Kurdin aus Basel wird in der Türkei festgehalten
Erdogans Arm reicht bis in die Schweiz

Das Regime in Ankara duldet keine Kritik. Um ihren Mann unter Druck zu setzen, wird eine Kurdin aus dem Raum Basel in der Türkei festgehalten.
Publiziert: 08.10.2017 um 00:09 Uhr
|
Aktualisiert: 14.09.2018 um 17:27 Uhr
1/4
Teilt sein Land in Freund und Feind: Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei.
Foto: Dominik Butzmann/laif
Simon Marti

Anfang Oktober, ein prächtiger Nachmittag. A. K. * sitzt im Garten eines Basler Cafés. Er raucht eine Zigarette nach der anderen: «Ich weiss wirklich nicht mehr, was ich tun soll.»

Seine Frau F. K., eine türkische Staatsbürgerin, die anderthalb Jahre in der Schweiz lebte, reiste im September in die Türkei. Ihre Tochter aus erster Ehe beginnt dort bald ihr Studium. Sie wollte ihr helfen, den neuen Lebensabschnitt zu organisieren.

Nun sitzt sie fest. Die Behörden haben ihr den Pass entzogen. Ohne den gibt es keine Rückkehr in die Schweiz. Sie habe sich nie politisch geäussert, «sie wollen mich!», sagt ihr Mann, der aus Sorge um seine Frau anonym bleiben will. «Mehrfach haben Polizisten sie aufgefordert, gegen mich auszusagen und ihr mitgeteilt, dass sie das Land verlassen könne, wenn ich mich in der Türkei stelle.»

Regime hat Türken im Exil im Visier

Der türkische Präsident Erdogan teilt sein Land in Freund und Feind. Seit dem gescheiterten Putsch vom Sommer 2016 verfolgen seine Schergen vermeintliche und tatsächliche Gegner. Die Säuberungen im Staatsapparat und der Armee nehmen kein Ende.

Längst hat das Regime die im Exil lebenden Türken im Visier. Auch in der Schweiz. Herr K. lebt seit 38 Jahren hier. Aufgewachsen als Sohn von «Gastarbeitern», wie es damals hiess. In den 90er-Jahren betätigte er sich in kurdischen Vereinen, reiste durch Europa, traf sich mit Politikern. Er sei immer für den Frieden in seiner Heimat eingetreten, betont K., der heute im Raum Basel wohnt. Und: «Seit der Jahrtausendwende bin ich nicht mehr politisch aktiv.»

Vor dem Referendum über die türkische Verfassung im Frühling aber legte er sich auf Facebook mit Schweizer Erdogan-Anhängern an. Der Online-Streit artete aus. Ein Prozess folgte, K. wurde wegen übler Nachrede verurteilt. «Ich bereue, dass ich es so weit habe kommen lassen.» Er hat das Urteil nicht weitergezogen, zahlt die Busse in Raten ab.

«Alles, was mich jetzt noch interessiert, ist, dass meine Frau endlich nach Hause kommt.» Es gehe ihr sehr schlecht. Sie ist im fünften Monat schwanger, die beiden erwarten ihr erstes gemeinsames Kind. Die Schwangerschaft verläuft nicht ohne Komplikationen. «Sie lag während Wochen in einem türkischen Spital, sie spuckt Blut.»

Behörden verweigern die Passrückgabe

Das Krankenbett habe sie vor wenigen Tagen nur verlassen, weil die Einreisesperre gegen sie aufgehoben worden war. Sie fuhr aus der Provinz zurück nach Istanbul – in der Hoffnung, endlich ausreisen zu dürfen. Doch die Behörden weigern sich bis heute, ihr den Pass zurückzugeben.
Gegen seine Frau seien zwar alle Vorwürfe fallen gelassen worden, sagt K. Ihm aber wirft man weiterhin Unterstützung der Putschisten und der kurdischen Arbeiterpartei PKK vor. Zudem soll er Staatschef Erdogan beleidigt haben. «Die Vorwürfe sind absurd, aber jemand wie ich muss in diesen Zeiten damit rechnen», meint er. «Nur: Warum schikanieren sie meine schwangere Frau, wenn sie es auf mich abgesehen haben?»

In seiner Verzweiflung wandte sich K. an Amnesty International. Türkische Regierungskritiker in der Schweiz und in ganz Europa stünden tatsächlich im Fadenkreuz der türkischen Behörden, sagt Reto Rufer (48). Er ist beim Schweizer Ableger der Menschenrechtsorganisation zuständig für den Mittleren Osten.

Fälle von Spionage, aber auch Verhaftungen von Menschen, die in die Türkei einreisen wollten, seien dokumentiert. «In diesem Fall wäre aber eine neue Stufe erreicht», betont er. «Dass politisch nicht aktive Angehörige der Diaspora unter Druck gesetzt werden, ist eine neue Entwicklung.»

Türken in Europa sollen vor Fahndungen via Interpol geschützt werden

Das Schweizer Konsulat in Istanbul kann Frau K. nicht helfen. Es ist nur für Schweizer Staatsbürger zuständig. Hier will SP-Nationalrat Carlo Sommaruga (58, GE) ansetzen. Jüngst habe er mit Justizministerin Simonetta Sommaruga (57, SP), über «die gesamte Situation mit den Türken und den Fall K. gesprochen», sagt er. Auch das Aussendepartement (EDA) sei «genau informiert».

Der Parlamentarier: «Ich werde nun in der Aussenpolitischen Kommission beantragen, dass die Schweizer Vertretung in der Türkei auch in solchen Fällen aktiv werden kann.»

Bereits eingereicht ist ein Vorstoss, der Türken in Europa vor Fahndungen via Interpol schützen soll. «Weiter muss das EDA alle Reisenden warnen.» Es sei auch für Schweizer gefährlich, in die Türkei zu reisen. «Der Fall von Frau K. zeigt ja, dass das Erdogan-Regime nicht davor zurückschreckt, Geiseln zu nehmen», so Carlo Sommaruga. Eine Warnung, die für die Eheleute K. zu spät kommt.

*Name der Redaktion bekannt

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?