«Sie ist wahnsinnig berechnend», sagt eine frühere Mitarbeiterin der einstigen St. Galler Justizdirektorin. «Blitzgescheit», sagen andere. Und SP-Boss Christian Levrat (49) hat nie verhehlt, wie gut er mit Karin Keller-Sutter (56) im Ständerat konnte.
Gerade im Europa-Dossier durfte der Obergenosse sich auf die Freisinnige verlassen. Während Levrat FDP-Aussenminister Ignazio Cassis (58) als «Praktikanten» im Bundesrat abkanzelte, hätte er seine Ostschweizer Ratskollegin wohl als Meisterin des Stöcklis loben müssen.
Verlässliche Partnerin im Europa-Dossier
Seit einem Jahr amtet Keller-Sutter nun aber als Eidgenössische Justizministerin. Noch heute ist sie im Bundesrat eine verlässliche Partnerin, wenn es um die Beziehungen zur Europäischen Union und die Absicherung des bilateralen Wegs geht.
Die beiden SP-Magistraten Simonetta Sommaruga (59) und Alain Berset (47) sowie CVP-Verteidigunsministerin Viola Amherd (57) haben in der siebenköpfigen Landesregierung dank KKS – wie Keller-Sutter genannt wird – eine stabile Mehrheit in Europafragen.
Wenn es aber um Asyl- und Sozialfragen geht, kann sich Mitte-links je länger je weniger auf KKS verlassen. Wie der «Tages-Anzeiger» publik gemacht hat, wollte die St. Gallerin nun sogar die Sippenhaft für Ausländerfamilien einführen.
Nach heftigen Opposition von Mitte-links krebste Keller-Sutter zurück – obwohl sie mit Cassis und den beiden SVP-Bundesräten Ueli Maurer (69) und Guy Parmelin (60) eine Mehrheit gehabt hätte.
Gleich zu Amtsbeginn vorgeprescht
Es ist nicht das erste Mal, dass die Asylministerin einen knallharten Kurs fährt. Schon kurz nach Einzug in den Bundesrat preschte Keller-Sutter vor und warf die Bemühungen ihrer Vorgängerin Simonetta Sommaruga (59) über den Haufen: Ohne Absprache mit den anderen sechs Regierungsmitgliedern machte KKS klar, dass sie Schweizer Dschihad-Reisende nicht in unserem Land vor Gericht stellen, sondern sie in den Gefangenenlagern Syriens lassen will. Und im Herbst zog sie die Schraube bei der Ausschaffung abgewiesener Asylbewerber an.
Dennoch machte sie bei den Bundesratswahlen am 11. Dezember 2019 nur gerade 169 Stimmen – das zweitschlechteste Ergebnis nach Cassis, dessen Sitz aber von Links-Grün angegriffen wurde. Augenscheinlich SVPler hatten 21-mal Marcel Dobler, also den Namen des 39-jährigen St. Galler FDP-Nationalrats, statt Keller-Sutter auf den Wahlzettel geschrieben.
Nun sehe sich die Justizministerin bemüssigt, sich der SVP als stramm bürgerliche Asylhardlinerin anzudienen, heisst es aus anderen Departementen. Schliesslich hat sich die Partei unter den Fittichen von alt Bundesrat Christoph Blocher (79) im Abstimmungskampf zur Kündigungs-Initiative auf die St. Gallerin eingeschossen.
Denn bei der SVP-Volksinitiative, die die Kappung der Personenfreizügigkeit mit der EU zur Folge hat, ist Keller-Sutter wieder verlässlich im Boot der Anhänger des bilateralen Wegs.
Der Plan geht nicht auf
Ob die Rechnung aufgeht, mit der von ihr geplanten Sippenhaft ein Instrument aus den ganz düsteren Kapiteln der Geschichte vorzuschlagen und so bei der SVP zu punkten, ist fraglich – und daher politisch überflüssig.
Wenn Linke nun vom neuen, alten Kurs der Asylhardlinerin Keller-Sutter enttäuscht sind, vergessen sie eines: Schon als St. Galler Regierungsrätin war KKS wegen ihrer knallharten Linie schweizweit berüchtigt. Sie galt als «Eiserne Lady aus der Ostschweiz».