anders bei Albanern, Chinesen und Eritreern: Hier zeichnen Vereine oder spezialisierte Schulen für die Kurse verantwortlich. Die HSK-Besuche sind freiwillig. Eltern müssen ihre Kinder dort nicht anmelden. Wer aber möchte, dass sein Kind Sprache und Kultur der Heimat kennenlernt, muss die HSK-Kurse selbst bezahlen. 
Je nach Herkunftsland besteht aber mehr oder weniger Druck: Italienische Eltern werden beispielsweise regelmässig angefragt, ob sie ihre Sprösslinge nicht doch in den HSK-Kurs schicken wollen. Sermîn Faki

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