Gestern Vormittag in Bern. Ein entspannter Albert Rösti trifft SonntagsBlick zum Gespräch. Nach dem Wahlherbst ist der SVP-Präsident in sich gegangen. Der 52-Jährige hat sich entschieden: Im kommenden Frühling gibt er das Präsidium der Partei ab.
SonntagsBlick: Herr Rösti, seit dem 20. Oktober mahnen Sie eine «schonungslose» Aufarbeitung der Wahlniederlage der SVP an. Sind auch Sie als Parteipräsident über die Bücher gegangen?
Albert Rösti: Ja, sogar sehr intensiv. Das Wahlresultat war aufgrund der grünen Welle nicht auf der Rekordhöhe von 2015 zu halten. Mir wurde aber auch klar, dass die SVP grosse Arbeit in den Kantonen leisten muss. Ich habe in den vergangenen vier Jahren festgestellt, dass die Strukturen teils nicht funktionieren. Bei elementaren Aufgaben wie der Plakatierung, der Mund-zu-Mund-Propaganda oder der Präsenz an Versammlungen haben wir zum Teil grosse Defizite. Ein zukünftiger Parteipräsident muss da noch mehr Zeit investieren können, wohl auf Kosten der politischen Frontarbeit.
Heisst das, Sie treten im Frühling nicht mehr zur Wiederwahl an?
Ich habe mich entschieden, aufgrund der geschilderten Ausgangslage nicht mehr als SVP-Präsident anzutreten. Mit dem schweizweit besten Wahlergebnis haben mir die Wähler das Vertrauen in meine politische Arbeit bestätigt. Ich will mich deshalb im Parlament noch stärker den wichtigen politischen Dossiers widmen. Ebenso wurde ich für mein 40-Prozent-Mandat als Gemeindepräsident von Uetendorf klar wiedergewählt und ich will auch wieder etwas mehr Zeit für die Familie und die privaten Geschäfte haben.
Warum haben Sie den Entscheid gerade jetzt gefällt?
Man muss es jetzt entscheiden. Das Präsidium wird alle zwei Jahre gewählt, aber eine Partei funktioniert in einem Vierjahresrhythmus. Jetzt gilt es, einen Präsidenten für die Wahlen 2023 aufzubauen. Ich stand acht Jahre an der Front: als Mitglied der Kampagnenleitung der Masseneinwanderungs-Initiative, 2015 als Wahlkampfleiter, schliesslich vier Jahre als Parteipräsident.
Worauf wollen Sie sich als Nationalrat konzentrieren?
Ich habe die Aussicht, in zwei Jahren das Präsidium der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit zu übernehmen. Dort stehen bei der Altersvorsorge und im Gesundheitswesen zentrale Weichenstellungen an. Weiter werde ich in der Klimapolitik der SVP-Linie Gewicht verschaffen. Ich musste mich entscheiden, ob ich praktisch keine Kommissionsarbeit machen will und mich dafür auf das Parteipräsidium zu konzentrieren – oder umgekehrt.
Kurz nach den Wahlen gaben Sie sich noch kämpferischer!
An Kampfeswille fehlt es auch für die Zukunft nicht. Wir standen aber inmitten der zweiten Wahlgänge für den Ständerat, dann folgte die Bundesratswahl. Beide Wahlen haben wir bravourös gemeistert.
Wenn Sie von strukturellen Schwächen der SVP sprechen: Halten Sie sich für den Falschen, diese Schwächen zu korrigieren?
Selbstkritisch stelle ich fest: Ich bin kein Restrukturierer, sondern ein Gestalter. Mit harter Hand in den Kantonen durchzugreifen, liegt mir weniger. Ich bin überzeugt, dass ich der Partei auch in Zukunft nützen kann, wenn ich mich voll in den wichtigsten Dossiers engagiere. Da liegen meine Stärken. Hinzu kommt, dass das SVP-Parteipräsidium im Gegensatz zu anderen Parteien nicht entschädigt ist. Da stellte sich für mich mit 52 Jahren auch die Frage nach meiner langfristigen beruflichen Zukunft.
Inwiefern?
Meine Tätigkeit als Berater habe ich in den vergangenen Jahren massiv zurückgeschraubt. Hier will ich wieder zulegen.
Wenn wir Sie richtig verstehen, ist die SVP in den Kantonen schlecht aufgestellt.
Die Kantonalparteien und ich haben selbstverständlich vieles richtig gemacht, unter anderer Führung wäre das Wahlresultat vielleicht schlechter ausgefallen. Aber manche Reibereien in den Kantonen müssen verschwinden und die Mobilisierung unserer Wählerschaft muss sich verbessern.
