BLICK: Frau Pilloud, wie zufrieden sind Sie nach den ersten drei Monaten mit dem Gotthard-Basistunnel?
Jeannine Pilloud: Die Pünktlichkeit auf der Nord-Süd-Achse machte uns in den letzten zwei Jahren grosse Sorgen. Seit der Eröffnung des Basistunnels sind unsere Züge deutlich pünktlicher unterwegs. Derzeit liegt die Kundenpünktlichkeit bei 87 Prozent, das sind sechs Prozentpunkte mehr als noch im Vorjahr.
Können Sie nachvollziehen, dass sich in diesem Land Menschen schon wegen zwei Minuten Verspätung ärgern?
Ich verstehe das, weil die Leute hier stolz sind auf die SBB. Die Bahn gehört dem Bund und damit den Steuerzahlern. Wenn man das Gefühl hat, man sei mitverantwortlich, ist man kritischer. Mich nerven andere Themen viel mehr. Etwa, wenn wir verantwortlich sein sollen dafür, dass man von Sursee nach Andermatt nun 15 Minuten länger hat. Es ist die Nachfrage, die unser Angebot bestimmt. Wir zählen sehr genau, wie viele Reisende wann von wo bis wo fahren.
Gerade aus der Zentralschweiz kommt viel Kritik. Basler und Luzerner haben seit der Eröffnung am frühen Morgen keinen Direktzug mehr ins Tessin.
Das soll sich ändern. Wir arbeiten daran, morgens einen frühen Zug direkt von Basel via Luzern ins Tessin zu führen. Wir wollen das rasch realisieren, möglichst schon auf den nächsten Fahrplanwechsel im Dezember. Und bereits davor möchten wir das Angebot an Spitzentagen testen.
Wieso wurde beim letzten Fahrplanwechsel auf diesen oft geforderten Direktzug verzichtet?
Über 90 Prozent der Luzerner fahren unter der Woche nach Zürich, nur rund 1,5 Prozent fahren in Richtung Gotthard. Die Interessen einer überwältigenden Mehrheit der Luzerner nehmen wir demnach nicht mit fünf Direktverbindungen ins Tessin wahr. Aber wir möchten den attraktiven Gotthard-Basistunnel, der eine grosse Investition war, möglichst vielen Leuten zugänglich machen. Deshalb ist diese Verbindung für uns wichtig. Und wir als SBB sind lernfähig. Wir beobachten und korrigieren Entscheide, die wir früher aufgrund anderer Annahmen gefällt haben.
Werden die Tickets teurer wegen dieser Verbindung?
Nein, mein Ziel ist, dass nicht alle dafür büssen müssen, wenn wir eine zusätzliche Direktverbindung schaffen. Wir haben ein gut funktionierendes, solidarisches System, das wir nicht zu fest ausreizen dürfen.
Über die Weihnachts- und Neujahrstage kam es auf der Gotthardstrecke zu Engpässen, viele Passagiere mussten stehen. Wie stellen Sie sicher, dass es an Ostern genügend Sitzplätze hat?
Wir planen für die Ostertage 21 Extrazüge mit rund 40'000 zusätzlichen Sitzplätzen, davon einen grossen Teil auf der Nord-Süd-Achse.
Was lief am Jahreswechsel falsch?
Das war sehr abhängig vom Wetter. Im Süden war es schön, im Norden ein Trauerspiel. Das kam unerwartet, und wir wussten nicht, wie sich die Nachfrage an Spitzentagen durch die Inbetriebnahme des Gotthard-Basistunnels verändern würde.
Ist es für Sie vertretbar, dass Passagiere mit ihrem Skigepäck drei Mal umsteigen müssen, wenn sie beispielsweise von Zürich nach Andermatt fahren?
Ich will nicht sagen vertretbar. Aber je nachdem, von wo man anreist, muss man halt öfter umsteigen. Die Reise nach Andermatt war schon vorher nicht für alle Reisenden ideal. Und da die Statistik zeigt, dass diese Strecke nicht stark nachgefragt ist, passten wir uns an.
Der Zugpersonalverband sagt, es sei aus Sicherheitsgründen unverantwortlich, die Züge auf der Bergstrecke unbegleitet fahren zu lassen.
In einem Notfall ist der Lokführer an Bord, und es gibt ein umfassendes Sicherheitsdispositiv, das in einem solchen Fall zur Anwendung kommt.
Eine Person für einen vollen Zug?
Wenn er an einem Wochenende einen vollen Zug hätte, ja. Aber wenn wir einen solchen Direktzug am Wochenende hätten, ist ja nicht gesagt, dass wir diesen unbegleitet fahren lassen.
Nicht gesagt klingt etwas vage.
Regioexpress-Züge sind zu einem grossen Teil nicht begleitet. Züge des Fernverkehrs hingegen in den allermeisten Fällen schon.
Aber der Fall könnte eintreten. Sie sparen auf Kosten der Sicherheit.
Das ist kein Sparen. Aber man muss immer das maximale Risiko abwägen.
Was würde im Falle eines Unfalls in einem Kehrtunnel passieren?
Es gibt in Erstfeld und andern Orten Depots mit Lösch- und Rettungszügen, die innert kürzester Zeit vor Ort sein könnten. Diese Depots sind 24 Stunden besetzt. Wenn man im Basistunnel evakuieren muss, ist die Wahrscheinlichkeit deutlich höher, dass bis zu 400 Leute betroffen sind.
Am 17. Februar steckte ein Güterzug sieben Stunden im Basistunnel fest, weil auch der Rettungszug ausfiel. Ein Super-GAU in den ersten drei Betriebsmonaten.
Ein Super-GAU war das nicht. Eine mehrstündige Panne ist uns so noch nie irgendwo passiert, und nun geschah es ausgerechnet im Basistunnel, der derzeit sowieso besondere Aufmerksamkeit erhält. Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände. Fakt ist aber: Weil wir die Umfahrungsstrecke haben, sind wir fein raus, da wir eine alternative Verbindung anbieten können.