Kinder bis 12 sollen mit Velo auf den Gehsteig – Fussgänger-Organisationen und Unfallverhüter laufen Sturm
Kampfzone Trottoir

Heute dürfen nur Vorschulkinder mit ihrem Velöli auf dem Trottoir fahren. Künftig sollen bis zwölfjährige Kinder auf den Gehweg ausweichen dürfen. Der Widerstand gegen die Neuerung ist gross – bei Fussgänger-Organisationen, Unfallverhütern und Kantonen.
Publiziert: 24.01.2019 um 22:58 Uhr
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Aktualisiert: 25.01.2019 um 10:57 Uhr
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Sollen auch ältere Kinder aufs Trottoir ausweichen dürfen? Mit dieser Frage beschäftigt sich derzeit die Politik.
Foto: Jessica Keller
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

Das Trottoir ist ein Tummelfeld: Fussgänger, Skate- und Kickboarder, Rollschuhfahrer sowie Velo fahrende Kinder im vorschulpflichtigen Alter teilen sich heute die Gehwege.

Jetzt will der Bund sie für eine weitere Gruppe öffnen: Neu sollen auch Primarschüler mit ihren Fahrrädern das Trottoir benützen dürfen – sofern kein Radweg vorhanden ist. Die Alterslimite wird auf zwölf Jahre angesetzt. 

Güterabwägung zugunsten der Kinder

«Kindern im primarschulpflichtigen Alter soll es erlaubt werden, mit der gebotenen Vorsicht auf dem Trottoir Velo zu fahren», erklärt Thomas Rohrbach vom Bundesamt für Strassen. «Damit will der Bundesrat die Sicherheit für die Verkehrsteilnehmenden mit der geringsten Erfahrung erhöhen.»

Der Bund habe eine Güterabwägung vornehmen müssen, so Rohrbach: «Da die Folgen bei Unfällen von Velo fahrenden Kindern mit dem motorisierten Verkehr gravierender sind als die Folgen bei Unfällen Velo fahrender Kinder mit Fussgängern, wurde bei dieser Güterabwägung zugunsten der Kinder entschieden.»

Fussgänger-Organisation dagegen 

Dagegen laufen nun Fussgänger-Organisationen, Kantone und Unfallverhüter Sturm. «Das Trottoir verkommt immer mehr zur Fahrbahn. Zusätzliche Velofahrer bergen ein zusätzliches Gefahrenpotenzial», sagt Fussverkehr-Schweiz-Präsident und SP-Nationalrat Thomas Hardegger (62, ZH). «Auf dem Trottoir sollen sich aber alle Menschen sicher zu Fuss bewegen können und nicht durch Fahrzeuge gestört werden.» 

Die neue Alterslimite hält Hardegger für «unverhältnismässig». «Zwölfjährige sind oft sehr schnell und in Gruppen unterwegs. Das bedeutet eine zusätzliche Gefährdung für die Fussgänger – gerade für ältere Menschen, Familien mit Kindern oder Behinderte.» Er befürchtet, dass diese Personengruppen aus Angst vor Velorowdys seltener zu Fuss gehen und vermehrt das Auto benützen würden. Hardegger zeigt sich aber kompromissbereit: «Mit einer Alterslimite von acht Jahren können wir leben.»

Unfallverhüter für Alterslimite 8

Auch die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) plädiert für Altersgrenze 8. Der bundesrätliche Idee erscheine auf den ersten Blick zwar sympathisch, sagt BFU-Sprecher Nicolas Kessler. «Sie vermittelt aber nur eine Scheinsicherheit: Trottoirs im Innerortsbereich sind für Velo fahrende Kinder wegen der zahlreichen Einmündungen und Querstrassen keineswegs ungefährlich, insbesondere, wenn entgegen der Fahrtrichtung auf dem Trottoir gefahren wird.» Unübersichtliche Hauseingänge, Ausfahrten aus Garagenvorplätzen und Parkplätzen sowie sichtbehindernde Bepflanzungen würden das Risiko von Kollisionen bergen. 

Dass das Trottoir schon heute eine Konfliktzone ist, zeigt die BFU-Statistik. «Im Durchschnitt haben sich in den letzten fünf Jahren 305 Unfälle mit Verletzten auf Trottoirs ereignet», erklärt Kessler. Im Schnitt war dabei in 121 Fällen ein Velo involviert, wobei es zu 100 Leicht- und 21 Schwerverletzten kam. In 23 Fällen war ein fahrzeugähnliches Gerät wie etwa ein Kindervelöli oder ein Kickboard involviert – mit 17 Leicht- und fünf Schwerverletzten und einem Getöteten. «In den letzten fünf Jahren ist keine Zunahme feststellbar», so Kessler. Und auf den gesamten Verkehr bezogen hält er fest: «Die Unfälle von Kindern, die mit dem Velo unterwegs sind, nehmen seit zehn Jahren ab.»

Kantone dagegen oder für tiefere Limite

Ein dezidiertes Nein zu den Plänen des Bundes kommt auch aus den Kantonen. BLICK liegen 20 kantonale Stellungnahmen vor – 13 davon lehnen die 12er-Limite ab. «Gerade in städtischen Gebieten» werde der Konflikt zwischen Velofahrenden und Fussgängern immer grösser, schreibt etwa der Kanton Bern.

Stattdessen wird verschiedentlich eine tiefere Alterslimite angeregt: Graubünden oder Solothurn zum Beispiel plädieren für 6, Baselland für 8, Basel-Stadt und Zürich für 10.

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Pro-Velo-Aebischer für höhere Limite

Der Bundesrat wird in dieser Frage wohl über die Bücher gehen müssen. Zum Bedauern von SP-Nationalrat und Pro-Velo-Präsident Matthias Aebischer (51, BE). «Das Ziel ist doch, dass kein Kind überfahren wird», sagt er. Er selbst hat eine bald zehnjährige Tochter. «Sie fährt noch immer so, dass ich als Vater nicht ruhig zusehen kann – und ich sie regelmässig aufs Trottoir schicke.»

Entscheidend sei für ihn, dass ein Kind aufs Trottoir ausweichen könne, wenn es sich auf einer Strasse ohne Velostreifen unsicher fühle. «Die Alterslimite finden wir grundsätzlich eine gute Lösung, diese kann aber auch bei 10 oder 11 liegen», zeigt er sich kompromissbereit. Klar ist aber: «Die Limite von 8 oder sogar nur 6 Jahren werden wir bekämpfen.»

Velo-Infrastruktur ausbauen

Damit legt er sich mit Parteikollege Hardegger an: Geht es um die Alterslimite, sind sich die beiden Roten nicht grün! Einig sind sie sich aber in einem anderen Punkt: Die Velo-Infrastruktur müsse zügig verbessert und ausgebaut werden. «Dann können sich die älteren Kinder auch sicher auf den Strassen bewegen, ohne aufs Trottoir ausweichen zu müssen», so Hardegger.

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