Bundeshaus Ost, im Büro des Chefs der Armee. Handschlag geht noch nicht – und so salutiert Thomas Süssli (53) zur Begrüssung, mit einem Lachen im Gesicht. Er ist der erste Armeechef, der fast seine gesamte militärische Karriere als Miliz- und nicht als Berufsoffizier gemacht hat. Und vermutlich ist er auch der erste, der fürs Fotoshooting aufs Dach des Bundeshauses klettert.
Herr Süssli, Sie hatten eine erfolgreiche, internationale Karriere in der Privatwirtschaft. Wieso um Himmels willen haben Sie zur Armee gewechselt?
Thomas Süssli: Die Armee war ein Herzensentscheid! Nach 25 Jahren in der IT- und Finanzindustrie wollte ich etwas für die Schweiz machen.
Wie kritisch sind die Blicke der Berufsoffiziere Ihnen, dem Quereinsteiger, gegenüber?
Am Anfang spürte ich das. Unterdessen habe ich den Eindruck, dass wir einen gemeinsamen Weg gefunden haben und die Vertrauensbasis wächst. Abgesehen davon sind kritische Blicke nichts Schlechtes.
Manche schnöden, Sie kämen von der Sanität und nicht von den Kampftruppen, dem Kern jeder Armee.
Direkt hörte ich das nie. Natürlich spielen die Kampftruppen eine zentrale Rolle, und ich werde dafür sorgen, dass dies so bleibt. Die Armee muss aber als gesamtes System funktionieren. Dazu gehören auch Logistik, Führungsunterstützung, Ausbildung etc. Ich bin ein Chef der Armee, der für alle da ist.
Wie hat sich Ihr Leben verändert, seit Sie Armeechef sind?
Ich spüre die grössere Verantwortung – nicht nur für die Organisation, sondern für die ganze Schweiz. Ich frage mich jeweils am Abend auf dem Nachhauseweg, ob ich etwas Gutes für unser Land geleistet habe. Im praktischen Leben hat sich wenig geändert: Ich stehe um 4.45 Uhr auf und bin selten vor 21 Uhr am Abend zu Hause.
Was wollen Sie in der Ära Süssli erreichen?
Ich will eine moderne Armee schaffen, insbesondere hinsichtlich Kultur und Digitalisierung. Sie soll sich auf die neuen Bedrohungen ausrichten. Leistungsprofil und Ressourcen müssen in Einklang stehen. Und, ganz wichtig: Ich möchte, dass die Armee bei der Bevölkerung verankert ist, also stärker gesehen wird, in den WK, aber auch auf Social Media.
Wie funktioniert eine digitale Armee?
Die Digitalisierung betrifft Kernbereiche wie Nachrichtendienst, Führung und Logistik. Die Militärverwaltung muss, analog zur Wirtschaft, Prozesse schlanker gestalten. Und ich habe die Vision einer digitalen Milizarmee: Eine App soll zur Schnittstelle zwischen dem jungen Bürger und der Armee werden. Über die kann er alles erledigen und bestellen.
Der Soldat muss nicht mehr ins Zeughaus, sondern er bestellt seine Kampfstiefel über die App?
Ja, das steht am Ende dieser Vision.
Die Milizarmee ist breit akzeptiert, gleichzeitig wollen immer weniger Schweizer selber ins Militär. Wie ist die Lage?
Wir verlieren jedes Jahr ein paar Tausend junge Leute, die eigentlich bei uns Dienst leisten sollten. Wir haben berechnet: Am Ende des Jahrzehnts werden uns rund ein Viertel der Bestände fehlen! Deshalb braucht es eine Diskussion über die Fähigkeiten der Armee: Soll sie dasselbe können wie heute, brauchen wir die entsprechenden Leute.
Wieso verlieren Sie so viele Leute?
Viele entscheiden sich vor der RS, in den Zivildienst zu gehen. Andere wollen in die RS, dürfen aber aus medizinischen Gründen nicht. Dann wechseln auch RS-Abgänger in den Zivildienst, häufig wegen der Vereinbarkeit mit dem Beruf.
