Die Anzahl Biorestaurants ist verschwindend klein, und selbst im Detailhandel ist nur jedes zehnte Produkt bio-zertifiziert. Das zeigt doch: Den meisten Konsumenten ist bio egal.
Ralph Hablützel: Nein, den Konsumenten ist bio einfach zu teuer. Studien zeigen, dass Bioprodukte maximal 15 Prozent mehr kosten dürfen als konventionell hergestellte Produkte, sonst bleiben sie liegen. Heute ist der Preisunterschied massiv höher. Solange sich das nicht ändert, wird bio ein Nischenmarkt bleiben. Daran haben die Detailhändler aber eine Mitschuld.
Inwiefern?
Weil sie bei Bioprodukten preislich enorm draufschlagen. Gleichzeitig setzen sie einheimische Biobauern unter Druck, indem sie immer mehr ausländische Bioprodukte importieren. Die Konsequenz: Die Schweizer Landwirte bleiben auf ihren Kartoffeln und ihrem Getreide sitzen.
Dafür kommt der Kunde dank Importen zu günstigeren Bioprodukten.
Ach was, der Konsument wird von den Detailhändlern regelrecht in die Irre geführt. Er glaubt, er tue etwas Gutes, wenn er EU-Bio-Produkte aus europäischen Ländern kauft – und weiss nicht, dass der EU-Standard viel tiefer ist als die Bio-Knospe der Schweiz. Dabei gäbe es auch das Bioland-Label aus Deutschland, welches mit unserer Bio-Knospe vergleichbar ist. So aber beschädigen die Händler die Glaubwürdigkeit der Bio-Labels. Nein, wenn wir wirklich eine umweltfreundlichere Landwirtschaft wollen, müssen wir das heutige System umkrempeln.
Klingt nach Revolution.
Eigentlich nicht. Was wir brauchen, ist eine Anschubfinanzierung für Bioprodukte. So wie in den 80er-Jahren beim Benzin: Damals hat der Bund das weniger schädliche Benzin mit einer Querfinanzierung künstlich verbilligt, damit die Leute von Super auf Bleifrei umsteigen. Das war ein durchschlagender Erfolg.
Sie wollen also konventionell hergestellte Lebensmittel verteuern und damit Bioprodukte subventionieren.
Genau. Denn das Problem mit der industriellen Landwirtschaft ist die fehlende Kostenwahrheit. Dabei sind die externen Kosten, die zum Beispiel der Einsatz von Pestiziden verursacht, extrem hoch: die Reinigung des verschmutzten Trinkwassers, die gesundheitlichen Schäden in der Bevölkerung, Parkinson-Erkrankungen bei den Bauern – das alles geht in die Millionen. Heute kommt dafür die Allgemeinheit auf, statt jene, welche die Mittel einsetzen.
Höhere Lebensmittelpreise sind nicht gerade sozial. Wie soll sich die Coiffeuse, der Hauswart das leisten können?
Man muss das etwas einordnen: In Deutschland geben die Menschen durchschnittlich 14 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus, in der Schweiz sind es gerade einmal 7 Prozent. Wir sind eines der Länder, das im Vergleich zum Einkommen die günstigsten Lebensmittel hat.
Für Menschen mit tiefem Einkommen ein schwacher Trost.
Es gäbe auch eine andere Lösung: Der Staat könnte nur noch jene Bauern fördern, die ihre Lebensmittel nachhaltig produzieren. Dadurch würden die Lebensmittel für den Konsumenten nicht teurer, dafür aber gesünder. Das würde aber eine Umkehr der heutigen Agrarpolitik bedeuten, wo die Mittel mit der Giesskanne verteilt werden.
Was kaum mehrheitsfähig scheint. Dennoch ist es paradox: Die Bürger sorgen sich angesichts der hohen Pestizidwerte im Trinkwasser um ihre Gesundheit – und greifen doch zu konventionell produzierten Lebensmitteln. Wie geht das zusammen?
