Miese Tricks bei Unterschriftensammlung für Schwulenhetze-Abstimmung
«Wir wurden angelogen»

Schwere Vorwürfe an die EDU: Die Partei habe mit bewusster Täuschung Unterschriften für ihr Referendum gegen das Anti-Schwulenhetze-Gesetz sammeln lassen, klagen 30 Stimmbürger an. Pikant: Die Firma, die für die EDU sammelte, greift jetzt ihren Auftraggeber an.
Publiziert: 25.04.2019 um 23:10 Uhr
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Aktualisiert: 27.01.2020 um 11:38 Uhr
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Klagt an: Die Anwältin Audrey Voutat bezichtigt das Referendumkomitee des «Anti-Schwulenhetze-Gesetzes» des versuchten Betrugs.
Foto: Zvg
Cinzia Venafro

Es geschah im Februar und März in Biel, Neuenburg, Freiburg und Sitten: Mitarbeiter der Sammelfirma Incop AG sprachen im Auftrag der rechtskonservativen Partei EDU Passanten auf der Strasse an. Ihr Ziel: eine Unterschrift gegen das Homo-Hetze-Verbot.

Denn kurz vor Ende der Sammelfrist sah es schlecht aus für das Referendum. Also bezahlte die EDU die Firma Incop AG, um das Referendum gegen die Ausweitung der Antirassismus-Strafnorm auf die sexuelle Orientierung noch zu schaffen.

«Diese Leute versuchten, mich zu betrügen»

Doch anstatt die Stimmbürger über den wahren Hintergrund des Referendums zu informieren, erzählten diese vereinzelt genau das Gegenteil! Audrey Voutat (30) wurde in Biel von einer Frau angesprochen. «Sie sagte, sie sammle Unterschriften für eine Volksinitiative, die Homosexuellen mehr Rechte geben will», berichtet Voutat.

Das Argument: Homosexuelle hätten im Militär weniger Rechte, und mit einer Unterschrift würde man sich dagegen wehren. Zum Glück lese sie als Anwältin immer genau, was sie unterschreibe – und liess es sein. Voutat klagt an: «Diese Leute versuchten, mich zu betrügen.»

Es ging nicht um Tabakwerbung

Nicht alle sind so aufmerksam. BLICK kennt mehrere Fälle von Stimmberechtigten, die für das Referendum unterschrieben und sich nun betrogen fühlen. Fanny Z.* (40) bekam die gleiche falsche Geschichte aufgetischt wie Voutat – von einem Mann in der Altstadt von Neuenburg. «Im Nachhinein hätte ich stutzig werden müssen. Aber man erwartet doch in unserer direkten Demokratie nicht, dass jemand mit Unwahrheiten Unterschriften sammelt!»

Laure G. (32) aus Neuenburg wurde gleich zweimal vom selben Mann angesprochen: «Beim zweiten Mal behauptete er zuerst, er sammle Unterschriften für den Schutz von Minderjährigen vor Tabakwerbung. Ich hatte meine Tochter im Kinderwagen – und unterschrieb, ohne genau hinzuschauen.»

Beschwerden sind nutzlos

Fanny Z. hat bei der Bundeskanzlei verlangt, dass ihre Unterschrift für ungültig erklärt wird. Insgesamt sind rund 30 Beschwerden eingegangen. Für ungültig erklärt werden können die Unterschriften nicht – es fehlt die gesetzliche Grundlage.

Die Sammelfirma verteidigt sich gegenüber BLICK. «Die Vorwürfe betreffen nach unserem Wissen einen einzigen Mitarbeiter unseres Vereins, der unter anderem in Freiburg und Sitten unterwegs war», so Incop-Suisse-Präsident Franck Tessemo.

Dieser sei sofort einbestellt worden und habe nicht länger für das Referendum gesammelt. Im Einverständnis mit dem Referendumskomitee und der EDU seien die Unterschriften des betreffenden Mitarbeiters gelöscht worden. Tessemo betont: «Transparenz und Offenheit sind in unserem Arbeitsfeld sehr wichtig. Täuschungsmanöver werden nicht toleriert.»