Die Schweizer Armee hat ein gröberes Problem. Ihr gehen die Soldaten aus! Problem Nummer 1: Immer weniger Schweizer leisten überhaupt Militärdienst. So waren beispielsweise im Jahr 2018 insgesamt rund 31'400 Personen stellungspflichtig. Davon wären eigentlich 70 Prozent diensttauglich gewesen – knapp 22'000 Mann. Tatsächlich eine Rekrutenschule abverdient haben gerade mal 40 Prozent. Also 12'800.
Jedes Jahr gehen bis zu 4000 Soldaten vorzeitig
Problem Nummer 2: Der Armee laufen immer mehr Leute davon. Meist aus medizinischen Gründen oder weil sie zum Zivildienst wechseln. Von insgesamt 140'000 Armeeangehörigen verliert das Militär so Jahr für Jahr zwei bis drei Prozent. Das sind 3000 bis 4000 Männer und Frauen.
Nun schlägt Armeechef Thomas Süssli (53) Alarm. Ein Viertel der Bestände, also rund 30'000 Soldatinnen und Soldaten, würde am Ende des Jahrzehnts fehlen, sagt er.
Für die Armeespitze ist klar: So kann das nicht weitergehen. Soll das Militär seine Aufgaben auch in Zukunft noch wahrnehmen können, braucht es die entsprechenden Bestände. Eine Möglichkeit: Der Zugang zum Zivildienst wird erschwert.
Auch das Parlament sorgt sich um Armeebestände
Genau dafür hat sich nun das Bundesparlament entschieden. Nach dem Ständerat hat am Donnerstag auch der Nationalrat ein Wartejahr für Personen beschlossen, die aus der Armee in den Zivildienst wechseln wollen. Heisst konkret: Nach der Einreichung des Gesuchs und bis zum Zulassungsentscheid bleiben die Wechselwilligen weiterhin militärdienstpflichtig.
Erklärtes Ziel der Vorlage ist, zu verhindern, dass der Armee Soldaten fehlen. Das Interesse am Zivildienst stieg mit der Abschaffung der Gewissensprüfung im Jahr 2009 sprunghaft an. Mittlerweile haben sich die Zahlen aber wieder stabilisiert.
Noch aber ist die neue Regelung nicht in trockenen Tüchern. Das letzte Wort dürfte das Stimmvolk haben. Verschiedene Organisationen sowie die Grünen, die SP und die GLP haben bereits ein Referendum angekündigt. (dba)
Die Schweizer Armee hat ein gröberes Problem. Ihr gehen die Soldaten aus! Problem Nummer 1: Immer weniger Schweizer leisten überhaupt Militärdienst. So waren beispielsweise im Jahr 2018 insgesamt rund 31'400 Personen stellungspflichtig. Davon wären eigentlich 70 Prozent diensttauglich gewesen – knapp 22'000 Mann. Tatsächlich eine Rekrutenschule abverdient haben gerade mal 40 Prozent. Also 12'800.
Jedes Jahr gehen bis zu 4000 Soldaten vorzeitig
Problem Nummer 2: Der Armee laufen immer mehr Leute davon. Meist aus medizinischen Gründen oder weil sie zum Zivildienst wechseln. Von insgesamt 140'000 Armeeangehörigen verliert das Militär so Jahr für Jahr zwei bis drei Prozent. Das sind 3000 bis 4000 Männer und Frauen.
Nun schlägt Armeechef Thomas Süssli (53) Alarm. Ein Viertel der Bestände, also rund 30'000 Soldatinnen und Soldaten, würde am Ende des Jahrzehnts fehlen, sagt er.
Für die Armeespitze ist klar: So kann das nicht weitergehen. Soll das Militär seine Aufgaben auch in Zukunft noch wahrnehmen können, braucht es die entsprechenden Bestände. Eine Möglichkeit: Der Zugang zum Zivildienst wird erschwert.
