Am vergangenen Wochenende berichteten die Medien über den Sultan von Brunei, der für Homosexuelle die Todesstrafe angekündigt hatte. Und sie berichteten über den Auftritt des TV-Stars Sven Epiney (47) bei der Tanzshow «Darf ich bitten?», wo er um die Hand seines Freundes angehalten hatte. Als die ersten Onlineberichte erschienen, begannen die Leser, Kommentare zu schreiben. Es waren viele Kommentare. Und viele davon mussten deaktiviert werden.
Weil sie vor Schwulenfeindlichkeit strotzten. Weil ihre Sprache krud und schamlos war. Weil sie häufig ins Obszöne kippten. Der Artikel «Sven Epiney macht Freund einen Antrag» auf Blick.ch erschien noch am Abend der Tanzshow-Ausstrahlung. 265 Kommentare gingen zu diesem Artikel ein. Viel Arbeit für das Moderationsteam. Es las Sätze wie diesen: «Gratuliere, jetzt feiert das Fernsehen schon die Perversen.» Oder: «Bald küsst man im TV dann auch … Schweine.» Das waren noch nicht einmal die schlimmsten. Weil das Team den Diskussionsraum nicht einfach schliessen wollte, musste es 172 Kommentare deaktivieren – 65 Prozent. Zum Vergleich: Von allen Kommentaren im März wurden 34 Prozent gelöscht.
Auf Sozialen Medien tut sich ein Abgrund auf
Auch Markus Konrad (55) aus Stansstad NW verschaffte sich per Enter-Taste Luft: «Ich sage nur Sodom und Gomorrah!» Er ist einer der wenigen, die auf eine Rückfrage von SonntagsBlick reagierten: «Homosexualität ist eine Verfehlung. Und man gibt ihr auch noch eine Plattform», rechtfertigt er sich. «Niemand traut sich mehr, etwas dagegen zu sagen.»
Offenbar doch, denn auch Moderationsteams anderer Zeitungen hatten anscheinend mehr zu tun als sonst. Auf der Facebook-Seite des «Tages-Anzeigers» beschwert sich ein zorniger User: «Tamedia wird vermutlich mehrheitlich von LGBT Menschen gesteuert!!? Kritische Kommentare zu ‹Homosexualität› werden nicht wirklich geduldet und sofort gelöscht!»
Schaut man sich in den sozialen Medien weiter um, tut sich ein Abgrund auf. «Nahm er ihn in den Mund?», will ein User auf der Facebook-Seite von «20 Minuten» wissen. «Wird Zeit das sich dieser kranke Teil der Gesellschaft von uns löst», schreibt einer nicht ganz fehlerfrei auf Twitter. «Kann man die nicht auf dem Mond aussetzen?» Orthografisch noch unbeholfener stellt ein anderer den Bezug zum Sultan von Brunei her: «Ich feier jedes Land dass bei solchen zusammenschlüssen diesen personen das licht ausmacht.»
Doch, die Leute trauen sich. Und es sind viele. «Solche Statements illustrieren deutlich, wo das Problem liegt», sagt Roman Heggli (27), Geschäftsleiter der Schwulenorganisation Pink Cross. «Homophobe Äusserungen in der Schweiz nehmen zu.» Erschreckt ihn das? «Nein. Letztlich helfen sie uns sogar, weil es eine Mehrheit gibt, die diese Ausbrüche verwerflich findet.»
Anfeindungen nehmen auch in der analogen Welt zu
Schwulenfeindliche Ausbrüche gibt es nicht nur online, sondern auch in der analogen Welt. «Und auch sie nehmen zu», sagt Roman Heggli. Die meisten seien verbaler Natur: Beschimpfungen und Beleidigungen. Immer wieder komme es aber auch zu Tätlichkeiten; man spricht dann von Hate Crimes, Hassverbrechen. «Durchschnittlich registrieren wir bei Pink Cross fast zwei Hate Crimes gegen Homosexuelle pro Woche in der Schweiz», sagt Heggli. «Aber viele melden solche Angriffe aus Angst oder Scham gar nicht.»
