In einem Beitrag in der SVP-Zeitung «Klartext» schiesst SVP-Nationalrätin Verena Herzog (63) scharf. «Familie ist stärker als Krippe», wettert die Thurgauerin und kritisiert die «Dauersubventionierung» der Tagesstätten sowie Bemühungen aus Bundesbern, den Kleinsten einen besseren Zugang zu frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung zu bieten.
Die Linke fordere flächendeckend noch mehr staatliche Förder- und Erziehungsmassnahmen, schreibt die Kindergärtnerin und SVP-Bildungspolitikerin. «Dies erinnert an das verwerfliche Gedankengut, mit welchem die Verdingkinder zur besseren Erziehung weggegeben wurden.» Bei «solchen Eingriffen» solle der Staat mehr Zurückhaltung üben.
Wie bitte? Die SVP-Frau vergleicht Krippenkinder mit Verdingkindern. Mit jenem dunklen Kapitel der 60er- und 70er-Jahre also, in dem Hunderttausende aus ihren Familien gerissen und beispielsweise an Bauern vermittelt wurden, wo sie als günstige Arbeitskraft ausgenutzt und misshandelt wurden.
Verdingkind: «Könnte Frau Herzog verklagen»
«Ich bin entsetzt», sagt der ehemalige Verdingbub und heutige Präsident des Vereins Fremdplatziert, Robert Blaser (62), zu BLICK. Er hätte sich gewünscht, seine Mutter, die aus finanziellen Gründen arbeiten musste, hätte die Möglichkeit gehabt, ihn und seine zwei Geschwister in eine Kinderkrippe zu schicken.
Der Vergleich sei haarsträubend. «Kaum waren Babys auf der Welt, wurden diese entweder fremdplatziert oder zur Zwangsadoption freigegeben», so Blaser, der als Sechsjähriger seiner Familie entrissen wurde.
An die Adresse von Herzog sagt er enttäuscht: «Und nun kommen Sie und behaupten, dies sei zum Zweck der Nacherziehung gewesen.» Blaser verlangt eine öffentliche Entschuldigung für einen solchen «abscheulichen Vergleich», und er beabsichtigt, rechtlich Schritte einzuleiten. «Für eine solche Aussage könnte ich Frau Herzog verklagen.»
Kita: «Vergleich ist grobfahrlässig»
Entsetzt sind auch die Vertreter der Kinderkrippen: «Dass SVP-Nationalrätin Herzog die familien- und schulergänzende Kinderbetreuung in den Dreck zieht und die Eltern, die diese Angebote nutzen, als Rabeneltern darstellt – das allein geht schon deutlich zu weit», sagt Rosmarie Quadranti (61), Präsidentin des Fachverbands Kinderbetreuung Schweiz (Kibesuisse) und BDP-Nationalrätin.
Mit dem «unsäglichen» Verdingkind-Vergleich seien die Grenzen des Anstands aber deutlich überschritten, das sei unterste Schublade. «Man müsste schreien ob dieses Unsinns.» Kinder würden in der Regel von ausgebildeten und engagierten Berufsleuten begleitet, die sich am Kindeswohl ausrichten, so die Zürcher Parlamentarierin. «Verdingkinder hingegen erlebten oft das nackte Grauen und Unrecht, das damals schon unrecht war. Dies mit der Situation heute in der familien- und schulergänzenden Betreuung zu vergleichen, ist grobfahrlässig oder einfach nur dumm.»
Herzog: «Staat hat die Finger von den Kindern zu lassen»
SVP-Nationalrätin Herzog hingegen rechtfertigt ihren Vergleich. «Der Staat hat die Finger von den Kindern zu lassen – das gilt für damals wie für heute», sagt sie zu BLICK. «Der Egoismus einzelner Frauen ist grenzenlos, wenn sie sich ohne feste Beziehung trotzdem ihren Kinderwunsch erfüllen und, ohne die Bedürfnisse des Kindes zu berücksichtigen, Kinderkrippen missbrauchen, indem sie ihre Kleinen die ganze Woche abgeben.»
