Postauto-Skandal durchleuchtet
Der grösste Betrug mit Subventionen in der Geschichte der Schweiz

Die Untersuchungsberichte zum Postauto-Bschiss zeigen detailliert, was bisher nur in Umrissen klar war: Postauto hat – gedeckt vom Mutterkonzern – mit Schattenrechnungen rund 100 Millionen Subventionen ertrogen.
Publiziert: 11.06.2018 um 23:45 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 20:55 Uhr
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Wegen des Postoauto-Skandals: Die Postauto AG hatte seit mindestens 2007 widerrechtlich zu hohe Subventionen kassiert. Gewinne wurden vor dem Bund versteckt. Um über 200 Millionen Franken beläuft sich der grösste Subventionsbetrug der Schweizer Geschichte.
Foto: Siggi Bucher
Sermîn Faki

Post-Präsident Urs Schwaller (65) zeigte sich gestern Mittag «erschüttert, mit welcher Energie Postauto Gewinne versteckt hat und wie sämtliche Kontrollmechanismen im Postkonzern versagt haben».

Dazu hatte er allen Grund. Die Untersuchungsberichte der Kanzlei Kellerhals Carrard und der eingesetzten Gutachter lesen sich spannender als ein Wirtschaftskrimi. Es sei ein «System der Manipulation» gewesen, so die Juristen, «Bestandteil des jährlichen Terminplans».

Beeindruckender Einfallsreichtum

Mit Hilfe von drei Millionen Dokumenten legen die Experten im Detail offen, was bisher nur in Umrissen bekannt war: Wie der gelbe Riese in den Jahren 2007 bis 2015 rund 100 Millionen Franken vom Steuerzahler erschlichen hat.

Und eines muss man den Postauto-Leuten lassen: Ihr Einfallsreichtum war beeindruckend. Für jede einzelne Buslinie hat das Unternehmen zwei Rechnungen gemacht – und in beiden betrogen. Erstens in der Planrechnung, aufgrund der Postauto mit Bund, Kantonen und Gemeinden über die Subventionen verhandelt hat. Dort waren verdeckte Gewinne eingebaut.

Das wäre spätestens dann aufgeflogen, wenn die Kantone im Jahr darauf die zweite Rechnung gesehen hätten, die Ist-Rechnung, in der die tatsächlichen Kosten und Einnahmen aufgeführt sind. Deshalb führte Postauto auch dort eine Schattenrechnung.

«Die ominöse Periode 15»

Der Konzern wusste immer, wie die echte Bilanz für die Linien aussah. Bund, Kantone und Gemeinden bekamen nur das zu sehen, was sie sehen sollten: Zusatzkosten für Pneus, für Diesel, für Personal. «Kreative Buchhaltung» hiess das. Vehikel dazu war die «Periode 15», eine eigens eingeführte Buchhaltungsperiode. Nur dazu da, um zu betrügen.

«Periode 15» führte selbst im Postkonzern zu Irritationen. Wie es denn sein könne, dass mit 15 Prozent des Umsatzes fast der gesamte Gewinn erzielt werde, fragte ein Post-Mitarbeiter einen anderen am 28. März 2013. Die Antwort: «Meines Wissens interne Verrechnungen plus Abschöpfung/Gewinnverlagerung mittels der ominösen Periode 15.»

Eine teuflische Spirale kommt in Gang

Begonnen hat alles wahrscheinlich schon im letzten Jahrhundert. Das sagte Schwaller gestern auf Nachfrage von BLICK. Wer das System der Manipulation erfunden hat, konnte oder wollte er nicht sagen. Auch im Untersuchungsbericht wurden diese Passagen für die Öffentlichkeit gelöscht. Was sicher ist: Post-Finanzchef Pascal Koradi (45) wusste Bescheid.

Anfänglich hatte die Schattenrechnung zum Ziel, die unterschiedlich hohen Margen von Postauto in den verschiedenen Regionen «zu glätten». Denn in einigen Gegenden verdiente man viel Geld, in anderen weniger. Doch von Beginn an nutzte man das Instrument auch, um die im subventionierten Regionalverkehr erzielten Gewinne kleinzurechnen.

Und dann setzte eine fatale Logik ein: Weil sie die Gewinne zu tief ausgewiesen hatte, konnte Postauto im Folgejahr noch mehr Geld von Bund und Kantonen aushandeln – und musste in der Folge noch mehr Gewinn verstecken. Eine teuflische Spirale.

Rechtsverletzungen wurden in Kauf genommen

Und so kam man auf immer neue Ideen. Man führte verschiedene Buchungskreise ein, um das Geld besser hin und her zu schieben. Wobei – eigentlich nur in eine Richtung: von Postauto zur Post. Von wo aus die Gewinne aus dem subventionierten Schweizer Verkehr wohl in die Auslandabenteuer Postauto Liechtenstein und CarPostal France flossen. «Rechtsverletzungen wurden dabei in Kauf genommen», urteilen Kellerhals Carrard.

Irgendwann wurde es sogar den kreativen Buchhaltern zu brenzlig. Denn der Bund stellte am 8. September 2011 gegenüber Postauto klar, dass es keine Gewinne im subventionierten Regionalverkehr geben darf. Und er verlangte immer mehr Transparenz in der Rechnungslegung.

Und dann kam auch noch der Preisüberwacher

Zu allem Übel roch 2012 auch noch Preisüberwacher Stefan Meierhans (49) Lunte. Im Juni wollte er von Postauto wissen, «wo genau die 28 Millionen Franken Gewinne im Jahr 2011 erwirtschaftet wurden» und warum gegenüber dem Bund nur ein Gewinn von 2,7 Millionen Franken ausgewiesen werde. Zuerst dachten Postauto-Chef Daniel Landolf (58) und Post-Finanzchef Koradi noch, das drohende Unwetter würde vorbeiziehen, wenn sie den Kopf in den Sand steckten. Doch Meierhans insistierte – bei Postchefin Susanne Ruoff (60) persönlich.

Handeln wurde unausweichlich. Die Post-Konzernleitung beauftragte ihre Car-Tochter am 6. Februar 2013, sich etwas Neues auszudenken. Eine Task Force mit dem treffenden Namen «Value Save» – Gewinnsicherung – wurde eingesetzt. Die schlug alarmistische Töne an: «Preisüberwacher und das BAV haben die heutigen Gewinnsicherungsmassnahmen durchschaut. Der Druck kann sehr schnell zunehmen.»

Mitte 2013 wurde es richtig heiss. Der Preisüberwacher scharrte, und auch die interne Revision warnte: «Es besteht ein massgebliches Risiko, wenn der Regulator von diesem Vorgehen erfahren würde.»

Die Konzernleitung entschied sich für die falsche Lösung

Letztlich schlug Postauto der Post vier Varianten vor, um die Schummeleien besser zu verschleiern. Dummerweise entschied sich die Konzernleitung unter Ruoff für die falsche. Denn erst die Umstrukturierung in eine Holding brachte das Bundesamt für Verkehr im Jahr 2016 auf die Schliche der kreativen Buchhalter. Postauto selbst hatte sich für eine andere Lösung ausgesprochen – laut Kellerhals Carrard «explizit, um dem Regulator und den Bestellern die Überleitung zu diesem Ergebnis zu erschweren oder zu verunmöglichen». Moral der Geschichte: Wenn man schon betrügt, dann soll man es denen überlassen, die davon etwas verstehen.

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