Neuer Plan für den Rahmenvertrag
«Fremde Richter sind Gift für den EU-Vertrag»

CVP-Chef Gerhard Pfister (56) präsentiert im Interview mit dem SonntagsBlick einen Lösungsweg für den Rahmenvertrag. Die EU solle die Souveränität der Schweiz bei der dynamischen Rechtsentwicklung garantieren. Positiv schaut Pfister zudem auf die Wahlen im Herbst.
Publiziert: 29.06.2019 um 17:21 Uhr
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Aktualisiert: 29.06.2019 um 17:22 Uhr
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CVP-Parteichef Gerhard Pfister ist rund drei Monate vor den nationalen Wahlen gut gelaunt und entspannt.
Foto: Anja Wurm
Interview: Andrea Willimann

Die FDP stellt derzeit mit ihrer neuen Klimapolitik alle anderen Parteien in den Schatten. Bringt Sie dies auf die Palme?
Gerhard Pfister:
Ich beobachte den Klimawandel bei der FDP aus der Distanz, aber interessiert. Eine so massive Kehrtwende wenige Monate vor den Wahlen ist sehr mutig. Richtig gespannt bin ich, wie Petra Gössi ihre Parlamentarier auf die neue grüne Verbotspolitik trimmt. Denn dazu müsste sie an deren Unabhängigkeit und Selbstverantwortung kratzen – in einer liberalen Partei!

Wird es in der CVP nicht auch hitzig, wenn ihre Umfragewerte im heissen Sommer schmelzen?
Den Wahlen sehe ich gelassen entgegen. Wenn es gut läuft, können wir unsere Sitzzahl halten oder steigern.

An einer Zuger CVP-Versammlung Anfang Juni sahen Sie dies noch anders: Acht Nationalratssitze seien bedroht, vier davon akut, sagten Sie.
Habe ich das gesagt (grinst)? Dann bin ich jetzt zuversichtlicher.

Persönlich

Gerhard Pfister (56) lebt in Oberägeri ZG und ist verhei­ratet. Er studierte Literatur und Philosophie, doktorierte und führte nach dem Tod seines Vaters dessen Schulinternat bis zur Schliessung im Jahr 2008 weiter. Von 1998 bis 2003 sass Pfister im Zuger Kantonsrat. Dann wurde er in den Nationalrat gewählt; seit April 2016 präsidiert er die CVP Schweiz. Er ist überzeugt, dass sie auch nach den Wahlen im Oktober viertgrösste Partei im Parlament und stärkste im Ständerat bleiben wird.

Gerhard Pfister (56) lebt in Oberägeri ZG und ist verhei­ratet. Er studierte Literatur und Philosophie, doktorierte und führte nach dem Tod seines Vaters dessen Schulinternat bis zur Schliessung im Jahr 2008 weiter. Von 1998 bis 2003 sass Pfister im Zuger Kantonsrat. Dann wurde er in den Nationalrat gewählt; seit April 2016 präsidiert er die CVP Schweiz. Er ist überzeugt, dass sie auch nach den Wahlen im Oktober viertgrösste Partei im Parlament und stärkste im Ständerat bleiben wird.

Warum?
Es fielen in der Zwischenzeit viele gute Entscheide; in gewissen Kantonen haben wir unterdessen Gewinnchancen. Es gibt vielversprechende Listenverbindungen, vor allem mit den Mitteparteien GLP, BDP und EVP, aber etwa im Kanton Luzern voraussichtlich auch mit der FDP. Zuversichtlich machen mich auch die vollen Listen mit sehr motivierten Kandidaten.

Wird die CVP-Kostenbremse-Initiative für tiefere Gesundheitskosten noch ein Wahlmotor? Bis jetzt haben Sie erst etwas mehr als die Hälfte der Unterschriften.
Schon die Hälfte! Wir werden die nötigen Unterschriften bis zu den Wahlen beisammenhaben, es ist ja noch Zeit.

Verstehen wirklich alle, was die Kostenbremse konkret bedeutet?
Hätte die CVP mit ihrer Initiative genaue Massnahmen zur Reduk­tion der Gesundheitskosten definiert, würde sie kritisiert, sie schriebe Gesetze in die Verfassung. So fordern wir, dass die Kosten nicht über ein bestimmtes Niveau steigen dürfen, ohne dann effektiv begrenzt zu werden. Die Massnahmen dazu müssen der Gesetzgeber und das Volk festlegen.

Für das Volk die Katze im Sack.
Den Katalog an Massnahmen, welche die Gesundheitskosten senken würden, den gibt es längst. Aber die Initiative brächte den Zwang und die heute fehlende Legitimation für den Bundesrat und die Akteure, diese umzusetzen. Wir werden dafür sorgen, dass es dadurch keinen Qualitätsabbau gibt.

