Wie gut finden Sie sich?
Petra Dreyfus: (lacht) Oh je. Wenn Sie mich fragen würden, was ich besser machen könnte, hätte ich einen Roman zu erzählen.
Sie sind Werberin des Jahres!
Ja, ich denke, ich mache meinen Job nicht so schlecht.
Ich habe in der Vorbereitung auf dieses Gespräch einige Interviews mit Star-Werbern gelesen. Die fanden sich alle sehr gut.
(lacht) Diese Star-Werber verschwinden immer mehr. Die Zeiten, in denen einer alleine wusste, was richtig ist, und das Unternehmen von oben herab führte, sind vorbei. Junge Menschen lassen sich übrigens auch nicht mehr so führen. Wenn wir autoritär auftreten würden, fänden wir keine Leute.
Wie viel hat die TV-Serie «MadMen» und der Scotch-trinkende Werber Don Draper
mit der Realität der Werbebranche zu tun?
(lacht) Nichts. Als ich im Jahr 1995 anfing, gab es schon noch Leute
in der Geschäftsleitung, die sehr lange Mittagspause machten und sehr fröhlich zurückkamen. Aber heute ist das vorbei.
Aber auch in der Schweiz gibt es Werber, wie Frank Bodin, die Personen des öffentlichen Lebens sind. Promis. Über Sie weiss man fast nichts. Ist das ein bewusster Entscheid?
Diese Frage hat sich bis jetzt gar nicht gestellt. Ich denke, berühmt muss man sein wollen, und das meine ich völlig wertfrei. Ich habe eine Familie mit zwei Kindern, ich habe diesen Job und Freunde, das reicht mir zeitlich vollends.
Wieso sind Chef-Werber eigentlich fast immer Männer?
An der Basis liegt der Frauenanteil in der Werbebranche wohl bei 50 Prozent, und der Anteil guter Frauen ist sicher gleich hoch wie bei den Männern. Aber auch bei uns gibt es die – ich nenne es mal so hart – Babyfalle. Es beginnt damit, dass wir Frauen schwanger sind – und nicht der Mann. Dann kommt dazu, dass der Haushalt leider immer noch zu einem grossen Teil bei der Frau liegt. Plötzlich fehlen die Frauen im Beruf – und werden deshalb nicht Chefs.
Petra Dreyfus (49) teilt sich den CEO-Posten mit einem Kollegen. Zusammen mit Livio Dainese führt sie seit 2017 Wirz, eine der ältesten Werbeagenturen der Schweiz – und eine der erfolgreichsten. Letztes Jahr -wurde -Dainese zum Werber des Jahres ausgezeichnet, dieses Jahr Petra Dreyfus. Gemeinsam verantworten sie unter anderem den Migros-Wichtel Finn und die aktuelle SBB-Werbung. Dreyfus arbeitet seit 2005 bei Wirz und war zuvor zehn Jahre in anderen Agenturen tätig. Sie sitzt im Beirat der Zürcher Fachhochschule. Petra Dreyfus pendelt von Basel nach Zürich und ist Mutter von zwei Söhnen.
Petra Dreyfus (49) teilt sich den CEO-Posten mit einem Kollegen. Zusammen mit Livio Dainese führt sie seit 2017 Wirz, eine der ältesten Werbeagenturen der Schweiz – und eine der erfolgreichsten. Letztes Jahr -wurde -Dainese zum Werber des Jahres ausgezeichnet, dieses Jahr Petra Dreyfus. Gemeinsam verantworten sie unter anderem den Migros-Wichtel Finn und die aktuelle SBB-Werbung. Dreyfus arbeitet seit 2005 bei Wirz und war zuvor zehn Jahre in anderen Agenturen tätig. Sie sitzt im Beirat der Zürcher Fachhochschule. Petra Dreyfus pendelt von Basel nach Zürich und ist Mutter von zwei Söhnen.
Etwas Privates geben Sie preis: Sie sind schwerhörig. Beeinflusst Sie das in Ihrer Arbeit vielleicht auch positiv…
Das wäre super, nicht?! (lacht) Ich versuche auch immer die Vorteile zu sehen.
