Die Schweiz ist ein Land voller Vereine – und auch im Bundeshaus herrscht ein ausgeprägter Hang zur Gruppenbildung. Die Zahl der parlamentarischen Gruppen hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Über 120 Gruppierungen haben die Parlamentsdienste aktuell erfasst. Vor fünfzig Jahren waren es erst rund ein Dutzend.
Besonderer Beliebtheit erfreuten sich in den vergangenen Jahren die Clubs, in denen für die Parlamentarier nicht Politisieren, sondern Amüsieren auf dem Programm steht. So haben sich Politiker von links bis rechts vor einigen Jahren zur Bundeshaus-Band zusammengeschlossen – und zeigen an feierlichen Anlässen, dass sie trotz Meinungsverschiedenheiten auch ganz harmonisch können.
Zuletzt spielten FDP-Nationalrat Andrea Caroni (Schlagzeug), SVP-ler Luzi Stamm (Piano), Grünen-Kollege Balthasar Glättli (Geige), SP-Vertreter Eric Nussbaumer (Gesang) und Kollegen Neo-Nationalratspräsidentin Christa Markwalder in der Markthalle Burgdorf ein Ständchen. Auch ein gemeinsamer Auftritt mit der Walliser Sängerin Sina haben die musikalischen Parlamentarier schon hinter sich.
«Sehr wichtig im parlamentarischen Alltag»
Doch nicht immer geht es so heiter zu und her, wenn parlamentarische Gruppen zusammenkommen. Viele der fraktionsübergreifenden Zusammenschlüsse treffen sich durchaus in ernster Absicht. Da gibt es beispielsweise die parlamentarische Gruppe für Behindertenfragen, die Gruppe Drogenpolitik oder die Gewerbegruppe. Zudem existieren Interessenvertretungen für Auslandschweizer, die Bergbevölkerung oder Senioren.
Rosmarie Quadranti hält parlamentarische Gruppen für «sehr wichtig im parlamentarischen Alltag». «Sie bringen mir vor allem Information, Vernetzung und gute Diskussionen – über die Parteigrenzen hinweg», sagt die BDP-Fraktionspräsidentin, die mit sechs (Co-)Präsidien zu den aktivsten Grüppli-Politikern gehört.
Echte Diskussionen statt Schaukämpfe
Noch fleissiger ist nur der Solothurner FDP-Nationalrat Kurt Fluri, der sieben Gruppen leitet. Er sagt: «Das Bedürfnis nach parlamentarischen Gruppen ist gestiegen.» Denn während es bei den Debatten in den Räten oft nur um politische Schaukämpfe gehe, arbeiteten die Gruppen sehr lösungsorientiert. «Das schätze ich besonders.»
Offiziell haben die Gruppen zwar keine Kompetenzen im Ratsbetrieb, doch die in den Mittagspausen der Sessionen durchgeführten Infoveranstaltungen, angebotenen Ausflüge und Reisen sowie die bei anstehenden wichtigen Geschäften an die Parlamentarier verschickten Briefe kommen an. «Besonders für Parlamentarier, die neu sind, ist das Angebot interessant, um zu sehen, wo sich politisch heisse Themen befinden», sagt der Genfer SP-Nationalrat Carlo Sommaruga.
Wichtiger Kanal für Lobbying
Was die Parlamentarier nicht erwähnen: Bei einem bedeutsamen Teil der Gruppen geht es um knallharte Lobbyarbeit. Oftmals stehen Interessenorganisationen, Verbände und Firmen hinter den parlamentarischen Gruppen und versuchen mit den Veranstaltungen und dem gratis zur Verfügung gestellten Info-Material Einfluss auf die Entscheidungen in den Räten zu nehmen.
Eine der stärksten Lobby-Gruppen unter der Bundeshauskuppel ist der Landwirtschaftliche Klub, der seit über 100 Jahren die Interessen der Bauern vertritt. Regelmässig werden die Parlamentarier zum Mittagessen eingeladen, wo mit Vorträgen versucht wird, die Ratsmitglieder auf die Linie der Bauernvertreter zu bringen. Oder wie es Francis Egger, der für den Bauernverband das Sekretariat des Landwirtschaftlichen Klubs führt, ausdrückt: Das Ziel sei es, über die parlamentarische Gruppe den Kontakt mit den Bundeshaus-Politikern sowie anderen parlamentarischen Gruppen zu pflegen, sie für Probleme zu sensibilisieren und die zukünftig wichtigen Themen anzusprechen.
Fraktionsübergreifendes Schwitzen
Manch ein Parlamentarier wird nach all der versuchten Beeinflussung das Bedürfnis haben, seinen Kopf kräftig durchzulüften – auch dafür gibt es selbstverständlich das passende Grüppli.
In der Damen-Sportgruppe beispielsweise treffen sich National- und Ständerätinnen unter der Leitung von Grünen-Nationalrätin Maya Graf einmal pro Session zum Zumba. Auch eine Jogging- oder Walkingtour über Mittag stand schon auf dem Programm oder ein E-Bike-Ausflug auf den Gurten. Dabei geht es laut Rosmarie Quadranti, die auch bei dieser Gruppe als Co-Präsidentin amtet, nebst Austausch und Networking über die Parteigrenzen hinweg vor allem um eins: «die Work-Life-Balance».