Der Bundesrat will die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht weiter fördern. Er lehnt es ab, weitere 130 Millionen Franken in das Impulsprogramm zur Schaffung von Kinderbetreuungsplätzen zu stecken. Das hatte die nationalrätliche Bildungskommission gefordert.
Doch die Landesregierung lehnt ab. Für familienergänzende Kinderbetreuung seien Kantone und Gemeinden zuständig, fanden die vier älteren Herren von SVP und FDP und versenkten den Vorstoss.
«Der Bundesrat ist den Familien und insbesondere allen Frauen in den Rücken gefallen», wettert die SP. Doch auch der Arbeitgeberverband ist alles andere als zufrieden mit dem Bundesratsentscheid, wie Verbandsdirektor Roland A. Müller im BLICK-Interview erklärt.
BLICK: Herr Müller, Anfang Woche haben Sie den Ausbau der familienergänzenden Kinderbetreuung gefordert. Doch jetzt machen ausgerechnet die Wirtschaftsvertreter im Bundesrat der Wirtschaft einen Strich durch die Rechnung.
Roland A. Müller: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat für die Wirtschaft hohe Priorität. Wir haben top ausgebildete Frauen und brauchen diese je länger, je mehr im Arbeitsmarkt. Dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Der Entscheid des Bundesrats ist vor diesem Hintergrund schwer nachvollziehbar, da er diese Anstrengungen in einem Stadium bremst, in dem sie Früchte zu tragen beginnen. Das Impulsprogramm ist zudem sehr erfolgreich: Über 90 Prozent der vom Bund mitfinanzierten Angebote stehen danach auf eigenen Füssen. Das ist also kein hinausgeworfenes Geld, sondern sehr nachhaltig.
Der Entscheid trifft vor allem die Frauen negativ?
Ja. Dieser Entscheid hat das Potenzial, die Dynamik in diesem Bereich zu bremsen! Mit einer schlechten Vereinbarkeit von Beruf und Familie werden die Bedingungen für die Frauen im Arbeitsmarkt stark beeinträchtigt. Die Erwerbsunterbrüche während der Kinderbetreuungsjahre sind eine wichtige Ursache für die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern. Können die Frauen ihre Karriere weiterführen, ist zudem für genügend weiblichen Nachwuchs für Kaderpositionen gesorgt. Dann erübrigt sich auch die Diskussion über eine Frauenquote in Kaderfunktionen.
Für einmal sitzen Sie hier mit der Linken im Boot. Ist Ihnen dabei nicht unwohl?
Diese Frage wird parteiübergreifend als ein wichtiges Anliegen betrachtet. Wir verfolgen da einen pragmatischen Ansatz. Die Wirtschaft ist auf das Potenzial der Frauen angewiesen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist daher auch ein bürgerliches Anliegen und muss vorangetrieben werden – insbesondere der Aufbau von Tagesschulen, der nach wie vor in den Kinderschuhen steckt. Da haben arbeitstätige Eltern nämlich das grösste Problem: bei den Mittagspausen, den frühen Schulschlusszeiten am Nachmittag und der Überbrückung der Ferien von Kindern im Schulalter.
Die Wirtschaft muss sich doch selber an der Nase nehmen: Sie profitiert von den Betreuungsangeboten, schiebt die Finanzierung aber auf den Staat ab.
Ebenso könnten Sie argumentieren, dass die Wirtschaft Strassen oder Schulen finanzieren soll. Es geht hier um eine klare Aufgabentrennung. Unternehmen und Arbeitnehmende bezahlen Steuern – und der Staat stellt damit Leistungen bereit, die am Markt ansonsten nicht angeboten werden können. Können mehr Frauen in den Arbeitsprozess integriert werden, zahlen diese auch mehr Einkommenssteuern.
Die Rechnung geht also auf?
Unter dem Strich profitiert der Staat durch Mehreinnahmen. Zu betonen ist auch, dass die Unternehmen bereits heute einen substanziellen Anteil des Steuersubstrats der öffentlichen Hand leisten. Viele Unternehmen beteiligen sich zudem freiwillig an Betreuungsangeboten.