BLICK: Herr Stojanovic, in rund einer Woche läuft die Referendumsfrist zur Umsetzung der Masseneinwanderung-Initiative ab. Kann das Volk darüber abstimmen?
Nenad Stijanovic: Nein. Heute muss ich leider sagen, dass wir definitiv gescheitert sind. Wir werden bei weitem keine 50'000 Unterschriften gesammelt haben. Was mein Komitee betrifft, werden es am Ende wohl nur ein paar Tausend beglaubigte Unterschriften sein. Am 5. April reichen wir diese bei der Bundeskanzlei ein. Dazu kommen die Unterschriften von anderen Komitees und der CVP Tessin.
Das Thema Zuwanderung und Volkswillen beschäftigt die Menschen. Warum hat es trotzdem nicht geklappt?
Es ist problematisch, dass Volksinitiativen und Referenden heute nicht mehr aus dem Volk kommen, sondern fast ausschliesslich von grossen Parteien oder Verbänden lanciert werden. Die Erfahrungen der letzten Monate haben mir gezeigt, wie schwierig es ist, ohne Support von einflussreichen Organisationen Unterschriften zu sammeln. Die direkte Demokratie funktioniert nur noch suboptimal.
In Olten stoppte Sie beim Unterschriftensammeln vor einem Wahllokal die Polizei. Der Kanton Solothurn verbietet das. Wurden Sie angezeigt?
Nein, noch nicht. Ich sehe mich aber als radikalen Demokraten und werde mich sicher bis vors Bundesgericht wehren. Die direkte Demokratie so einzuschränken, während Milliardäre Unterschriften praktisch kaufen können, ist sehr bedenklich. Das Sammeln von Unterschriften ist ein demokratisches Recht!
Bei ihrem Referendum wusste aber niemand, warum er unterschreiben sollte. Die Überlegungen dahinter waren viel zu kompliziert.
Das glaube ich nicht. Viele Abstimmungsvorlagen sind sehr komplex, denken Sie an die Unternehmenssteuerreform III. Direkte Demokratie funktioniert bei solch komplizierten Themen aber nur, wenn die Bevölkerung Vereinfachungen erhält. Ein klassisches Beispiel dafür war die Intervention von alt Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf gegen die Steuerreform. Ein solches Ereignis hat uns gefehlt. Die Menschen hatten keine bekannten Persönlichkeiten, an die sie sich halten konnten. Weder SP noch SVP unterstützten unser Anliegen
Wie enttäuscht sind Sie, dass Ihnen aus der SP niemand geholfen hat? Sie waren immerhin mal Mitglied der Parteileitung.
Ich kann nachvollziehen, dass es für die SP aufgrund der Vorgeschichte schwierig gewesen wäre, mir offen zu helfen. Allerdings hätte ich mir etwas mehr Offenheit gewünscht. Der Zürcher alt Regierungsrat Markus Notter etwa hat als Erster angeregt, dass die Befürworter des Inländervorrangs light ein Referendum ergreifen sollten. Ich habe den Kontakt zu ihm schon früh gesucht, aber nie eine Rückmeldung erhalten. Das finde ich etwas unanständig. SP-interne Episoden wie diese waren ziemlich heuchlerisch.
Sie hatten realpolitisch schlicht keine Chance.
Ja, es wollte sich niemand die Hände schmutzig machen. Dabei ging es um das wichtigste politische Geschäft der letzten drei Jahre – und um die Verteidigung der direkten Demokratie. Es ist unglaublich, dass es nun keine Abstimmung mehr über die Zuwanderungsfrage gibt.
Sie übertreiben. Die Streichungs-Initiative Rasa («Raus aus der Sackgasse») ist zustande gekommen. Womöglich gibt es auch einen Gegenvorschlag dazu.
Nein, es wird zu Rasa keinen Gegenvorschlag geben. Die CVP und die FDP haben kein Interesse daran. Und weil die SVP ohnehin dagegen ist, müssten sich die anderen Parteien einig werden. Das wird nicht passieren. Ich zweifle auch daran, dass die Initiative vors Volk kommt. Der Druck auf die Promotoren, sie zurückzuziehen, ist riesig. Denn die Initiative würde haushoch abgelehnt und so die Position der SVP stärken. Ich befürchte, die viel zitierte «klärende Abstimmung» wird es nicht geben. Deshalb habe ich versucht, die Rasa-Leute vom Referendum zu überzeugen. Leider erfolglos.
