Es ist der Albtraum jeder westlichen Regierung: russische Kämpfer im eigenen Land. Saboteure, Provokateure, Spione. Was tönt wie Science-Fiction, ist in der Schweiz Realität.
Seit Jahren baut der russische Staat hierzulande gezielt feindliche Schläferzellen auf. Dazu nutzt Moskau Sportschulen in Zürich, Bern und Lugano, wo die russische Kampfkunst Systema trainiert wird. Für so genannte «Seminare» fliegen ehemalige Elitekämpfer des russischen Geheimdienstes in die Schweiz. In Turnhallen bilden sie Interessierte im Strassenkampf aus und geben Messer- und Schiesstrainings.
Wie akut die Gefahr aus dem Osten ist, zeigen Auszüge aus einem geheimen Dokument, das der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) erstellt hat. Demnach dient das Systema-Netzwerk unter anderem zum «Multiplizieren der Streitmacht ausserhalb der regulären Abrüstungsvereinbarungen durch eine unerkannte Kommando-Gruppe». Ziel: Das «Herbeiführen von Unruhen und Verunsicherung im Zielgebiet», sowie das Rekrutieren «künftiger Eliten». Der NDB schreibt von einer finanziellen und ideologischen Beeinflussung durch russische Behörden. Wladimir Putins fünfte Kolonne in der Schweiz.
Zentrales Glied ist ein Kampf-Club aus Zürich
In den letzten Jahren sind Systema-Zellen im gesamten europäischen Raum entstanden. In der Schweiz konzentrieren sich die Aktivitäten auf Zürich, Bern und Lugano TI.
Zentrales Glied ist ein Kampf-Club aus Zürich. Dessen Mitglieder treffen sich regelmässig in einem Trainingslokal in Regensdorf. Videoaufnahmen zeigen den Unterricht: militärischer Drill, würgen, töten lernen.
Das Logo des Vereins: ein Wolfskopf, das Zeichen der Wolf-Holding aus Moskau. Die Holding ist eine Mischung aus Sicherheitskonzern und Kampfsportverein, der immer wieder hochrangige Systema-Instruktoren nach Westeuropa entsendet.
Diese reisen auch in die Schweiz. Einer von ihnen ist Denis Ryauzov, der «Combat Trainer Leader» der Wolf-Holding. Er gibt regelmässig Kampfkurse in Zürich und Lugano, meist in Uniform, auf dem Ärmel eine Russlandflagge aufgenäht. Die Schule in Regensdorf führt ihn auf ihrer Webseite als «Chefinstruktor» auf.
Ryauzov war Elitekämpfer bei den Speznas, eine Spezialeinheit des russischen militärischen Nachrichtendienstes (GRU). Mehr noch: Die USA haben Ryauzov aufgrund von separatistischen Aktivitäten in der Ostukraine mit Sanktionen belegt.
Verbindungen zum russischen Geheimdienst
Auch an Systema-Schulen in Bern trainierten in den letzten Jahren teils hochdekorierte Ex-Kämpfer von russischen Sondereinsatzkommandos, darunter Vladimir Vasiliev und Michail Ryabko. Letzterer soll noch heute enger Berater des russischen Justizministers sein – und damit direkt Machthaber Putin unterstellt. In früheren Jahren bildete er Kämpfer für die Speznas-Truppen aus.
Unklar ist, wer in der Schweizer Systema-Szene die Fäden zieht. Es gibt allerdings Hinweise. Im NDB-Dokument taucht der Name D.Z. auf. Er leitet den Kampfsportverein in Regensdorf und gilt als zentrale Figur. Dem SonntagsBlick liegen Fotos vor, die seine Kontakte zu russischen Top-Militärs belegen. So traf er sich etwa im deutschen Singen mit Gennady Nikulov, dem obersten Chef der russischen Wolf Holding. Auch Nikulov wurde von den USA sanktioniert. Auch er wegen separatistischen Aktivitäten in der Ostukraine. Zurzeit ist er Vizepräsident der russischen Separatisten in der Stadt Sewastopol auf der Halbinsel Krim.
Sämtliche Systema-Schulen in der Schweiz weisen Verbindungen zum russischen Geheimdienst weit von sich. Einige Befragte tun dies mit hämischen Kommentaren: «Ich genehmige mir jetzt ein Glässchen Vodka mit Putin und hecke Terrorattacken aus.» Andere drohen mit Anwälten, falls ihr Name in der Zeitung erscheint. Der Systema-Verein von Regensdorf nimmt kurz nach der Anfrage des SonntagsBlicks seine Webseite vom Netz.