Sie habe nichts gegen Krippen, sofern sie eine Ergänzung der Familienbetreuung darstellen würden und Eltern, sofern finanziell möglich, mindestens teilweise dafür aufkommen, sagt die dreifache Mutter. Jetzt werde aber von links gefordert, dass jedem Kind ab Geburt der Zugang zu frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung garantiert sein müsse.
Herzog hat den Verdacht und die Befürchtung, alle Eltern werden früher oder später gezwungen, ihre Kinder in die Früherziehung schicken zu müssen, so wie auch das Kindergartenobligatorium plötzlich erfolgt sei. Bei Sitzungen in der Bildungskommission wollte dies niemand explizit ausschliessen, sagt die SVPlerin. «Das wäre ein massiver Eingriff in die Erziehungspflicht der Eltern.»
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss verbessert werden! Diese Forderung hat in Bundesbern derzeit Hochkonjunktur. Wegen des Fachkräftemangels, aber auch aufgrund der angestrebten Gleichstellung zwischen Mann und Frau, wird versucht, Frauen nach einer Geburt vermehrt im Berufsleben zu halten.
Das wichtigste Element sind die Kindertagesstätten: So hat das Parlament kürzlich beschlossen, neue Kita-Plätze weiterhin zu subventionieren. Die sogenannte Anschubfinanzierung läuft schon seit 15 Jahren und wurde nun zum dritten Mal – bis 2023 – verlängert. Das Kostendach beträgt 125 Millionen Franken. Auch unterstützt der Bund seit kurzem jene Kantone und Gemeinden stärker, die ihre Subventionen für die familienergänzende Kinderbetreuung erhöhen.
Auch steuerpolitisch hat die Politik Hebel in der Hand. So sollen jene Eltern finanziell entlastet werden, die ihren Nachwuchs fremdbetreuen lassen. Der Nationalrat hat im Frühling beschlossen, dass solche Eltern bei der Bundessteuer statt wie heute 10’100 Franken künftig 25'000 Franken in Abzug bringen können. Im Herbst ist nun der Ständerat am Zug.
Bundesbern hat aber auch die unter vierjährigen Kinder entdeckt. Eine Allianz will die frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung ausbauen. Gemeint sind Angebote wie etwa Elternberatungen, Spielgruppen oder Familienbesuche. Wie dies konkret geschehen und wie viel Geld dafür ausgegeben werden soll, darüber streiten sich derzeit die Bildungspolitiker. Nico Menzato
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie muss verbessert werden! Diese Forderung hat in Bundesbern derzeit Hochkonjunktur. Wegen des Fachkräftemangels, aber auch aufgrund der angestrebten Gleichstellung zwischen Mann und Frau, wird versucht, Frauen nach einer Geburt vermehrt im Berufsleben zu halten.
Das wichtigste Element sind die Kindertagesstätten: So hat das Parlament kürzlich beschlossen, neue Kita-Plätze weiterhin zu subventionieren. Die sogenannte Anschubfinanzierung läuft schon seit 15 Jahren und wurde nun zum dritten Mal – bis 2023 – verlängert. Das Kostendach beträgt 125 Millionen Franken. Auch unterstützt der Bund seit kurzem jene Kantone und Gemeinden stärker, die ihre Subventionen für die familienergänzende Kinderbetreuung erhöhen.
Auch steuerpolitisch hat die Politik Hebel in der Hand. So sollen jene Eltern finanziell entlastet werden, die ihren Nachwuchs fremdbetreuen lassen. Der Nationalrat hat im Frühling beschlossen, dass solche Eltern bei der Bundessteuer statt wie heute 10’100 Franken künftig 25'000 Franken in Abzug bringen können. Im Herbst ist nun der Ständerat am Zug.
Bundesbern hat aber auch die unter vierjährigen Kinder entdeckt. Eine Allianz will die frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung ausbauen. Gemeint sind Angebote wie etwa Elternberatungen, Spielgruppen oder Familienbesuche. Wie dies konkret geschehen und wie viel Geld dafür ausgegeben werden soll, darüber streiten sich derzeit die Bildungspolitiker. Nico Menzato