Man reibt sich die Augen: Hat sich denn nicht schon so viel getan? Prominente aus Showbusiness, Politik und Sport bekennen sich offen zu ihrer Homosexualität. Sie ist gesellschaftlich akzeptiert. Seit 2007 gibt es für gleichgeschlechtliche Paare die eingetragene Partnerschaft. Das Parlament diskutiert über die «Ehe für alle». Und doch ist das Thema Schwulenhass noch nicht erledigt.
Max Kranich (21) aus Zürich ist regelmässig damit konfrontiert. Besonders häufig, wenn er im Ausgang ist. Beschimpfungen wie «Dreckschwuchtel» gehören zum Standardprogramm. Aber der Philosophiestudent schildert auch Ereignisse, die weit darüber hinausgehen. Wie die Begegnung mit zwei fremden Männern, die sich zu fortgeschrittener Stunde auf der Strasse vor ihm aufbauten. Und dann laut darüber nachdachten, ob sie ihn nicht vergewaltigen sollten. Um herauszufinden, ob sie dann ebenfalls schwul würden.
Max Kranich ist zwei Meter gross. Das macht Eindruck. «Aber solche Sätze lassen sich nicht einfach wegstecken», sagt er. Das ist mit ein Grund, warum er in der Geschäftsleitung der Milchjugend sitzt, einer Anlaufstelle für junge Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in Bedrängnis geraten.
Hate Crimes gegen Homosexuelle registrieren
Aussagekräftige Zahlen zur Homophobie in der Schweiz gibt es nicht. Rosmarie Quadranti (61) will das ändern: Hate Crimes gegen Homosexuelle sollen registriert werden. Die BDP-Nationalrätin hat deshalb eine Interpellation und eine Motion an den Bundesrat gerichtet. Der aber blockt ab und verweist auf die Kantone. Von denen wiederum eine Mehrheit findet, eine solche Registrierung sei zu aufwendig. «Dabei würde es um ein einfaches Kreuzchen im Polizeirapport gehen», entgegnet Quadranti. Warum will man das Kreuzchen nicht machen? «Weil man sich dann damit befassen müsste.»
Was auch dringend geboten wäre. «Die Stimmung kippt», sagt Quadranti. «Rechtspopulistisches Gebaren ist gesellschaftsfähig geworden. Und mit ihm Angriffe gegen Minderheiten.»
Der Hetze gegen Schwule wirksam entgegentreten will auch das Parlament – mit einer Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm. Nur die EDU und die Junge SVP ergreifen das Referendum dagegen. Sie hätten die Umsetzung solcher Gesetze im Ausland angeschaut, sagt der Pressesprecher des Referendumskomitees, Samuel Kullmann (32). Sein Fazit: «Die Meinungs- und Gewissensfreiheit wird durch solche Gesetze zu stark beschnitten.» Ist Meinungsfreiheit also wichtiger als der Schutz einer Minderheit vor Hetze? Kullmann: «Das Strafgesetzbuch sollte den besonders schweren Fällen vorbehalten bleiben.»
Epiney: «Stete Aufklärung ist wichtig»
Bleibt die Frage, was ein besonders schwerer Fall ist. Und ob es wirklich keine Rolle spielt, welches Motiv hinter einem Angriff steckt. Markus Trachsel (29) findet schon. Er hat Schläge ins Gesicht kassiert. Aus einem einzigen Grund: weil er schwul ist.
Sven Epiney, der im Zentrum der jüngsten homophoben Ausbrüche steht, sagt zu SonntagsBlick: «Ich persönlich hatte bis jetzt zum Glück kaum negative Reaktionen.» Die Akzeptanz sei von Anfang an da gewesen. In der Familie, bei Freunden, in seinem Umfeld. «Ich weiss, dass es hierzu unzählige andere Geschichten gibt und wir teilweise noch nicht da sind, wo wir sein sollten. Umso wichtiger ist die stete Aufklärung bei diesem Thema.»
Onlinekommentare, Tweets und Posts, aber auch die Gewalt gegen Homosexuelle jenseits des Internets bestätigen Epineys Eindruck: Aufklärung ist wichtiger denn je.