In Moskau lernen sie den Umgang mit Sprengstoff
Den deutschen Journalisten und Russland-Experten Boris Reitschuster erstaunen die Reaktionen nicht. Er hat die Gefahr des Systema-Netzwerks in Europa als Erster öffentlich thematisiert. In seinem 2016 erschienenen Buch «Putins verdeckter Krieg: Wie Moskau den Westen destabilisiert» beschreibt er, wie in diesen Clubs Russlandfreunde angeworben werden, etwa Polizisten oder Sicherheitsleute.
In der Masse würden in den Schulen normale Sportler trainieren. Einige von ihnen werden am Ende aber rekrutiert. Sie reisen nach Moskau und lernen dort den Umgang mit Sprengstoff und Waffen. Allein in Deutschland sollen gegen 300 Leute diese Ausbildung durchlaufen haben. Reitschuster sagt: «Diese Kampftruppen im Westen sind eine tragende Säule in Putins verdecktem Krieg.»
Geheimdienstexperte Dmitrij Chmelnizki pflichtet ihm bei. «Es gibt unterdessen mehrere hundert Systema-Filialen überall in der Welt», sagt er. Und mahnt: «Die Schulen müssen von den Behörden unbedingt besser kontrolliert werden.» Die Taktik, feindliche Truppen im Westen aufzubauen, sei altbewährt und gehe auf Sowjetzeiten zurück. «Diese Gruppen sollen getarnt bleiben, bis sie ein Befehl zu aktiven Massnahmen bekommen.» Heisst konkret: Unruhen anzetteln, Sabotageakte durchführen.
Dass die Aktivitäten der Russen längst über Planspiele hinausgehen, zeigen die Informationen des NDB. Im Geheimdokument erwähnt er Wehrspormanöver im Schweizer Hochgebirge. Dazu äussern will sich der Nachrichtendienst nicht. Sprecherin Caroline Bohren sagt einzig, dass man die Kampfschulen auf dem Radar habe. Allfällige Spionagetätigkeiten würden mit eigenen Mitteln bekämpft.
Der einflussreichste Intellektuelle des 21. Jahrhunderts ist ein Wahlschweizer. Zu diesem Schluss kommt der amerikanische Historiker Timothy Snyder in seinem soeben erschienenen Buch «Der Weg in die Unfreiheit».
Gemeint ist Iwan Ilija aus Zollikon ZH. Wenn Sie den Namen noch nie gehört haben, müssen Sie sich nicht grämen. Denn Iwan Ilija ist ein Mann zum Vergessen. Er ist der eigentliche Grund dafür, dass Wladimir Putin mehr ist als nur das Abziehbild einer TV-Figur.
Es sind Iwan Iljins verquaste Gedanken, die aus Putin eine Gefahr für den Weltfrieden machen.
Zunächst zur TV-Figur: Am Beginn seines Buches erzählt Timothy Snyder, wie sich der Kreml Ende der 1990er-Jahre auf die Suche nach einem Nachfolger für den kranken Präsidenten Boris Jelzin machte. Man tat dies mit einer Meinungsumfrage.
Konkret wollte der Kreml wissen: «Welchen Filmhelden hätten Sie am liebsten als Staatschef?» Auf Platz eins landete die Hauptfigur einer Fernsehserie aus der Breschnew-Ära: der Geheimagent Maxim Issajew, das sowjetische Pendant zu James Bond.
In Wladimir Putin, einst KGB-Agent und seit 1998 Geheimdienstchef, sah Jelzins Entourage den Doppelgänger von TV-Liebling Issajew. So kam es, dass Boris Jelzin im Sommer 1999 Putin zum Premierminister ernannte und von ihm ganz offiziell als seinem Nachfolger sprach.
Was Putin jetzt noch fehlte, war eine Botschaft. Hier nun lässt Timothy Snyder in seinem Buch Iwan Iljin auftreten, den Publizisten aus der Schweiz.
Iljin, 1883 als Spross einer Adelsfamilie in Moskau geboren, war ein hoffnungsvoller Jurist, bis ihn die Russische Revolution aus der Bahn warf. Er emigrierte in den Westen, in den 1930er-Jahren liess er sich in Zollikon nieder.
Iljin schrieb Bücher, Aufsätze, Artikel. Er schwärmte für Mussolini und Hitler. Vor allem aber verschrieb er sich der Idee eines russisch-orthodoxen Imperiums unter der Ägide eines gottgesandten Führers. Timothy Snyder nennt ihn den «Begründer eines christlichen Faschismus, der den Bolschewismus überwinden sollte».
Iljin starb 1954, kein Hahn hat mehr nach ihm gekräht – bis er ein halbes Jahrhundert später unverhofft seine Wiederauferstehung feierte. 2005 liess Putin die Überreste Iljins von Zollikon nach Moskau schaffen. Er sorgt persönlich für die Verbreitung seiner Schriften und zitiert ihn in seinen wichtigen Reden.
