Seit Bundesrat Ignazio Cassis das Europa-Dossier leitet, ist die Verwirrung noch grösser: Steht das Rahmenabkommen mit der Europäischen Union vor dem Durchbruch? Ist es bereits todgeweiht? Der freisinnige Magistrat signalisiert Widersprüchliches.
Die Liste der möglichen Hürden für den Deal jedenfalls ist lang: Die EU- Unterhändler, die Gewerkschaften, Christoph Blochers SVP, schliesslich: das Schweizer Stimmvolk.
Doch wurde ein Faktor bisher kaum beachtet: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Die obersten Hüter des EU-Rechts könnten das grössere Hindernis für den Rahmenvertrag sein als Europagegner Blocher, ist etwa Francis Cheneval überzeugt.
Nichts und niemand ist dem EU-Recht übergeordnet
Der Professor für Politische Philosophie an der Universität Zürich verweist auf ein Gutachten der Luxemburger Richter vom 18. Dezember 2014: Damals verwarf der EuGH das langjährige Ziel der EU, als Mitglied der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) beizutreten. Begründung der Richter: Nichts und niemand sei dem EU-Recht übergeordnet.
Wörtlich moniert der EuGH in seinem Schreiben, dass eine allfällige EMRK-Mitgliedschaft «die besonderen Merkmale und die Autonomie des Unionsrechts beeinträchtigen» würde. Zudem würde die Menschenrechtskonvention gegen «die besonderen Merkmale des Unionsrechts in Bezug auf die gerichtliche Kontrolle» verstossen.
Gerichtshof könnte Rahmenvertrag verhindern
Angesichts dieser Argumentation besteht laut Cheneval das Risiko, dass der EuGH einen Rahmenvertrag mit einem übergeordneten Schiedsgericht zwischen Brüssel und Bern verhindern wird. Gegenwärtig ist vorgesehen, dass ein Schiedsgericht im Streitfall eine verbindliche «Beurteilung» vom EuGH anfordern kann. Dieser Versuch der Unterhändler, die Hürde in Luxemburg zu umgehen, ist vor der Debatte um «fremde Richter» zumindest mutig.