Pestizide, Nitrat, Medikamente
So vergiftet ist unser Wasser

Trinkwasser ist in der Schweiz meist Grundwasser. Wie sauber dieses ist, hat der Bund in einer grossen Studie unter die Lupe genommen. Mit teilweise beunruhigenden Resultaten.
Publiziert: 15.08.2019 um 18:02 Uhr
|
Aktualisiert: 16.08.2019 um 09:19 Uhr
1/7
Bei jeder fünften Messstelle in der Schweiz wurden Pestizide oder deren Abbauprodukte in einer Konzentration von über 1 Mikrogramm pro Liter gemessen – dem Grenzwert für Pestizid-Wirkstoffe.
Lea Hartmann

Es ist vielleicht nicht das Lieblingsgetränk, sehr wohl aber das beliebteste Getränk der Schweizerinnen und Schweizer: Hahnenwasser. Drei Viertel der Bevölkerung trinkt regelmässig Wasser direkt aus der Leitung. Bei vier von fünf Gläsern handelt es sich dabei um Grundwasser – das in den meisten Fällen kaum oder gar nicht aufbereitet wurde.

Doch wie sauber ist, womit wir täglich unseren Durst löschen? Dieser Frage geht das Bundesamt für Umwelt (Bafu) im neusten Bericht zum Zustand des Grundwassers in der Schweiz nach. Ganze 140 Seiten dick ist das Dokument – es ist die erste umfassende Bestandesaufnahme seit zehn Jahren. 

Gutes Hahnenwasser ist nicht mehr selbstverständlich

Das Fazit der Wasserexperten des Bundes ist deutlich. Auch wenn die Schweiz gemeinhin als Wasserschloss Europas bezeichnet wird: Der Schlossherr kann sich auf seinem Thron nicht zurücklehnen. «Unsere wichtigste Trinkwasserressource ist zunehmend unter Druck», sagte Bafu-Vizedirektorin Karin Siegwart. Dass qualitativ einwandfreies Trinkwasser aus dem Hahnen kommt, sei heute nicht mehr selbstverständlich. 

Das sind die wichtigsten Gründe dafür: 

  • Überdüngung
    Zehntausende Tonnen Dünger versprühen Bauern jedes Jahr. Stickstoff gelangt so in den Boden und sickert als Nitrat ins Grundwasser. An 15 bis 20 Prozent der rund 600 Messstellen wurde zwischen 2007 und 2014 der Höchstwert überschritten, den das Gewässerschutzgesetz vorsieht. Bei zwei bis vier Prozent der Messstellen überstieg die Konzentration sogar den noch höheren Trinkwasser-Grenzwert. Besonders viel Nitrat findet sich in Ackerbaugebieten.
    In den letzten Jahren nahm die Konzentration etwas ab. Dieser Trend dürfte sich aber laut Bafu nicht fortsetzen. Es sei nicht davon auszugehen, dass sich die Situation in den nächsten Jahren massgeblich bessert. Vielmehr könnte die Klimaerwärmung dazu führen, dass die Konzentration wieder steigt. Denn ist es über längere Zeit sehr trocken, können die Pflanzen weniger Nitrat aufnehmen – und mehr gelangt in den Boden.
     
  • Pflanzenschutzmittel
    Pestizid-Wirkstoffe und deren Abbauprodukte beeinträchtigen laut Bafu die Grundwasserqualität in der Schweiz «verbreitet und nachhaltig». An 2 Prozent der Messstellen wurden 1017 Pflanzenschutzmittel-Rückstände in einer Konzentration von über 1 Mikrogramm pro Liter gemessen – dem gesetzlichen Grenzwert. 
    Das ist an sich ein kleiner Anteil. Unerwünscht sind aber auch die Stoffe, die freigesetzt werden, wenn sich die Wirkstoffe abbauen. Diese Abbauprodukte, auch Metaboliten genannt, bleiben viel länger im Grundwasser und sind mobiler. An rund jeder fünften Messstelle betrug die Konzentration mehr als 1 Mikrogramm/Liter. Dieser Grenzwert gilt auch für gewisse Metaboliten.
     
  • Giftige Kohlenwasserstoffe
    Flüchtige halogenierte Kohlenwasserstoffe (FHKW) werden vor allem als Lösungs- und Reinigungsmittel und bei der Kunststoffherstellung verwendet. An 4 Prozent der Messstellen wurde der Grenzwert für diese Stoffe überschritten. Sie stammen laut Bafu aus Altlasten, zum Beispiel von Deponien oder alten Industriestandorten.
     
  • Arzneimittel und Süssstoffe aus dem Abwasser
    Im Grundwasser findet man zudem Rückstände von Arzneimitteln – zum Beispiel Antibiotika –, Korrosionsschutzmittel oder Süssstoffe. Wie Pestizid-Abbauprodukte sind auch sie sehr langlebig und mobil und beeinträchtigen darum die Grundwasserqualität.
     
  • Vermehrt Engpässe und höhere Temperaturen
    Das Bafu hat nebst der Wasserqualität auch untersucht, wie sich Wassermenge und -temperatur in den vergangenen Jahren verändert haben. Grundsätzlich sei das Grundwasservorkommen stabil, so die Experten. Das heisse allerdings nicht, dass es in Trockenperioden nicht lokal und vorübergehend zu Engpässen kommen könne. Die Grundwassertemperatur blieb bei knapp der Hälfte der Messstellen über die letzten zehn Jahre etwa gleich. Bei der anderen Hälfte stieg die Temperatur leicht.

Angesichts dieser Ergebnisse sieht das Bafu Handlungsbedarf – vor allem, was die Qualität des Grundwassers anbelangt. Dabei nimmt das Bundesamt vor allem die Bauern in die Pflicht. Denn gerade bei Pflanzenschutzmitteln und Nitrat ist es die Landwirtschaft, die für die Wasserverschmutzung hauptsächlich verantwortlich ist.

Wasserversorger sind besorgt

Der Bericht ist denn auch Wasser auf die Mühlen derjenigen, die die Trinkwasser- und Pestizidinitiativen befürworten, die derzeit im Parlament diskutiert werden. Während die Trinkwasser-Initiative will, dass nur noch Bauern Subventionen erhalten, die keine Pestizide verwenden, sieht die zweite Initiative ein komplettes Pestizidverbot vor. Der Nationalrat hat beide Initiativen abgelehnt und sich auch gegen einen indirekten Gegenvorschlag gestellt.

Genau dafür kämpfen aber die Wasserversorger. Der aktuelle Bericht des Bafu bestätige ihre Befürchtungen, schreiben sie in einer Mitteilung. Sie zeigen sich besorgt. «Grundwasser als Trinkwasserressource ist in der Schweiz gefährdet.» Man hoffe, dass das der Ständerat erkenne. Dessen zuständige Kommission entscheidet noch diesen Monat, ob man sich der Position des Nationalrats anschliesst oder ob es doch einen Gegenvorschlag geben soll.

Nationalrat lehnt Trinkwasser- und Pestizidverbots-Initiative ab
1:16
«Bund setzt Gesetze nicht um»:Trinkwasser- und Pestizidverbots-Initiative abgelehnt

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?