So auch bei der Ansprache vor der Generalversammlung des russischen Parlaments im Jahr 2010. Damals, schreibt Timothy Snyder, «berief sich Putin auf Iljins Thesen, um zu erklären, warum Russland die Europäische Union schwächen und in die Ukraine einmarschieren müsse».
Snyder selbst ist kein Scharfmacher, der Professor an der Yale University gilt als einer der renommiertesten Spezialisten für die Geschichte Osteuropas. Vielleicht führt er in seinem «Weg zur Unfreiheit» einzelne Erzählstränge etwas gar straff zusammen. Sein Buch schärft aber in jedem Fall unseren Blick für die aktuelle Nachrichtenlage: Was genau treibt Putin in der Ukraine? Und ja: Warum um alles in der Welt greifen unsere Behörden nicht entschieden durch, wenn der russische Staat in der Schweiz Kampftrainings durchführt?
Wladimir Putin ist längst kein blosses Abziehbild einer TV-Figur mehr. Er ist der echte Horror.
Der einflussreichste Intellektuelle des 21. Jahrhunderts ist ein Wahlschweizer. Zu diesem Schluss kommt der amerikanische Historiker Timothy Snyder in seinem soeben erschienenen Buch «Der Weg in die Unfreiheit».
Gemeint ist Iwan Ilija aus Zollikon ZH. Wenn Sie den Namen noch nie gehört haben, müssen Sie sich nicht grämen. Denn Iwan Ilija ist ein Mann zum Vergessen. Er ist der eigentliche Grund dafür, dass Wladimir Putin mehr ist als nur das Abziehbild einer TV-Figur.
Es sind Iwan Iljins verquaste Gedanken, die aus Putin eine Gefahr für den Weltfrieden machen.
Zunächst zur TV-Figur: Am Beginn seines Buches erzählt Timothy Snyder, wie sich der Kreml Ende der 1990er-Jahre auf die Suche nach einem Nachfolger für den kranken Präsidenten Boris Jelzin machte. Man tat dies mit einer Meinungsumfrage.
Konkret wollte der Kreml wissen: «Welchen Filmhelden hätten Sie am liebsten als Staatschef?» Auf Platz eins landete die Hauptfigur einer Fernsehserie aus der Breschnew-Ära: der Geheimagent Maxim Issajew, das sowjetische Pendant zu James Bond.
In Wladimir Putin, einst KGB-Agent und seit 1998 Geheimdienstchef, sah Jelzins Entourage den Doppelgänger von TV-Liebling Issajew. So kam es, dass Boris Jelzin im Sommer 1999 Putin zum Premierminister ernannte und von ihm ganz offiziell als seinem Nachfolger sprach.
Was Putin jetzt noch fehlte, war eine Botschaft. Hier nun lässt Timothy Snyder in seinem Buch Iwan Iljin auftreten, den Publizisten aus der Schweiz.
Iljin, 1883 als Spross einer Adelsfamilie in Moskau geboren, war ein hoffnungsvoller Jurist, bis ihn die Russische Revolution aus der Bahn warf. Er emigrierte in den Westen, in den 1930er-Jahren liess er sich in Zollikon nieder.
Iljin schrieb Bücher, Aufsätze, Artikel. Er schwärmte für Mussolini und Hitler. Vor allem aber verschrieb er sich der Idee eines russisch-orthodoxen Imperiums unter der Ägide eines gottgesandten Führers. Timothy Snyder nennt ihn den «Begründer eines christlichen Faschismus, der den Bolschewismus überwinden sollte».
Iljin starb 1954, kein Hahn hat mehr nach ihm gekräht – bis er ein halbes Jahrhundert später unverhofft seine Wiederauferstehung feierte. 2005 liess Putin die Überreste Iljins von Zollikon nach Moskau schaffen. Er sorgt persönlich für die Verbreitung seiner Schriften und zitiert ihn in seinen wichtigen Reden.
So auch bei der Ansprache vor der Generalversammlung des russischen Parlaments im Jahr 2010. Damals, schreibt Timothy Snyder, «berief sich Putin auf Iljins Thesen, um zu erklären, warum Russland die Europäische Union schwächen und in die Ukraine einmarschieren müsse».
Snyder selbst ist kein Scharfmacher, der Professor an der Yale University gilt als einer der renommiertesten Spezialisten für die Geschichte Osteuropas. Vielleicht führt er in seinem «Weg zur Unfreiheit» einzelne Erzählstränge etwas gar straff zusammen. Sein Buch schärft aber in jedem Fall unseren Blick für die aktuelle Nachrichtenlage: Was genau treibt Putin in der Ukraine? Und ja: Warum um alles in der Welt greifen unsere Behörden nicht entschieden durch, wenn der russische Staat in der Schweiz Kampftrainings durchführt?
Wladimir Putin ist längst kein blosses Abziehbild einer TV-Figur mehr. Er ist der echte Horror.