Die Leute wissen schlicht nicht, dass ihre Lebensmittel derart mit Pestiziden vergiftet sind. Denn das Absurde ist: Die Grenzwerte für Pestizide bei Lebensmitteln sind um ein Vielfaches höher als beim Trinkwasser. So beläuft sich der Grenzwert von Chlorothalonil in Gewässern auf 0,1 Mikrogramm pro Liter. Bei Johannisbeeren aber beträgt die maximal zulässige Menge 20 Mikrogramm pro Kilo! Aber die Grenzwerte an sich sagen sowieso nicht viel aus.
Warum?
Weil sie nur für die einzelnen Stoffe das Maximum festlegen. Das Problem ist aber, dass die Bauern einen ganzen Cocktail an Pestiziden spritzen – und niemand weiss, wie die Wirkstoffe miteinander reagieren. Und wie viele giftige Abbauprodukte wir erst noch entdecken werden, so wie das kürzlich beim (inzwischen verbotenen, d. Red.) Chlorothalonil der Fall war. Das ist eine totale Blackbox. Nicht einmal die Hersteller wissen, wie gefährlich ihre Produkte sind.
Übertreiben Sie nicht ein wenig? Immerhin überprüfen die Behörden die jeweiligen Mittel genau, bevor sie sie freigeben.
Das Problem ist, dass wir oft noch nicht einmal wissen, wonach wir suchen sollen. Oder uns schlichtweg die nötigen Messinstrumente fehlen. Ich gebe Ihnen gerne ein Beispiel.
Bitte.
Vor kurzem haben wir eine Liste mit 25 problematischen Pestiziden erstellt. Darunter solche, die – laut offiziellen Quellen – möglicherweise krebserregend sind oder das ungeborene Kind im Mutterleib schädigen können. Alles zugelassene Mittel, wohlgemerkt. Aus vertraulicher Quelle haben wir die Abbauprodukte dieser Pestizide erhalten und danach verschiedene Labors angefragt, ob sie die Wasserproben auf die entsprechenden Stoffe hin testen können. Alle haben sie dasselbe geantwortet: Sie könnten das nicht messen, weil die entsprechende Methodik fehle. Das zeigt: Wir bringen potenziell giftige Stoffe in Umlauf, deren Präsenz wir nachher noch nicht einmal feststellen können!
Sie sind der Meinung, dass die Landwirtschaft auch ganz ohne chemisch-synthetische Pestizide auskommen kann. Damit sind Sie allerdings selbst unter Biobauern die Ausnahme: Die meisten Ihrer Berufskollegen verwenden natürliche Pestizide wie Kupfer, die den Boden ebenfalls belasten.
Die Biolandwirtschaft muss sich ebenfalls weiterentwickeln, das ist klar. Derzeit forscht man intensiv an resistenten Sorten, die ganz ohne Pestizide auskommen. Persönlich sehe ich die regenerative Landwirtschaft als grosse Chance an – und sie stösst auch bei konventionellen Bauern auf grosses Interesse.
Das müssen Sie erklären.
Die regenerative Landwirtschaft basiert auf einem Kreislauf. Beim konventionellen Bauern nimmt man zur Unterstützung des Pflanzenwachstums einen Sack Dünger, also viel fossile Energie, was die Böden kaputt macht. Der Biobauer arbeitet mit organischem Material, also Humus und Mist, und füttert damit die Bodenorganismen. Bei der regenerativen Landwirtschaft geht es darum, dass das Gleichgewicht der verschiedenen Nährstoffe im Boden stimmt und das System als Ganzes gesund bleibt. Dafür braucht es praktisch keine zusätzlichen Nährstoffe. Das Gleichgewicht der Nährstoffe im Boden stärkt das Immunsystem von Kulturpflanzen und die gesunden Pflanzen schützen sich dann selbst gegen Schädlinge. Dieser Ansatz stösst übrigens auch bei konventionellen Landwirten auf grosses Interesse. Denn niemand hat Freude daran, kiloweise Pestizide auf die eigenen Felder zu spritzen.
*Ralph Hablützel (58) ist Biobauer in Dättlikon ZH und Pestizid-Experte bei Vision Landwirtschaft, einer Denkfabrik für nachhaltige Landwirtschaft.