Aber die gibts nicht?
Ich frage sicher häufiger nach. Und das zwingt mein Gegenüber, besser nachzudenken, präziser zu formulieren. Das könnte ein Vorteil sein. Aber in erster Linie hat meine Schwerhörigkeit vor allem Nachteile.
Kamen Sie mit dieser Hörbehinderung zur Welt?
Ich hatte Mitte 20 das Gefühl, dass viele Menschen undeutlich reden. Darauf folgte mein erstes Hörgerät. Heute habe ich einen 90-prozentigen Hörverlust.
Was ist eigentlich gute Werbung?
Es gibt unglaublich viele Produkte. Kommunikation kann bewirken, dass Menschen einzelne Produkte und Marken bevorzugen. Gute Werbung löst einen Kaufentscheid aus. Und sie bleibt hängen.
Ich habe unter Kolleginnen und Kollegen eine kurze Umfrage gemacht, welche Werbe-Slogans ihnen spontan in den Sinn kommen. Der erste war: «Nike – Just do it.»
Klar. Ein Evergreen.
Dann sang plötzlich jemand «Waschmaschinen leben länger mit Calgon». Ist das wirklich gute Werbung, nur weil sie hängen bleibt?
Das eine ist, dass gute Werbung hängen bleibt, das andere, dass wir gute Gefühle damit verbinden. Finn, unseren Migros-Kassenwichtel, haben die Menschen gern. Das ist ein kleines Stückchen Hollywood. 30 bis 40 Sekunden, die bleiben, wie die «Titanic»-Szene mit den ausgebreiteten Armen am Schiffsbug, die noch heute alle imitieren. Den Calgon-Spot summen die Leute immer noch nach, die Melodie bleibt im Ohr. Ja, diese Werbung hat viel erreicht. Waschmittel interessieren ja grundsätzlich nicht. Aber wenn die Menschen vor dem Regal stehen, hören sie diese Melodie im Kopf und greifen deswegen zu Calgon.
Für Werbelegende Walter Lürzer ist es ganz einfach: Heute sei egal, was man sagen wolle, entscheidend sei, dass Werbung auffalle.
Das ist ein gescheiter Mann. Aber nein: Nur auffallen um jeden Preis, das ist vorbei. Werbung muss heute mehr als nur eine Werbung sein. Wenn Nike den Slogan «Just do it» neben einen dunkelhäutigen Sportler setzt, der aus Protest gegen Rassismus niederkniet, dann ist
das viel mehr als nur Werbung. Es ist eine Haltung. Das ist ein gesellschaftlicher Trend. Die neue Generation hinterfragt zum Beispiel Marken wie H&M, die sie mit der Wegwerfgesellschaft gleichsetzen. Sie wollen Marken, die für etwas stehen. Gewisse Marken können das kommunizieren, weil sie glaubwürdig sind. Andere versuchen es und scheitern, weil es ihnen niemand abkauft.
Am Ende geht es immer um ein Produkt. Müssen Sie hinter einem Produkt stehen können, um dafür zu werben?
Ganz am Anfang meiner Karriere musste ich eine Tampon-Werbung machen – mit einem reinen Männer-Team. Es ging. Man kann Werbung rational, mit dem Verstand machen, aber ich denke, sie wird besser, wenn man einen emotionalen Bezug hat.
Sie machen also alles für jeden?
Das ist eine ethische Frage. Und nein, machen wir nicht. Wir sind mitinhabergeführt, uns diktiert niemand, für wen wir arbeiten.
Was lehnen Sie ab?
Das diskutieren wir von Fall zu Fall. Zuletzt gab eine Anfrage des Schweizer Militärs länger zu reden. Wir haben uns dann dagegen entschieden.
Sie teilen sich mit dem letztjährigen Gewinner Livio Dainese den CEO-Posten. Wieso?
Ich erkläre Ihnen lieber, wieso das viele nicht machen: Kollaboratives Arbeiten, gemeinsam entscheiden – das ist mehr als nur ein Trend. Auch auf der Führungsebene. Wenn Sie sich anschauen, wie moderne CEOs heute führen, dann unterscheidet sich das nicht gross von unserem Stil. Und trotzdem gibt es fast immer nur einen CEO. Wieso? Vielleicht spielt da das Ego auch eine Rolle.
