Irène Kälin (30) sieht keinen logischen Grund, den Islam nicht öffentlich-rechtlich anzuerkennen. Im Gegenteil. Die Anerkennung müsse im zentralen Interesse der Schweiz liegen. Die Religionskulturwissenschaftlerin begründet: «Mit der öffentlich-rechtlichen Anerkennung bekäme die Schweiz viele Kontrollmechanismen. Zum Beispiel kann sie die Ausbildung von Imamen übernehmen sowie Finanzierung und Mitgliederstrukturen überwachen.»
Kälin rückt für den zurücktretenden Jonas Fricker (40) in den Nationalrat nach. Fricker zog die Konsequenzen nach seinem unbedachten Vergleich zwischen dem Holocaust und der Massentierhaltung (BLICK berichtete). Mit ihren Aussagen kündigt Kälin nun der SVP noch vor ihrer ersten Session (Beginn 27. November) harte Gegenwehr in der Islam-Debatte an.
Das Zusammenleben von Religionen und Kulturen sei keine Selbstverständlichkeit. «Die Schweiz hat das im 19. Jahrhundert selbst erlebt, im Sonderbundkrieg», sagt Kälin. Die Parteien tragen eine grosse Verantwortung für den religiösen Frieden. Man dürfe nicht nur Ängste schüren, meint die Grünen-Politikerin aus Lenzburg AG: «Mir fehlt derzeit ein klares, starkes Gegensignal – wie dasjenige von Angela Merkel in Deutschland – auf die populistische Angstkampagne.»
Zu selten faktenorientiert
Kälin schreibt gerade an ihrer Masterarbeit. Sie befasst sich darin explizit mit der Frage, ob die Schweiz den Islam öffentlich-rechtlich anerkennen soll. Die Religionskulturwissenschafterin hat eine klare Meinung dazu: «Dem Islam fehlt heute der institutionelle Zugang, er ist zu wenig in die staatlichen Strukturen integriert.» Es brauche deshalb eine Kooperation zwischen Religion und Staat, ist Kälin überzeugt. Nur so könne die Gleichbehandlung sichergestellt werden.
Gemäss der baldigen Nationalrätin herrscht derzeit aber kein förderliches Klima für diesen Dialog. «Leider wird der Islam viel zu oft in einem Atemzug mit Terrorismus genannt», kritisiert Kälin. Zwar gebe es mittlerweile viele Islam-Experten, welche sich zu Wort melden und Falschaussagen richtigstellen. «Politiker orientieren sich in diesem Thema aber zu wenig an den Fakten.»
Es würden zu viele Ängste geschürt und jede Menge Scheindebatten geführt. Bestes Beispiel sei die Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot», welche primär das Tragen von Burkas verbieten möchte. «Die Burka-Debatte ist ein Sonderphänomen. Ein Verbot ist absolut unnötig, weil es kein reales Problem löst.» Aber genau dafür wäre es nun Zeit.