Nächste Woche öffnen Berufs- und Mittelschulen
Zu wenig Platz für Corona-Vorschriften

Der zwei Meter Abstand in den Schulen geraten zunehmend unter Beschuss: In der Praxis könne man sie nicht einhalten. Jetzt schaltet sich die Politik ein.
Publiziert: 04.06.2020 um 22:50 Uhr
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Aktualisiert: 05.06.2020 um 16:20 Uhr
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Am Montag geht es für ihn wieder los: Christian Wölfle, Rektor KV Zürich. «Der Fernunterricht wird eingestellt», sagt er.
Foto: Ramona Schelbert
Tobias Bruggmann, Lea Hartmann und Ramona Schelbert

Seit knapp einem Monat sehen die Primar- und Sekschüler ihre Lehrer nicht mehr nur via Bildschirm. Der Präsenzunterricht ist wieder erlaubt – allerdings unter Bedingungen. Ab Montag folgen die Gymnasien und Berufsschulen. Ihre Schutzkonzepte sind noch strenger.

So gilt die Zwei-Meter-Regel nicht nur zwischen Schülern und Lehrern, sondern auch unter den Schülern. Für viele Schulen bedeutet das, dass eine Rückkehr zur Normalität nicht möglich ist. Teilweise bleibt man gleich ganz beim Fernunterricht. Oder der Unterricht findet nur in Halbklassen statt.

Keine Playstation und Sofas

So zum Beispiel die KV Zürich. Rektor Christian Wölfle (52) zeigt Blick TV die Schutzvorkehrungen. In den Gängen gilt Einbahnverkehr: 1,5 Kilometer Klebeband hat die Schule eingekauft, um Treppen und Abstände zu markieren.

Obwohl nur in Halbklassen unterrichtet wird, sagt Wölfle: «Der Fernunterricht wird eingestellt.» Wer nicht im Schulhaus lernt, bekommt Hausaufgaben. «Dadurch kommt man vermutlich etwas weniger schnell voran. Unsere Lernenden sind aber durch die vielen Wochen Fernunterricht geübt, selbstorganisiert zu lernen.»

Auf Luxus müssen die Lehrlinge verzichten. Ein beliebter Rückzugsort war die Mediathek. «Wir haben sämtliche Goodies wie Playstation oder Sofas entfernt.» Ein belebter Ort – jetzt muss man dafür eine Nummer ziehen.

«Das ist widersinnig»

Politikerinnen fordern den Bundesrat nun auf, die Zwei-Meter-Regel an Schulen schnellstens zu kippen. Grünen-Nationalrätin Manuela Weichelt-Picard (52) ruft die Regierung dazu auf, die Aufhebung sofort zu beschliessen. «Wegen der Abstandsregeln bleibt der Fernunterricht an weiterführenden Schulen in einigen Kantonen bis mindestens zu den Sommerferien bestehen, gleichzeitig aber erlaubt der Bundesrat wieder Prostitution und enges Tanzen in der Disco. Das ist so etwas von widersinnig!»

Ins gleiche Horn stösst Parteikollegin Florence Brenzikofer (45). «Als Seklehrerin merke ich, dass die Zwei-Meter-Regel an Schulen nicht realistisch ist.» Auch bei weiterführenden Schulen soll der Normalbetrieb rasch wieder aufgenommen werden. «Die jungen Erwachsenen brauchen wieder Struktur.» Doch die Aufnahme des Präsenzunterrichts sei nur möglich, «wenn die Zwei-Meter-Regel gelockert oder ganz aufgehoben wird».

Probleme auch in der Primar

Auch an der Volksschule wird die Abstandsregel in Frage gestellt, auch wenn sie nur zwischen Lehrern und Schülern gilt. «Wir haben uns wirklich bemüht, die Abstandsregeln einzuhalten, arbeiten mit Visualizer, haben die Tische umgestellt und extra zwei Meter abgemessen. Aber man muss ehrlich sein: Es ist illusorisch, die Abstandsregeln ständig einzuhalten, schon allein aufgrund der Zimmergrösse», sagt Alessandro Mazza (29), Lehrer einer fünften Klasse in Ostermundigen BE.

Auch Christian Hugi (41), Präsident des Zürcher Lehrerverbandes und selbst Unterstufenlehrer, sagt: «Gerade im Kindergarten und auf der Unterstufe ist es kaum realistisch, die Abstandsregeln immer zu hundert Prozent einzuhalten.» Grundsätzlich gelte: Je älter die Schüler sind, desto besser geht es. «Aber mir haben auch schon Sekundarlehrer gesagt, dass es anspruchsvoll ist, die Regeln einzuhalten.»

Die oberste Lehrerin, Dagmar Rösler (48), kennt das Problem. «Die zwei Meter Abstand können nicht immer strikte eingehalten werden. Manchmal geht man in einer spontanen Reaktion zum Schüler, da muss man sich wieder die Schutzmassnahmen in Erinnerung rufen.» Einige Schulen stellen ihren Lehrern mittlerweile auch Plexiglasvisiere zur Verfügung. «Das ist zwar nicht unbedingt angenehm, hat sich aber bewährt.»

Basel erlaubt 15 Minuten engen Austausch

In Basel haben sich zahlreiche Lehrer beim Erziehungsdepartement wegen der realitätsfremden Regeln beschwert, berichtet die «bz Basel». Die Zwei-Meter-Regel wurde daraufhin präzisiert. In einer neuen Version eines Leitfadens für Schulen schreibt der Kanton, dass der Abstand «möglichst eingehalten» werden soll. Bis zu 15 Minuten in engerem Austausch seien erlaubt, wenn der Abstand nicht eingehalten werden kann.

Das sei alles BAG-konform, sagt Mediensprecher Simon Thiriet. Er betont, dass die Zwei-Meter-Regel an Basler Schulen nicht aufgehoben sei. «Das haben wir immer so gesagt und daran ändert sich auch nichs.» Die räumliche Situation sei aber von Schule zu Schule unterschiedlich. «Deshalb waren diese Präzisierungen notwendig.»


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