Also ist Ihnen die Basis nicht gefolgt?
Sie ist mir sehr wohl gefolgt! Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen. Wo die Kantonalparteien besser funktionieren, fiel auch das Wahlergebnis besser aus. Die Partei ist heute inhaltlich geeint. Aber es stehen wichtige Geschäfte wie die AHV-Revision, die Begrenzungs-Initiative oder das Rahmenabkommen an.
Sie sind vier Jahre Präsident. Ist diese Zeitspanne nicht zu kurz, um eine Partei zu prägen?
Wie erwähnt, politisiere ich jetzt bereits acht Jahre an vorderster Front. Zudem sind im heutigen politischen Umfeld vier Jahre eine lange Zeit. Ich habe den Rückhalt der Basis, und meine Wiederwahl im März wäre Formsache gewesen.
Die SVP-Basis hinter sich zu wissen, ist eine Sache, Christoph Blocher eine andere. Fühlten Sie sich noch von ihm getragen?
Ich habe aus den genannten Gründen entschieden, nicht mehr anzutreten. Die Zürcher Sektion sprach mir an ihrer Delegiertenversammlung ja sogar einstimmig das Vertrauen aus.
Aber jeder SVP-Präsident ist ein Präsident unter Christoph Blocher.
Er ist eine prägende Figur, ich habe von seiner Erfahrung profitiert und politisierte als Präsident selbständig. Letztlich geht es um den Erhalt der Freiheit, der Unabhängigkeit von der EU, und das ist in der bestehenden Konstellation bisher gut gelungen.
Blocher steht für einen aggressiven politischen Stil. Waren Sie ein zu nettes Gesicht für die SVP?
Das Gegenteil war der Fall. Eine Partei, die so schnell gewachsen ist, brauchte eine ausgleichende Figur in den letzten Jahren. Nett sein ist nichts Schlechtes. Gerade, wenn wir künftig wieder mehr Junge anziehen wollen. In den Kantonen aber ist wohl am einen oder anderen Ort eine härtere Hand gefragt.
Heute reisst sich kaum noch jemand um das Parteipräsidium: Petra Gössi, Gerhard Pfister, aber auch Sie sind alle ohne Gegner angetreten. Warum ist das Amt so unattraktiv?
Ich habe das Amt gewollt und gelebt, sonst hätte ich mich damals nicht zur Verfügung gestellt.
Dennoch: Heiss begehrt ist der Job nicht.
Es ist natürlich ein Amt, das man aus Überzeugung machen muss, denn die Belastung steht in Bezug auf die Entschädigung in keinem Verhältnis. Parteipräsident ist man rund um die Uhr, manchmal fast 24 Stunden pro Tag. Für jemanden, der nebst dem Nationalratsmandat noch beruflich stark eingebunden ist, ist das zeitlich fast nicht machbar.
Würde eine Entschädigung helfen, das Amt attraktiver zu machen?
Jeder Sektionspräsident in den Gemeinden arbeitet ehrenamtlich. Wenn ich dem Bauern im Berner Oberland, der jede Woche 60 Stunden arbeitet und daneben noch Parteipräsident ist, sagen will, was er machen soll, ist es einfacher, wenn er weiss: Der macht das auch freiwillig.
Was muss Ihr Nachfolger mitbringen, um die SVP leiten zu können?
Die Bereitschaft, auch hinter den Kulissen einen grossen Einsatz zu leisten.
Für Ihre Nachfolge sticht von den aktuellen Parlamentariern niemand hervor. Das zeigt doch: Der SVP fehlt es an überzeugendem Personal!
Das stimmt nicht! Aber es ist sicher nicht an mir, über mögliche Namen von Nachfolgern zu spekulieren. Wir werden jetzt die Kantonalsektionen auffordern, uns mögliche Interessenten zu nennen.
Was war der schwierigste Moment Ihrer Präsidentschaft?
Dass wir mit der Selbstbestimmungs-Initiative nicht über 40 Prozent Ja-Stimmen hinauskamen, enttäuschte mich. Und da ist man als Präsident natürlich jene Person, die die Verantwortung übernimmt – egal, was sonst noch schiefgelaufen ist.
Und der schönste Moment?
Davon gab es viele. Einer, der mir geblieben ist, war ein Anlass diesen Sommer in der Stadt Zürich auf dem Münsterhof. Gekommen waren gegen 1000 Personen. Ich sollte eine Rede halten, um die Leute für die Wahlen zu motivieren. Als ich fertig war, gab es Standing Ovations. Und das in Zürich, für einen Berner Präsidenten (lacht).