Keine Bodyguards, nicht einmal einen Assistenten oder eine persönliche Mitarbeiterin im Schlepptau. Alleine schaut sich die Bundesrätin in einem Blumengeschäft in Bern um, lässt sich ausführlich von einem Verkäufer beraten.
Kaum jemand in der Hauptstadt, der nicht zufälligerweise einmal einen Bundesrat in genau so einer Situation angetroffen hat: auf dem Velo, im Tram, am Perron oder beim Einkaufen.
Die Volksnähe ihrer Magistraten ist etwas, worauf die Schweizer stolz sind. Ein Bild aus dem Jahr 2014, das den damaligen Bundespräsidenten Didier Burkhalter (57) am Bahnhof Neuenburg zeigt, sorgte International für Bewunderung. Ohne Personenschützer wartete «the President of Switzerland» auf den Zug. Nur: Stimmt dieses Klischee noch mit der Realität überein oder hat sich die Bedrohungslage mittlerweile geändert?
Bundesrätin Doris Leuthard (54) im Januar bei der Veranstaltung «BLICK on tour» im Hotel Schweizerhof in Luzern: Zwei Bodyguards sind immer in ihrer Nähe, um im Notfall eingreifen zu können. Der Event ist öffentlich, jeder Besucher darf sich der Magistratin nähern. Stress für die Personenschützer. Einer von ihnen beobachtet mit Argusaugen und ohne Unterlass, ob herantretende Besucher mit ihren Händen Verdächtiges anstellen. Der andere behält den Saal im Auge.
Blocher ständig unter Polizeischutz
Für Risikoauftritte erhalten Bundesräte Polizeischutz. Die Bedrohungslage analysieren die Spezialisten der Bundespolizei. Der bestgeschützte Bundesrat war Christoph Blocher (77), wie die Öffentlichkeit im Nachhinein erfuhr. Und sogar nach seiner Regierungszeit erhielt er polizeilichen Schutz. Wegen einer erhöhten Bedrohungslage lief der Einsatz über mehrere Monate. Die Tatsache, dass der Steuerzahler dafür aufkommen musste, sorgte damals für hitzige Diskussionen.
Angriffe auf amtierende oder ehemalige Magistraten sind relativ selten. Letztmals traf es 2016 wiederum Christoph Blocher. Ein Mann attackierte ihn mit einem Messer, wurde aber von privaten Sicherheitsleuten überwältigt. Verletzt wurde Blocher beim Angriff nicht. Micheline Calmy-Rey (72) bekam 2012 eine Torte ins Gesicht geknallt. Doris Leuthard musste 2009 Gummistiefeln ausweichen. Und Moritz Leuenberger (71) wurde 2006 von 1.-Mai-Chaoten niedergebrüllt.
Tatsache ist: Immer häufiger werden Politiker, Richter oder öffentliche Personen bedroht, wie das Bundesamt für Polizei (Fedpol) festgestellt hat. 2012 registrierten die Bundespolizisten 105 Drohungen, 2016 waren es rund 1700 Meldungen. «Man kann davon ausgehen, dass der Trend weitergeht», sagt Fedpol-Sprecherin Lulzana Musliu. Der massive Anstieg hat unterschiedliche Ursachen. Zum einen hat das Fedpol in den vergangenen Jahren die Bundesdepartemente und Parlamentarier verstärkt darauf aufmerksam gemacht, dass sie Drohungen melden können, wie Sprecherin Musliu sagt.
Die nationalen Wahlen und die Flüchtlingskrise hätten 2015 ebenfalls mehr Reaktionen ausgelöst.
Und ein nicht unwesentlicher Faktor für die Zunahme dürften die sozialen Medien und das Internet sein. Im vermeintlich anonymen Netz ist die Hemmschwelle tiefer, ein Drohwort ist schneller ausgesprochen.
Wohnungssicherheit wird erhöht
Es bleibt deshalb nicht beim Personenschutz. Auch die Wohnungen mancher exponierten Magistraten oder besonders gefährdeter Bundesbeamten werden vom Fedpol sicherheitstechnisch aufgerüstet. SonntagsBlick weiss von einem Chefbeamten in exponierter Funktion, dessen Liegenschaft für einen sechsstelligen Frankenbetrag umgebaut wurde – auch hier auf Kosten des Steuerzahlers. «Wir beraten die betroffenen Personen wegen der Umbauarbeiten. Die Personen entscheiden eigenständig, ob sie die Massnahmen durchführen wollen», sagt Musliu.
Wie solche bauliche Massnahmen aussehen, zeigt sich in der Brunngasse in der Berner Altstadt. Dort, hinter einer Art-déco-Tür, logierte Christoph Blocher als Bundesrat. Die Tür hätte wohl auch ein wütender Erstklässler eindrücken können. Jedenfalls beschloss der Sicherheitsdienst des Bundes, zusätzlich eine massive Scheibe aus Panzerglas einzubauen. Einmal vor Ort, befragten die Beamten auch gleich die Nachbarn nach ihren Gewohnheiten.
Was solche Umbauten kosten oder wie oft solche Massnahmen nötig werden, darüber und über weitere Einzelheiten gibt das Fedpol keine Auskunft. «Wir wollen nicht, dass Rückschlüsse auf Sicherheitsmassnahmen gezogen werden können», sagt Sprecherin Lulzana Musliu.Die Volksnähe unserer Bundesräte, auf die wir Schweizer so stolz sind, gerät wegen der Schimpfkultur im Internet nun selbst in Gefahr.