In diesem Fall läge der Ball bei der SVP. Sie hat eine Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit angekündigt.
Angekündigt, aber nicht lanciert! So konnten die rechten Strategen ihrer Basis erklären, warum sie das Referendum nicht unterstützen soll. Und die SVP will Zeit gewinnen, damit sie während des Wahlkampfs 2019 Unterschriften sammeln kann. Die anderen Parteien bezeichnen jetzt diese Abstimmung, die vielleicht 2021 stattfinden wird, als die entscheidende. Damit sind sie voll in die Falle getappt und lassen sich die Agenda von der SVP diktieren.
Sie sind SP-Mitglied. Wie werden Sie nach dem Scheitern des Referendums weiterkämpfen?
Am Samstag findet in Castione die Delegiertenversammlung der SP Schweiz statt. Ich habe im Namen der Tessiner Sektion eine Resolution verfasst. Ich werde von Präsident Levrat und seiner Fraktion im Bundeshaus verlangen, dass sie sich für eine konsequente Umsetzung des «Inländervorrang light», also für eine Art Bonus für inländische Arbeitslose, einsetzt. Die Gefahr ist ansonsten gross, dass dieser zu einer kompletten Alibiübung verkommt. Alles ist unglaublich schwammig formuliert. Was heisst schon «überdurchschnittliche» Arbeitslosigkeit.
Moment: Die lasche Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative war ein Triumph für Ihre Partei und die Gewerkschaften. Die FDP wurde von der Linken nur vorgeschoben.
Das denkt die SP-Spitze auch. Ich befürchte aber, dass bei der Umsetzung die SP selbst der nützliche Idiot war, nicht die FDP. Wir wollen nun die Parteileitung unter Druck setzen, dass zumindest das Gesetz in einer griffigen Verordnung umgesetzt wird. Die FDP-nahe Wirtschaftslobby wird darauf hinarbeiten, dass gar nichts passiert. Da darf die SP nicht mitmachen.
Aber die Partei war von Anfang an gegen die Zuwanderungs-Initiative. Warum sollte sie nun für eine scharfe Umsetzung plädieren?
Die SP lanciert regelmässig Volksinitiativen. Wir verlieren zwar fast immer, doch wenn wir einmal gewinnen, wollen wir auch, dass das Anliegen einigermassen korrekt umgesetzt wird.
Wie sehen Sie Ihre persönliche Zukunft in der SP? Vielleicht als Nationalrat?
Zurzeit ist eine Nationalratskandidatur kein Thema. Falls ich in zwei Jahren nicht irgendwo im Ausland arbeiten werde, würde ich mir eine solche überlegen. Ich möchte gerne eine Professur übernehmen, darf aber nicht zu wählerisch sein, denn es gibt nur sehr wenige Stellen an den Schweizer Universitäten.
Zwei Wochen, bevor Sie das Referendum angekündigt haben, sind Sie zum dritten Mal Vater geworden, einen Job haben Sie auch noch. Wie haben Sie das alles unter einen Hut gekriegt?
Ich habe mir das lange überlegt. Selbst meine Frau hat aber erst zehn Minuten vor der Bekanntmachung davon erfahren. Sie war alles andere als begeistert. Allerdings brauche ich nicht so viel Schlaf wie andere, so konnte ich die Arbeit für das Referendum oft in der Nacht erledigen. Es war trotz meines täglichen Powernaps anstrengend.
Bereuen Sie Ihren Schritt?
Nein, die Zukunft wird zeigen, dass die Diskussion wichtig war. Ich bin vor allem den Medien dankbar, dass sie unser Anliegen stets korrekt eingeordnet haben. Natürlich bin ich enttäuscht, aber ich nehme die Niederlage nicht persönlich.
Sie wurden in den letzten Monaten immer als Tessiner beschrieben, leben aber schon lange in Bern.
Das stimmt. Ich arbeite aber in Luzern und fahre regelmässig ins Tessin, wo wir ein Haus besitzen und wo weiterhin mein politischer Wohnsitz liegt. Als ich Gemeinderat von Lugano und Tessiner Grossrat war, hat die Lega sehr stark gegen mich mobilisiert. Ich habe auch anonyme Briefe und Drohungen erhalten. Als ich Vater geworden bin, wollte ich das meiner Familie ersparen.