Observationen von IV-Bezügern
Der Bund verbreitet falsche Zahlen

Die Statistiken des Bundesamts für Sozialversicherungen stimmen teils nicht mal annähernd mit jenen der kantonalen IV-Stellen überein. Damit setzen die Behörden wenige Wochen vor der Abstimmung das Vertrauen der Bevölkerung aufs Spiel.
Publiziert: 28.10.2018 um 12:23 Uhr
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Aktualisiert: 28.10.2018 um 13:59 Uhr
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Detektive zur Überwachung von IV-Bezügern: Wie viele Observationen gab es bislang?
Foto: Keystone
Thomas Schlittler

Am 25. November stimmt die Schweiz darüber ab, ob Sozialversicherungen auch in Zukunft Versicherte überwachen dürfen, bei denen sie einen Missbrauch vermuten. Der wichtigste Akteur im Abstimmungskampf ist das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV). Das Amt liefert das Zahlenmaterial, mit dem argumentiert wird.

Das BSV hat umfangreiche ­Dokumentationen zusammengestellt, in denen für ein Ja geworben wird. Da heisst es etwa: «Die Invalidenversicherung (IV) hat zwischen 2009 und 2017 zur Missbrauchsbekämpfung systematisch auch Observationen eingesetzt. In dieser Zeit hat sie mit der Missbrauchsbekämpfung insgesamt fast 1,2 Milliarden eingespart, davon rund 320 Millionen Franken dank Observationen.» Und weiter: «Die IV hat in der Vergangenheit im Jahr durchschnittlich rund 220 Observationen durchgeführt.»

Jetzt kommen Zweifel auf, wie zuverlässig die publizierten Zahlen sind. Recherchen von SonntagsBlick zeigen: Was die Anzahl der jährlichen Observationen betrifft, weisen die offiziellen Statistiken des Bundes grobe Fehler auf.

Fehler in der Datenerhebung

Die offensichtlichste Panne ­betrifft Freiburg. Gemäss BSV-Statistik war der Kanton, in dem 3,7 Prozent der Schweizer Bevölkerung leben, zwischen 2013 und 2016 für 30 Prozent aller IV-Observationen verantwortlich. 292 der insgesamt 970 Observationen in diesem Zeitraum sollen auf das Konto der Freiburger IV-Stelle gegangen sein – das entspräche mehr als 70 Observationen pro Jahr.

Hans Jürg Herren, Direktor der Kantonalen Sozialversicherungsanstalt, sagt dazu: «Die Zahlen, welche Ihnen das BSV übermittelt hat, stimmen nicht mit unseren Statistiken überein.» Die IV-Stelle Freiburg habe in den Jahren 2015 und 2016 jeweils nur acht Observationen durchgeführt. Und in den Jahren 2013 und 2014 wurde die Anzahl Observationen noch gar nicht erfasst.

Das BSV gesteht den Fehler zwar ein, schiebt die Schuld aber den Freiburgern zu: «Die Daten, welche die IV-Stelle Freiburg uns im Rahmen der jährlichen Erhebung geschickt hatte, können so nicht zutreffen», sagt Sprecher Harald Sohns. «Für den Moment können wir dazu nicht mehr sagen, als dass wir dieser Unstimmigkeit nachgehen.»

Ein Trauerspiel in vielen Kantonen

Doch nicht nur in Freiburg gibt es Ungereimtheiten, auch die Zahlen aus dem Baselbiet stimmen nicht. Gemäss BSV hat die IV-Stelle Basel-Landschaft zwischen 2013 und 2016 insgesamt fünf Observationen durchgeführt. Das kantonale Amt sagt aber, dass man pro Jahr durchschnittlich fünf Observationen in Auftrag gegeben habe.

Die St. Galler Zahlen werfen ebenfalls Fragen auf. 2015 weist die BSV-Statistik lediglich vier Observationen aus, in den anderen Jahren jeweils über 30. Eine plausible Erklärung dafür hat niemand. «Leider können wir Ihnen die Frage nicht in der gewünschten Frist abschliessend beantworten», teilt die IV-Stelle St. Gallen mit.

In Bern geht das Trauerspiel weiter: Die kantonale IV-Stelle spricht von durchschnittlich 25 Observationen pro Jahr, gemäss BSV-Zahlen waren es nur 19.

Verantwortlichkeiten sind noch nicht geklärt

Was bei all den Fällen unklar bleibt, ist die Frage, wer für die Fehler letztlich verantwortlich ist. Haben die Kantone falsche Zahlen geschickt? Wurden die Zahlen beim BSV nicht korrekt erfasst? Oder ist es eine Mischung aus beidem?

Dass der Bund absichtlich falsche Zahlen verbreitet hat, ist nicht anzunehmen. Schliesslich gab es in einigen Kantonen ja weniger Observationen, als es publiziert wurde. Klar ist aber, dass das Statistik-Chaos nicht förderlich ist für die Glaubwürdigkeit der Behörden – notabene genau jene Behörden, die verlangen, dass die Stimmbürger ihnen bei der Abstimmung ihr Vertrauen aussprechen.

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