Es fällt auf, dass Sie in jüngster Zeit oft SP-Bundesrat Alain Berset rühmen. Warum eigentlich? Er kriegt die Gesundheitskosten doch auch nicht in den Griff!
Alain Berset macht vieles gut, aber er braucht für seine Reformen Mehrheiten. Das ist bei den vielfältigen Interessen und der Komplexität des Gesundheitswesens nicht einfach. Alle Akteure – Versicherer, Ärzte, Spitäler, Kantone – schauen erst einmal für sich und nicht für die Prämienzahler. Auf der anderen Seite schöpft Berset seine Druckmittel nicht aus: Das Bundesamt für Gesundheit ist oft träge. Es schafft sogar Mehrkosten, etwa wenn die Medikamenten-Zulassungsstelle Swissmedic gewisse Medikamente nur in Grosspackungen zulässt.

Haben Sie auch eine Salbe für den Rahmenvertrag mit der EU?
Hier ist geduldiges Bohren harter Bretter angesagt. Das Abkommen braucht Verbesserungen, sonst fällt es beim Volk durch.

Weshalb zeigen dann SP und Mitte, statt nur zu stänkern, nicht endlich Lösungswege?
Ich teile die Ungeduld. Die Blockade wird sich frühestens in einem Jahr lösen. Und ich weise darauf hin, dass es bei weitem nicht nur um den Lohnschutz geht, wie jetzt viele meinen.

Um was denn?
Um die Unionsbürgerrichtlinie und den Europäischen Gerichtshof. Die sind toxisch für die Mehrheitsfähigkeit des Rahmenvertrags.

Können Sie konkreter werden?
Der Bundesrat will – wie die CVP – Präzisierungen in drei Bereichen: beim Lohnschutz, bei den staatlichen Beihilfen, bei der Unionsbürgerrichtlinie. Während sich die Frage der Beihilfen vergleichsweise einfach klären lässt, hängen die zwei anderen Probleme mit dem Wirken des Europäischen Gerichtshofs zusammen. Es geht darum, dass die Schweiz ihre Souveränität auch bei einer dynamischen Rechtsentwicklung behält. Die CVP forderte darum immer, dass Parlament und Volk bei der dynamischen Rechtsübernahme die Möglichkeit zu frühzeitiger Mitbestimmung eingeräumt wird. Es muss uns gelingen, möglichst zu verhindern, dass der Europäische Gerichtshof mit seinen Entscheiden den Schweizer Lohnschutz oder unsere Sozialgerichtsentscheide wieder aushebeln könnte. Nur dann weicht auch die Linke von ihren Maximalforderungen beim Lohnschutz ab.

Das bedeutet nicht nachverhandeln, sondern neu verhandeln ...
Es braucht einen besseren Vertrag. Wie man dazu kommt, ist Sache des Bundesrats. Man muss in einem Vertrag – sehr vereinfacht gesagt – nebst den vom Bundesrat genannten drei Punkten die Frage der Souveränität der Schweiz bei der dynamischen Rechtsübernahme gerade auch mit Blick auf den Europä­i-schen Gerichtshof klären. Die Details sind komplex. Da braucht es meiner Meinung nach noch einiges an Arbeit unter klarer Führung des Bundesrats.

Daran zweifeln Sie?
Aussenminister Ignazio Cassis wirkt immer unsicherer, und der für die Verhandlungen zuständige Staatssekretär Roberto Balzaretti ist ein Unguided Missile. Der Bundesrat in neuer Zusammensetzung aber macht einen entschiedeneren Eindruck. Vor allem seit FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter das Heft bei den Verhandlungen mit den Sozialpartnern in die Hand genommen hat. Sie hat klare Grundsätze und Gestaltungswillen.

Und was, wenn Brüssel wie angekündigt nicht verhandelt?
Jedes Piesacken schadet. Die EU ist gut beraten, wenn sie die Schweiz nicht als Rosinenpickerin ansieht, sondern als verlässliche Vertragspartnerin und gute Zahlerin. Dass die EU die provisorisch erteilte Börsenäquivalenz nicht verlän-gert, reduziert die Chancen auf ein mehrheitsfähiges Rahmenabkommen. Wenn die EU das Abkommen wirklich will, muss sie ihre Haltung massiv ändern.

Viel guter Wille ist beim politischen Thema berufliche Vorsorge gefordert, das diese Woche wieder aktuell wird. Zimmert die CVP auch da an einer Lösung?
Wie ich höre, gibt es nach langen Gesprächen zwischen den Sozialpartnern immer noch keinen Konsens. Sie wollen wohl diese Woche mit einem Bericht bei Bundesrat Berset vorstellig werden. Klar ist für mich: Wie bei der AHV muss die Politik auch hier den Konsens beim Volk in kleinen Schritten abholen.

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