Das Business mit der direkten Demokratie

Sind auch Sie schon einmal auf die Strasse gegangen und haben Unterschriften gesammelt? Wie waren Ihre Erfahrungen mit den Passanten? Für welchen Zweck sind Sie auf Stimmenfang gegangen? Melden Sie sich bei uns mit Ihren Erlebnissen an community@blick.ch.

Sind auch Sie schon einmal auf die Strasse gegangen und haben Unterschriften gesammelt? Wie waren Ihre Erfahrungen mit den Passanten? Für welchen Zweck sind Sie auf Stimmenfang gegangen? Melden Sie sich bei uns mit Ihren Erlebnissen an community@blick.ch.

Incop-Chef greift EDU an

Tessemo greift zudem seinen Auftraggeber EDU frontal an: Man sei nur ein Akteur unter vielen. «Uns sind beispielsweise angebliche Täuschungsfälle aus Kantonen bekannt, wo Incop Schweiz nie aktiv war, oder zu einem Zeitpunkt, als Incop Schweiz noch nicht Unterschriften gesammelt hat.» Man habe 5000 Unterschriften gesammelt – pro Unterschrift erhält der Sammler oder die Sammlerin zwischen 1 bis 1.50 Franken. 4470 seien beglaubigt worden.

Dem wiederum widerspricht EDU-Präsident Hans Moser (68). Incop habe 1692 «beglaubigte Unterschriften» geliefert. Bezahlt habe den Auftrag «eine Privatperson mit einer Spende».

Wer sammelte wie viele Spenden?

Eine weitere Ungereimtheit: Tessemo und Moser bezichtigen einen einzigen Unterschriftensammler der Täuschung. Gegenüber BLICK bezeugen jedoch sechs Kläger, dass mindestens eine Frau und ein Mann versuchten, eine Unterschrift zu erschleichen.

Wer hat nun also alles mit Unwahrheiten hantiert? Die EDU, die Incop – oder beide? Statt offene Fragen zu klären, redet Moser «die leidige Geschichte» klein und geht zum Gegenangriff über: Er beschuldigt den Walliser SP-Nationalrat Mathias Reynard (31), den Vater des «Anti-Schwulenhetze»-Gesetzes, einer gezielten Kampagne. Reynard hatte Unterzeichner, die sich betrogen fühlten, dazu aufgerufen, sich bei der Bundeskanzlei zu beschweren.

55'000 Unterschriften in einem Monat

«Es liegt auf der Hand, dass diese geringe Anzahl bei total über 70'000 eingereichten beglaubigten Unterschriften nicht ins Gewicht fällt», so Moser. «Dass gewisse Kreise nun ernsthaft das gesamte Referendumskomitee in Misskredit bringen und suggerieren wollen, die Sammlung sei unlauter verlaufen, ist also ziemlich peinlich.» Allerdings: Am 10. März hatte die EDU erst 15'000 Unterschriften. Innerhalb eines Monats schaffte sie nicht nur die nötigen 50'000 – sondern 70'349.

* Name geändert

Darum gehts im Referendum «Nein zu diesem Zensurgesetz!»

Nachdem das Parlament im Dezember 2018 entschieden hatte, Aufrufe zu Hass und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung unter Strafe zu stellen, ergriffen die EDU und die junge SVP Referendum. Grund: Das Gesetz verstosse in ihren Augen gegen die Glaubens- und Redefreiheit. Mit dem Titel «Nein zum Zensurgesetz» reichten sie am 8. April 70`349 beglaubigte Unterschriften bei der Bundeskanzlei ein.

Nachdem das Parlament im Dezember 2018 entschieden hatte, Aufrufe zu Hass und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung unter Strafe zu stellen, ergriffen die EDU und die junge SVP Referendum. Grund: Das Gesetz verstosse in ihren Augen gegen die Glaubens- und Redefreiheit. Mit dem Titel «Nein zum Zensurgesetz» reichten sie am 8. April 70`349 beglaubigte Unterschriften bei der Bundeskanzlei ein.


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