Der Bundesrat will gegen die wachsenden Gesundheitskosten vorgehen. Er hat am Mittwoch über die Vorschläge einer Expertengruppe diskutiert, aber noch keine konkreten Entscheide gefällt. Fest steht lediglich, dass der Vertragszwang unangetastet bleibt.
Es handelt sich um eine Art heilige Kuh im Schweizer Gesundheitswesen: Die Krankenkassen müssen die Leistungen aller zugelassenen Ärztinnen und Ärzte vergüten.
Unter dem Regime der Vertragsfreiheit könnten sie sich an die günstigsten oder an die besten Mediziner halten. Angesichts der ständig wachsenden Gesundheitskosten erfreut sich das Modell wachsender Beliebtheit, vor allem bei den rechtsbürgerlichen Parteien.
Vertragsfreiheit nicht in Frage gestellt
Vor den Bundeshausmedien hat Gesundheitsminister Alain Berset Vertragsfreiheit nicht einmal erwähnt. Die von ihm eingesetzten 14 Experten aus dem In- und Ausland haben ihm dazu auch keine Vorlage geliefert: In ihrem Bericht stellen sie den Kontrahierungszwang nicht grundsätzlich in Frage.
Zwar halten sie fest, dass sich die Vertragsfreiheit positiv auf Kosten und Qualität auswirken würde. Empfohlen haben sie aber nur einen «differenzierten Kontrahierungszwang». Damit sind zum Beispiel die ohnehin vorgesehenen Einschränkungen bei der Zulassung neuer Ärzte gemeint oder Anreize für den Beitritt zu integrierten Versorgungsnetzen.
Die einschneidendste Massnahme, die die Experten vorschlagen, sind verbindliche Zielvorgaben für ein akzeptables Kostenwachstum. Damit soll einerseits das Gesamtsystem besser gesteuert werden können. Andererseits bliebe es den einzelnen Akteuren überlassen, wo im jeweiligen Bereich gespart werden soll. Die Nichteinhaltung der Ziele wäre mit Sanktionen verbunden, zum Beispiel tieferen Vergütungen.
38 Massnahmen, ein Ziel
Einige Kantone haben bereits ihren Spitälern Globalbudgets verordnet. Wie ein Kostendeckel aber im ambulanten Bereich umgesetzt werden soll, ist noch völlig unklar. Es handle sich um eine der zentralen Fragen, die es nun zu klären gelte, sagte Pascal Stupler, Direktor des Bundesamts für Gesundheit (BAG).
Auf ihn wartet noch mehr Arbeit. Insgesamt 38 Massnahmen haben die Experten vorgeschlagen. Über einen Drittel davon hat der Bundesrat laut Berset bereits entschieden, einige werden bereits umgesetzt. Dazu gehört zum Beispiel das Verfahren der Ärztezulassung, die regelmässige Überprüfung der Medikamentenpreise oder die Erarbeitung einer Liste von Behandlungen, die nur noch ambulant durchgeführt werden dürfen.
Der grösste Teil der vorgeschlagenen Massnahmen ist jedoch neu. Noch habe der Bundesrat keinen Entscheid gefällt, welche weiterverfolgt werden sollen, sagte Berset. Entscheiden will die Regierung nächsten Frühling. Bis dahin hat Stuplers Bundesamt Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen.
Alle Beteiligten müssen anpacken
Dafür hat ihm der Bundesrat einige Leitlinien mit auf den Weg gegeben. So erwartet er zum Beispiel, dass alle Akteure zur Dämpfung des Kostenwachstums beitragen, womit in erster Linie die Ärzteschaft angesprochen ist. Der Bundesrat kündigt denn auch bereits an, weiter von seinen Kompetenzen Gebrauch zu machen, sollten sich die Tarifpartner nicht auf sachgerechte Lösungen einigen können.
Einen Schwerpunkt setzt er beim Kampf gegen die Mengenausweitung. Das Phänomen der ungerechtfertigt erbrachten zusätzlichen Leistungen gilt neben der Alterung der Bevölkerung und dem medizinischen Fortschritt als wichtigster Kostentreiber im Gesundheitswesen. «Diese bringen nur Kosten, aber keinen Nutzen», sagte Berset.
Der Kostendeckel würde die Mengenausweitung eindämmen. Andere von den Experten vorgeschlagene Massnahmen könnten die gleiche Wirkung haben. Dazu gehören ein besserer Datenaustausch, eine verstärkte Rechnungskontrolle, die Förderung von Behandlungsleitlinien und Zweitmeinungen oder die Stärkung der Gesundheitskompetenz der Patientinnen und Patienten.
Eine weitere Stossrichtung ist die regelmässige Überprüfung von Leistungen, damit keine unwirksamen Behandlungen vergütet werden. Damit hat das BAG bereits begonnen. Ebenfalls aufgegleist ist die regelmässige Aktualisierung der Tarifstrukturen oder die vermehrte Abgabe von Generika.
Neue Ideen sind auch da
Neue Ideen, die nun geprüft werden, sind die Schaffung einer ersten Anlaufstelle für Versicherte und einer unabhängigen Rechnungskontrollbehörde oder Beschränkungen bei den Zusatzversicherungstarifen. Einige Vorschläge haben im Parlament bereits Schiffbruch erlitten, darunter das obligatorische elektronische Patientendossier.
Weiter verfolgt wird laut Berset die Idee eines Experimentierartikels, um innovative Projekte zu fördern. In diesem Rahmen sollen Möglichkeiten zur Eindämmung des Kostenwachstums getestet werden können.
Der Bundesrat hat in den letzten Jahren zahlreiche Massnahmen zur Dämpfung des Kostenwachstums beschlossen. Auf nächstes Jahr hin hat er den revidierten Ärztetarif TARMED in Kraft gesetzt, mit dem fast eine halbe Milliarde Franken pro Jahr gespart werden soll. Bei den Medikamenten hat er die Kosten um mehrere hundert Millionen Franken gesenkt. (SDA)