Neue Initiative spaltet die Parteien
Automatisch Organspender – ausser, man sagt Nein

Eine Volksinitiative will die Zahl der Organspenden erhöhen. Wer nicht explizit Nein sagt, dem sollen Organe entnommen werden dürfen. Derweil wird die Situation vor allem für Herzpatienten immer akuter.
Publiziert: 16.10.2017 um 23:40 Uhr
|
Aktualisiert: 12.09.2018 um 08:34 Uhr
1/2
Heute muss man schriftlich festhalten, wenn man im Todesfall seine Organe spenden will. (Symbolbild)
Foto: KEYSTONE/GAETAN BALLY
Nico Menzato

1502 Patienten warteten Ende September auf eine Organspende. Aber nur gerade bei 105 verstorbenen Personen durften Mediziner in dieser Zeit Organe entnehmen – und konnten dadurch 331 Transplantationen durchführen. Das sind die neusten, erschreckenden Zahlen der Stiftung Swisstransplant, die BLICK vorliegen.

Lange Warteliste für Herzpatienten

Wenn auch nicht alle Verstorbenen als Organspender in Frage kommen – der Bedarf könnte problemlos gedeckt werden. Denn jedes Jahr sterben rund 65'000 Personen in der Schweiz. Besonders die Aussichten für herzkranke Patienten haben sich rasant verschlechtert: So ist die Warteliste von Ende März bis Ende September von 224 auf 507 angestiegen. Viele dürften vergebens hoffen.

Eine Volksinitiative versucht jetzt die prekär tiefe Zahl der Organspenden zu erhöhen. Künftig sollen Personen, die sich nicht weigern, automatisch zum Spender werden. Heute müssen sie explizit ihre Zustimmung geben – mit der Einführung der sogenannten Widerspruchslösung soll dies nun umgekehrt werden. Die Junge Wirtschaftskammer wird ihre Initiative heute in Bern lancieren, Swisstransplant unterstützt sie.

Nationalrat dafür, Ständerat dagegen

Foto: KEY

Im Parlament war die Einführung der Widerspruchslösung höchst umstritten. So stimmte der Nationalrat 2013 einem entsprechenden Vorstoss zu, der Ständerat versenkte das Ansinnen wenig später. 2015 verlangte CVP-Nationalrätin Viola Amherd (55, VS), die sich zuvor für die Einführung der Widerspruchslösung ausgesprochen hatte, dass die heutige Krankenversichertenkarte erweitert und darauf die Frage zu Organspende beantworten wird.

Die Schweiz habe im Verhältnis zur Bevölkerungszahl nur halb so viele Spender wie unsere Nachbarländer Frankreich, Österreich und Italien. «Es gibt offensichtlich Handlungsbedarf», so Amherds Appell damals. Vergebens! Wiederum stimmte die Grosse Kammer zu – die Kleine Kammer schickte die Idee bachab.

Dabei zeigt sich kein Links-rechts-Graben, sondern vielmehr eine Schneise zwischen Liberalen und Konservativen quer durch alle Parteien: Sowohl bei SP und FDP, die zustimmten, gab es Abweichler. Einige mehr jedoch bei CVP und SVP, die mehrheitlich Nein sagten.

Foto: KEY

«Das ist Organ-Raub»

«Das Recht auf körperliche Unversehrtheit bis über den Tod hinaus ist nicht verhandelbar», sagt etwa CVP-Nationalrätin Ruth Humbel (60, AG). Um trotzdem die Anzahl Spender zu erhöhen, will sie wie Parteikollegin Amherd beim Ausbau der Versichertenkarte ansetzen.

Auch Ethiker haben grosse Bedenken: Bei der Widerspruchslösung werde in Kauf genommen, dass man allenfalls einem Menschen Organe entnehme, der dies nicht wollte. «Das ist Organ-Raub», so Ruth Baumann-Hölzle (60), die Leiterin des Instituts Dialog Ethik in Zürich.

Der Anspruch jedes Menschen auf Autonomie und Integrität werde dadurch missachtet, warnt die Ethikerin weiter. «Ein grundlegendes Menschenrecht würde ausser Kraft gesetzt.»

Bundesrat warnt vor Eingriff in Persönlichkeitsrechte

Auch der Bundesrat empfahl die Vorstösse zur Ablehnung. «Der behauptete positive Effekt der Widerspruchslösung ist nicht genügend belegt, als dass eine solche Regelung den Eingriff in die Persönlichkeitsrechte rechtfertigen würde.»

Das letzte Wort über diese ethisch delikate Frage wird das Volk haben ­­– sofern die nötigen 100'000 Unterschriften zustande kommen.

Die Schweiz ist Pionierin

Transplantiert wurde bereits im 17. Jahrhundert: Der Holländer Job van Meekeren beschreibt einen Fall, bei dem er einen Defekt im Schädelknochen eines Adligen mit einem Transplant aus einem Hundeschädel ersetzt. In der Organtransplantation leistete der Schweizer Chirurg Theodor Kocher Pionierarbeit. Ihm gelang 1883 eine der ersten modernen Transplantationen – er implantierte Schilddrüsengewebe und erhielt 1909 den Nobelpreis für Medizin. Die erste menschliche Niere wurde 1933 transplantiert – der Patient starb nach vier Tagen.

1967 wurde in Südafrika das erste Herz verpflanzt, 1989 die weltweit hunderttausendste Nierentransplantation durchgeführt. Zur Jahrtausendwende wurden bereits rund 470'000 Nieren, 74'000 Lebern, 54'000 Herzen und 10'000 Lungen transplantiert.

Transplantiert wurde bereits im 17. Jahrhundert: Der Holländer Job van Meekeren beschreibt einen Fall, bei dem er einen Defekt im Schädelknochen eines Adligen mit einem Transplant aus einem Hundeschädel ersetzt. In der Organtransplantation leistete der Schweizer Chirurg Theodor Kocher Pionierarbeit. Ihm gelang 1883 eine der ersten modernen Transplantationen – er implantierte Schilddrüsengewebe und erhielt 1909 den Nobelpreis für Medizin. Die erste menschliche Niere wurde 1933 transplantiert – der Patient starb nach vier Tagen.

1967 wurde in Südafrika das erste Herz verpflanzt, 1989 die weltweit hunderttausendste Nierentransplantation durchgeführt. Zur Jahrtausendwende wurden bereits rund 470'000 Nieren, 74'000 Lebern, 54'000 Herzen und 10'000 Lungen transplantiert.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?