Im September kommen fünf nationale Vorlagen an die Urne
So beeinflusst die Corona-Krise die Abstimmungen

Begrenzungs-Initiative, Kampfjets, Vaterschaftsurlaub, höherer Kinderabzug und Jagdgesetz: Das Abstimmungsprogramm am 27. September ist happig. Und unter dem Einruck der Corona-Krise werden die Karten neu gemischt.
Publiziert: 21.05.2020 um 03:07 Uhr
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Aktualisiert: 12.08.2020 um 16:28 Uhr
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Am 27. September kommen fünf nationale Vorlagen vors Volk. Die Corona-Krise dürfte Einfluss auf den Ausgang der Abstimmungsgeschäfte haben.
Foto: Keystone
Ruedi Studer

Eigentlich hätte der 17. Mai zu einem historischen Abstimmungssonntag werden können: Mit der Begrenzungs-Initiative der SVP stand die wichtigste europapolitische Entscheidung der letzten Jahre auf dem Programm. Doch die Corona-Krise machte den Kampagnenführern und Abstimmungskämpfern einen Strich durch die Rechnung.

Die grosse Europa-Schlacht wird nun am 27. September ausgefochten. Und dies unter ganz neuen Vorzeichen: Denn die Corona-Krise beeinflusst Wirtschaft und Gesellschaft massiv. Das ändert die Ausgangslage nicht nur für die SVP-Initiative. Sondern auch für die vier weiteren Vorlagen, die gleichentags an die Urne kommen, werden die Karten neu gemischt. BLICK zeigt, wer von der Corona-Situation profitiert.

Begrenzungs-Initiative

Anfang Jahr hätten wohl die wenigsten auf ein Ja zur Begrenzungs-Initiative der SVP gewettet. Die Wirtschaft lief auf Hochtouren, die Arbeitslosigkeit war tief, die Zuwanderung stagnierte. In einer Tamedia-Umfrage lagen die Gegner mit 58 Prozent Nein deutlich voraus. Doch jetzt sind 1,9 Millionen Menschen von Kurzarbeit betroffen. Die Arbeitslosigkeit ist massiv gestiegen und dürfte weiter steigen. Ideale Voraussetzungen für die Abschottungspolitik der Initianten, welche die Personenfreizügigkeit kündigen wollen. Sie verspüren Rückenwind und werden die Arbeitslosen-Karte voll ausspielen.

Die Gegner halten dagegen, dass die Wirtschaft nun nicht weiteren Unsicherheiten und Turbulenzen mit der EU geschwächt werden darf. Ob das genügt? Die Gegner starten zwar mit einem Vorsprung – je nach wirtschaftlicher Entwicklung könnte dieser aber rasch schmelzen. Wie schon 2014 bei der Masseneinwanderungs-Initiative könnte der SVP erneut ein Überraschungscoup gelingen. CVP-Präsident Gerhard Pfister (57) warnte im «SonntagsBlick» bereits davor, die Abstimmung auf die leichte Schulter zu nehmen: «Eine 08/15-Kampagne wird nicht ausreichen, um die Initiative zu versenken.»

Kampfjet-Beschaffung

Auch für die Armee wird der 27. September zum Schicksalstag. In der Corona-Krise konnte sich die Armee als einsatzwillige Helferin in Spitälern oder an den Grenzen feiern lassen. Das ist gut fürs Image und sorgt für Sympathien, sodass mancher der Armee die neuen Kampfjets umso lieber gönnt.

Trotzdem verdüstert sich der Himmel für die Fliegerfreunde zunehmend. Manche Armeeangehörige haben in ihrem Corona-Einsatz auch Leerläufe erlebt, die für Frust sorgen. Zudem stellt sich die Frage, ob die Armeegelder nicht anderweitig besser investiert wären: etwa in Schutzmaterial und weitere medizinische Güter. Und schliesslich sind sechs Milliarden Franken für neue Flieger ein Haufen Geld, wenn sich jetzt schon Milliardendefizite in der Bundeskasse abzeichnen.

Vaterschaftsurlaub

Der Corona-Sparhammer könnte für den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub das Knock-out bedeuten. Dabei hatte es lange gut ausgeschaut: Nach jahrelangem Gezerre und der Initiative für eine vierwöchige Papizeit einigte sich das Parlament auf einen breit getragenen Kompromiss. Zwei Wochen, finanziert über die Erwerbsersatzordnung. Kostenpunkt: 230 Millionen Franken jährlich.

Die Sache schien bereits gelaufen, das Referendum kam erst auf den letzten Drücker zustande. Doch jetzt werden die Karten neu gemischt, die Papizeit-Gegner sind im Aufwind. Bisherige Unterstützer im bürgerlichen Lager beginnen zu zweifeln, ob sich die Wirtschaft die Neuerung leisten kann. Bei den Referendumsführern steigt die Zuversicht. So twitterte das Nein-Komitee: «Die Corona-Krise zeigt uns, dass wir unsere Sozialversicherungen für echte Notfälle brauchen und nicht für Luxus-Wünsche einiger weniger!»

Höherer Kinderabzug

Das gleiche Schicksal wie der Vaterschaftsurlaub droht dem höheren Kinderabzug bei der direkten Bundessteuer. Einfach unter umgekehrten Vorzeichen: Dem Bund drohen nicht Mehrausgaben, sondern weniger Einnahmen. Der Kinderabzug soll nämlich von 6500 auf 10'000 Franken steigen. Das Loch im Kässeli von SVP-Finanzminister Ueli Maurer (69) würde damit aber noch ein bisschen grösser. Der Steuerausfall beläuft sich auf 350 Millionen Franken jedes Jahr. Geld, dass tendenziell Besserverdienenden zugutekommt.

Die dunklen Wolken am Finanzhimmel dürften die Festlaune beim Stimmvolk trüben – gerade was Steuergeschenke für Gutbetuchte betrifft. Für die links-grünen Referendumsführer wird der Abstimmungserfolg damit greifbar.

Jagdgesetz

Eine einzige Abstimmung wird von der Corona-Krise kaum berührt: das revidierte Jagdgesetz. Dieses regelt verschiedene Aspekte neu, doch der grosse Knackpunkt liegt beim Umgang mit dem Wolf. Das Gesetz gibt den Kantonen mehr Handlungsspielraum und erleichtert den Abschuss des geschützten Raubtiers. Eine breite Allianz aus Tier- und Naturschutzorganisationen hat das Referendum gegen das «Abschussgesetz» lanciert.

Eine emotionale Debatte ist programmiert. Schon vor der Corona-Krise standen die Erfolgschancen für die Jagdgesetz-Gegner eher gut. Und das Lockdown-Erlebnis könnte die Tendenz durchaus noch verstärken – denn für viele bedeutet die Corona-Krise auch ein Gedankenanstoss für einen nachhaltigeren Umgang mit der Natur. Tote Wölfe passen da nicht ins Konzept.

Alle Abstimmungen auf einen Blick

Die Schweiz stimmt wieder ab: Erklärungen zu allen Initiativen, aktuelle News und prominente Stimmen zum Thema finden Sie hier.

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