Das Modell fällt auf. Auch weil Sie eine Frau sind und Ihr Co-CEO ein Mann ist.
Wir könnten auch zwei Männer oder zwei Frauen sein. Aber was schon so ist: Auch in unserer Geschäftsleitung arbeiten einige 80 oder 90 Prozent. Ich selbst habe auch lange Zeit in einem 80-Prozent-Pensum gearbeitet. Teilzeit-Arbeit ist ein Zukunftsmodell. Und zwar nicht nur bei Frauen.
Wie wichtig ist das Thema Gleichberechtigung in Ihrem Beruf?
Lohngleichheit ist natürlich absolut zentral. Die Vorstellung, dass jemand für die gleiche Arbeit weniger Lohn erhält, ist absurd. Bei uns ist Lohngleichheit ein Fakt, über den wir nicht diskutieren müssen.
Im Moment ist in der Schweiz relativ viel im Gang…
Hoffentlich auch!
Am 14. Juni ist Frauenstreik.
Man muss manchmal laut sein und auffallen, damit die Leute zuhören. Ganz offensichtlich braucht es den Frauenstreik noch. Leider. Wenn es hilft, ist es gut.
Die Werbung hat bei der Gleichstellung nicht immer nur eine rühmliche Rolle gespielt.
Nein.
In meiner Teenagerzeit hing überall diese Sloggy-Unterhosen-Werbung.
Ja, ich erinnere mich gut, diese Rückenansicht von Frauen mit Füdli, wie sie kein Mensch hat. Aber wenn man sich heute «Bachelorette» anschaut, dann braucht man gar nicht in die Vergangenheit zu gehen, um Beispiele für absurde Geschlechterbilder zu finden. Die Männer präsentieren sich als Muskelprotze, die Frauen mit dicken Lippen und operiert. So
viel weiter scheint die Gesellschaft offenbar nicht zu sein.
Welche Verantwortung hat Ihre Branche in dieser Hinsicht?
Frauenfeindliche Werbung wurde damit entschuldigt, dass sie die Gesellschaft widerspiegle. Als Kommunikationsexperten tragen wir eine Verantwortung. Eine Marke darf nicht frauenfeindlich auftreten. Punkt.
Sie wohnen in Basel. Medien und Werbung sind sehr Zürich-basiert. Ist es ein Vorteil, dass Sie diesen Aussenblick haben?
Man darf nicht das Gefühl haben, die Schweiz sei wie Zürich. Die Städte sind sich in der Schweiz ähnlicher, als es viele wahrhaben wollen. Aber zwischen Stadt, Agglo und Land existieren grosse Unterschiede.
Der Migros-Kassenwichtel funktioniert offenbar für alle. Was ist der gemeinsame Nenner?
Das Herz. Migros ist für alle da, deshalb brauchten wir etwas, das allgemeingültig ist und direkt ins Herz trifft. Und auch ein wenig traurig ist, wie das Leben halt.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der eigentlich alle ständig Kommunikationsexperten in eigener Sache sind. Ihre Konkurrenz sind Influencer!
Das sehe ich nicht so. Influencer können manchmal eine Ergänzung zu unserer Arbeit darstellen. In einer Agentur wie der unseren lösen wir Kommunikationsprobleme um einiges grundsätzlicher und breiter, als das Influencer können. Und wir koordinieren die verschiedenen Instrumente und Kanäle. Dabei setzen wir, je nach Aufgabe, auch Influencer ein.
Zum Schluss muss ich noch etwas fragen, was ich selbst nie verstanden habe: Kennen Sie
den Herrenduft «Denim»?
Ja, mit dem Werbespot, in dem eine Frauenhand einem muskel-bepackten Mann das Hemd öffnet. Läuft die immer noch?
Ja. Und meine Frage ist: Wieso?
Er scheint zu funktionieren. Offenbar haben viele Männer den Traum, dass eine Frau sie aufgrund eines Dufts so heiss findet, dass sie ihnen das Hemd aufreisst.