Hebamme und Trauerfachfrau über das Tabu Fehlgeburt
«Unser Gesetz ist frauenfeindlich»

Sie steht Frauen zur Seite, die eine Fehlgeburt erleben: Trauerfachfrau und Hebamme Anna Margareta Neff (50) prangert die aktuelle Gesetzeslage an und sagt, wie eine Frau um ihr ungeborenes Kind trauern kann.
Publiziert: 03.04.2019 um 23:04 Uhr
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Aktualisiert: 04.04.2019 um 15:25 Uhr
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Hebamme und Trauerfachfrau Anna Margareta Neff bietet über die Fachstelle kindsverlust.ch Beratungsgespräche für Betroffene an an.
Foto: zvg
Cinzia Venafro

BLICK: Eine Frau gilt in der Schweiz rechtlich ab der 13. Schwangerschaftswoche als «schwanger», zuvor ist sie im Fall von Komplikationen «krank». Welche Botschaft gibt die Politik damit Frauen, die Sie beraten?
Anna Margareta Neff:
 Es ist unhaltbar, dass eine Frau bis zur 13. Schwangerschaftswoche als «krank» bezeichnet wird. Unser Gesetz ist frauenfeindlich und diskriminierend. Der Gesetzgeber zementiert damit eine gesellschaftliche Haltung, dass eine Frau nicht schwanger war, wenn sie ihr Kind vor der 13. Woche verliert. 

Die Kosten, die eine frühe Fehlgeburt verursacht, muss die Frau mit ihrer Franchise bezahlen, zudem bleibt ein Selbstbehalt hängen.Sie bekommt also noch eine Rechnung für den Verlust ihres Kindes. Das ist als psychologisches Signal verletzend. Wir hoffen sehr, dass die Politik diesen Missstand endlich anerkennt.

Was bedeutet es für Frauen, die bei Ihnen Hilfe suchen?
Leider bestätigt es sie in der Annahme, dass sie nicht über den frühen Verlust ihres Kindes sprechen und trauern dürfen. Auch der Sprachgebrauch ist verletzend: Sobald eine Frau schwanger ist, erwartet sie ein Baby. Wenn es im Bauch der Mutter stirbt, wird vom Embryo oder gar von Schwangerschaftsgewebe gesprochen.

Was raten Sie Frauen, die ihr Kind vor der 13. Woche verlieren?
Reden, reden, reden. Rund 20'000 Frauen in der Schweiz verlieren ihr Kind im ersten Trimester jährlich – und niemand spricht darüber. Diese Frauen fühlen sich in ihrer Trauer allein gelassen und oft auch mit ihrem Mann nicht verbunden. Sie selber und die Gesellschaft gestehen ihnen nicht ein, Mutter zu sein. Wenn wir als Gesellschaft dieses Tabu brechen, helfen wir den Frauen und Familien sehr. Zudem kann das Teilen der eigenen Geschichte einen selbst aus der Einsamkeit herausführen und die Solidarität unter Müttern stärken.

Fehlgeborene werden selten beerdigt. Wieso?
Uns rufen immer wieder Frauen an, die im WC ihr Kind verloren haben, spülten – und es danach sehr bereuten. Ich rate immer dazu, wenn möglich sich das verlorene Kind – in jedem Stadium – anzuschauen. Zudem helfen Rituale, um den Verlust in das eigene Leben zu integrieren. Die wenigsten wissen, dass man das ungeborene Kind, wenn es so klein ist, im Wald oder auch im eigenen Garten begraben darf.

Anna Margareta Neff (50) ist Leiterin der Fachstelle www.kindsverlust.ch, Hebamme und Trauerfachfrau. Kindsverlust.ch bietet kostenlose Beratungen per Telefon oder E-Mail für Betroffene an.

Erfahrungen mit einer Fehlgeburt gemacht?

Haben auch Sie, oder jemand auf Ihrem Bekanntenkreis, Erfahrungen mit einer Fehlgeburt gemacht? Wie sind Sie mit diesem Schicksalsschlag umgegangen? Erzählen Sie uns Ihre Geschichte per Mail an community@blick.ch.

Haben auch Sie, oder jemand auf Ihrem Bekanntenkreis, Erfahrungen mit einer Fehlgeburt gemacht? Wie sind Sie mit diesem Schicksalsschlag umgegangen? Erzählen Sie uns Ihre Geschichte per Mail an community@blick.ch.

Eine betroffene Mutter bricht das Schweigen

Das erste Mal drückte sie die WC-Spülung. Beim zweiten Mal, gut ein halbes Jahr später, fing sie das Blut, das aus ihr floss, mit einer Binde auf. «Darin lag mein ungeborenes, blutverschmiertes Kind. Ich nahm es auf die Hand, es war vielleicht fünf Zentimeter gross. Aber Kopf, Bauch, Beine, Arme – ja sogar die Augen waren schon zu erkennen», erzählt Andrea Keller (49) aus Kirchdorf AG.

Die sportliche Aargauerin ist eine von geschätzt rund 20'000 Frauen pro Jahr, die ihr Kind in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen verlieren. Andrea Keller erlitt im Alter von 39 und 40 Jahren zwei frühe Fehlgeburten. Lesen Sie hier die ganze Geschichte.

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