Auch das Parlament sorgt sich um Armeebestände
Genau dafür hat sich nun das Bundesparlament entschieden. Nach dem Ständerat hat am Donnerstag auch der Nationalrat ein Wartejahr für Personen beschlossen, die aus der Armee in den Zivildienst wechseln wollen. Heisst konkret: Nach der Einreichung des Gesuchs und bis zum Zulassungsentscheid bleiben die Wechselwilligen weiterhin militärdienstpflichtig.
Erklärtes Ziel der Vorlage ist, zu verhindern, dass der Armee Soldaten fehlen. Das Interesse am Zivildienst stieg mit der Abschaffung der Gewissensprüfung im Jahr 2009 sprunghaft an. Mittlerweile haben sich die Zahlen aber wieder stabilisiert.
Noch aber ist die neue Regelung nicht in trockenen Tüchern. Das letzte Wort dürfte das Stimmvolk haben. Verschiedene Organisationen sowie die Grünen, die SP und die GLP haben bereits ein Referendum angekündigt. (dba)
Muss die Politik den Zugang zum Zivildienst erschweren?
Ich erwarte von der Politik, dass sie uns die Ressourcen gibt, die wir brauchen, um unsere Aufgabe zu erfüllen.
Das ist ein Ja.
Es ist die Aufgabe der Politik, zu definieren, was die Armee leisten soll. Es ist ebenso die Aufgabe der Politik, die entsprechenden Ressourcen bereitzustellen.
Ein Viertel zu wenig Leute ist dramatisch. Was können Sie selber tun, damit die Armee wieder attraktiver wird?
Wir müssen eine Armee schaffen, in der jeder einen Platz hat, der Dienst leisten möchte. Ein Cybersoldat muss nicht über die gleichen körperlichen Fähigkeiten verfügen wie ein Infanterist. Hier ist die Hürde derzeit zu hoch. Dazu müssen wir Herausforderungen bieten und die Ausbildung attraktiv gestalten.
Das klingt ein wenig nach Pfadilager.
Ein Touch Abenteuer darf dabei sein!
Viele Aufgaben einer Armee sind aber nun mal nicht lässig.
Nein, aber der Sinn ist wichtig. Jeder sollte nach einem Dienst für sich feststellen, dass er einen sinnvollen Einsatz geleistet hat.
Wie erklären Sie einem Panzerfahrer oder einem Infanteristen, was der Sinn seiner Aufgabe war?
Interessanterweise sind Panzerfahrer und Infanteristen sehr motiviert. Ich spüre bei den Jungen immer noch viel Verständnis und Bereitschaft, für unser Land da zu sein, gerade in den Kampftruppen.
Wir sind von Freunden umzingelt. Wo ist die Bedrohung, die Kampftruppen nötig macht?
Es wäre falsch, konkrete Szenarien zu zeichnen. Was wir aber sehen: dass unsere Nachbarn vermehrt in die Verteidigung investieren. Es gibt Bilder aus Krisengebieten, die wir schon lange nicht mehr in dieser Deutlichkeit gesehen haben. Es ist nicht wahrscheinlich, aber ebenso wenig auszuschliessen, dass wir selber jemals in eine solche Situation kommen werden.
Sie haben die erste Mobilmachung seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Haben Sie dafür einen roten Knopf auf Ihrem Pult?
Das waren zwei Rapporte per Videokonferenz. Diesen Moment werde ich nie vergessen, am Abend des 16. März, als der Bundesrat über den Assistenzdienst der Armee entschied.
Wieso hat man Sie während der Krise nie gesehen, sondern den inzwischen landesweit bekannten Brigadier Raynald Droz?
Es kommt drauf an, wohin Sie geschaut haben (lacht). Ich war sehr präsent bei den Truppen und das Bindeglied zwischen Bundesrat und der operativen Stufe der Armee. Meine Aufgabe war es, den politischen Willen in eine militärische Absicht zu übersetzen. An den Pressekonferenzen wollten wir bewusst einen Vertreter der Einsatzführung auftreten lassen.
