Im Nachtzug von der Schweiz aus durch Europa! Die Möglichkeiten dafür sind in den letzten Jahren immer weniger geworden. Schon 2009 haben die SBB ihre letzten Schlafwagen ausrangiert, weil das Geschäft nicht mehr rentierte. Nur dank den ÖBB gibt es heute noch einige Nachtzuglinien in der Schweiz – etwa nach Wien, Berlin oder Budapest.
Das soll sich ändern – mit einem völlig neuen Konzept: Die Nachtzüge sollen mit dem Güterverkehr kombiniert werden. Diese Idee propagiert die neu gegründete, europäische Organisation «Objectif Train de nuit» mit Sitz in Frankreich.
Als deren Vizepräsidentin amtet eine Schweizerin: GLP-Nationalrätin Isabelle Chevalley (47). «In ganz Europa sind nachts Güterzüge auf langen Strecken unterwegs», sagt die Waadtländerin zu BLICK. Dieses Potenzial will sie fürs nächtliche Reisen nutzen. «Mit einem Mix aus Güterwagen und Schlafwaggons lassen sich die Nachtzüge rentabel machen. Denn die Güterzüge fahren sowieso – und die Zusatzwaggons generieren Zusatzeinnahmen.»
Projektname «Lunajet»
«Lunajet» nennen die Initianten ihr Projekt – angelehnt an ein Comic-Abenteuer von «Tim und Struppi» unter dem Titel «Reiseziel Mond» (Französisch: Objectif Lune). «Nur dass unser Ziel einfacher ist: Wir wollen nicht auf dem Mond spazieren, sondern den Reisenden nur die Nachtzüge zurückbringen», so Chevalley.
Die neue Organisation will nun in zwei Machbarkeitsstudien abklären, ob ihre Idee technisch und finanziell funktioniert. Dass dies geht, davon sind die Initianten aber überzeugt. Sie verweisen auf ein bereits bestehendes Mix-Angebot: Bei Autozügen werden die Fahrzeuge verladen, die Fahrer reisen im Personenzug mit.
Die Nachtzug-Freunde haben auch bereits konkrete Vorstellungen, wie das neue Kombi-Angebot aussehen könnte: Unter der Woche würden die gemischten Züge aus 70 Prozent Güterwaggons und 30 Prozent Schlafwagen bestehen. Am Wochenende würde der Anteil der Reisewagen auf 50 bis 75 Prozent steigen. Fünf Schlafwagen wären jeweils das Minimum.
Von Frankfurt nach Barcelona – via Schweiz
Eine Pilotstrecke haben die Initianten ebenso schon ausgemacht: «Die Strecke von Frankfurt nach Barcelona – mit Zwischenhalt in der Schweiz – wäre ideal», so Chevalley. «Dabei wären Stopps in Basel, Bern, Lausanne und Genf möglich.» Dies ist allerdings nur eine mögliche Variante.
Nach den Plänen der Nachtzug-Lobby würde das Lunajet-Netz nach und nach erweitert. 2025 würden so mehrere Linien bestehen. Dazu gehört etwa auch eine von Zürich aus über Genf und Brüssel nach Amsterdam.
Die Wiederbelebung der Nachtzüge soll einen Beitrag zum Umweltschutz leisten. «Für Reisen innerhalb Europas soll man den Zug benutzen können – und Nachtzüge sind gerade für lange Strecken ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz», ist Chevalley überzeugt. «Die Nachtzüge bieten eine Alternative zum Fliegen.»
SBB reagieren zurückhaltend
Im Sommer will sich Chevalley mit SBB-Vertretern zusammensetzen, um sie für das neue Projekt zu begeistern.
Dort reagiert man aber noch mit Zurückhaltung. Die SBB stünden neuen Ansätzen «grundsätzlich offen gegenüber», sagt SBB-Sprecher Raffael Hirt zu BLICK. Dann folgt das Aber: «Die Umsetzung dieser Idee dürfte schwierig sein, da Güterzüge aus Kapazitätsgründen nicht via die grossen Personenbahnhöfe verkehren und über keine durchgehende Stromversorgung verfügen, wie sie für Schlafwagen nötig ist.»
An den geplanten Machbarkeitsstudien will sich der Staatsbetrieb nicht beteiligen. «Die SBB konzentrieren sich auf die Nightjet-Kooperation mit der ÖBB und den Ausbau der Tagesverbindungen», so Hirt. Mit den Österreichern werde derzeit ein Ausbau des Nachtzugangebots ab den 2020er-Jahren geprüft.
«Zudem können die SBB ab Dezember 2019 das Angebot tagsüber in die vier Schweizer Nachbarländer dank neuen Zügen und Ausbauten schrittweise erhöhen und so auch mehr Sparbillette anbieten», so Hirt. «Ein neues Vertriebssystem vereinfacht ausserdem ab 2020 die Buchung internationaler Billette.»
Parlament macht Druck
Ob sich Chevalley damit zufrieden gibt? Sie behält sich vor, nötigenfalls über einen parlamentarischen Vorstoss politisch Druck auszuüben, falls die SBB «nichts machen».
Sie ist im Bundeshaus nicht die Einzige, die von den SBB ein besseres Nachtzug-Angebot verlangt. So hat CVP-Nationalrat Thomas Ammann (54, SG) in der Sommersession einen Vorstoss eingereicht, in dem er vom Bundesrat geprüft haben will, «wie eine Attraktivitätssteigerung und Erweiterung von Nachtzugsangeboten erreicht werden kann». Er fasst dabei auch eine finanzielle Förderung durch den Bund ins Auge.
Ammann gefällt auch der Kombi-Vorschlag mit dem Güterverkehr. «Diese Idee sollte im Rahmen meines Postulats ernsthaft geprüft werden», so der CVP-Mann. «Eine finanzielle Beteiligung an den Machbarkeitsstudien macht daher durchaus Sinn.»