Böse Stimmen behaupten, Sie könnten schlicht zu wenig gut Französisch.
Ich habe viele Jahre im angelsächsischen Raum gearbeitet und bin deshalb daran, mein Französisch zu verbessern. Um Fragen zu verstehen und zu beantworten, reicht es aber auch heute.
Viele der 5000 Soldaten hatten am Ende nichts zu tun. War die Mobilmachung überhaupt nötig?
Ja, der Einsatz der Armee war nötig. Wir waren nur dort, wo es ein Gesuch eines Kantons oder eines Spitals gab. Die Armee musste Kapazitäten schaffen für alle Entwicklungen. Am Schluss sind wir froh, wenn es uns nicht braucht.
Welches Fazit ziehen Sie aus dem Einsatz?
Es war ein Beweis, dass unsere Milizarmee funktioniert. 91 Prozent der per Marschbefehl aufgebotenen Soldaten sind eingerückt. Ein starkes Zeichen waren auch die über 3000 Freiwilligen, die Dienst leisten wollten.
Niemand sah das Virus voraus. Was kommt als Nächstes?
Die Welt ist unsicherer und komplexer geworden. Wir müssen für alles bereit sein. Als ich das Amt antrat, dachte ich, die grösste Gefahr sei ein Blackout. Die Abhängigkeit von Strom in unserer digitalisierten Gesellschaft nimmt zu.
Was kann eine Armee gegen ein Blackout tun?
Es gibt eine ganze Anzahl von logistischen und unterstützenden Leistungen, bis hin zu Stromgeneratoren. Die Armee kann auch kritische Infrastruktur beschützen.
Wie gut ist die Armee gegen Cyberangriffe gerüstet?
Die Armee muss sich zuerst selber schützen, damit sie einsatzfähig bleibt. Da haben wir mit eigenen Rechenzentren grosse Fortschritte gemacht. Ich sehe aber auch, dass sich die Angreifer weiterentwickeln. Es ist ein dauernder Kampf.
Findet Sie genug Cyberspezialisten?
Seit vorletztem Jahr bilden wir die Leute selber aus. Das ist eine sehr anspruchsvolle Ausbildung, für die wir aus 150 Interessenten die 20 besten auswählen. Die haben nicht das grösste Vorwissen, sondern den stärksten Charakter, sie sind verschwiegen, ruhig, integer.
Am 27. September steht die Abstimmung über neue Kampfjets an. Der Gripen ist 2014 gescheitert. Warum sollte es jetzt klappen?
Weil es dieses Mal um die Existenz unserer Luftwaffe geht – um alles oder nichts. Wir haben nur noch die F/A-18, und die erreichen in zehn Jahren ihr Lebensende. Ob wir eine Luftwaffe haben oder nicht, ist für die Bevölkerung ein enormer Unterschied. Es geht um die Souveränität der Schweiz. Ohne Flugzeuge können wir keine luftpolizeilichen Dienste machen, keine Konferenzen schützen, keine Überflugverbote durchzusetzen.
Wieso soll die Bevölkerung nicht dann abstimmen, wenn man den Flugzeugtyp kennt?
Die Kampfjets sollen die Bevölkerung vor Gefahren aus der Luft schützen. Welcher der vier Typen, die zur Auswahl stehen, dafür am besten ist, diesen Entscheid sollten wir den Spezialisten überlassen.
Da können Sie gleich intern beginnen: Der Gripen wurde damals auch armeeintern zerredet, weil manche ein besseres Flugzeug wollten.
Ich garantiere, dass die Luftwaffe hinter allen Typen steht.
Was machen Sie eigentlich, damit Sie immer noch wissen, was an der Basis läuft?
Ich besuche einmal pro Woche eine Truppe.
Wenn der Armeechef kommt, wird doch eine Show geboten.
Ich melde mich meistens erst eine Viertelstunde vorher an. So bleibt keine Zeit, eine Show zu inszenieren. Und ich gehe alleine oder nur in Begleitung meines Führungsgehilfen. So erfahre ich auch Dinge, die nicht gut laufen.