Guy Parmelin zum Rahmenvertrag
«Wir müssen nochmals verhandeln»

Entscheidender Tag im Bundesrat: Wie soll die Landesregierung der EU erklären, dass sich keine Mehrheit für den Rahmenvertrag findet? Wirtschaftsminister Guy Parmelin spricht Klartext und will zurück an den Verhandlungstisch.
Publiziert: 26.05.2019 um 01:16 Uhr
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Aktualisiert: 09.07.2019 um 09:28 Uhr
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Ein gut gelaunter Guy Parmelin in seinem Berner Büro. In Richtung Brüssel aber spricht der Wirtschaftsminister Klartext.
Foto: KARL-HEINZ HUG
Interview: Simon Marti und Andrea Willimann; Karl-Heinz Hug (Foto)

SonntagsBlick: Herr Bundesrat, vergangene Woche präsentierte die Landes­regierung eine Reihe von Massnahmen, um ältere Personen im Arbeitsmarkt zu stärken. Warum wurden diese Schritte gerade jetzt beschlossen?
Guy Parmelin: Als ich das Wirtschaftsdepartement übernommen habe, war mir klar, dass wir handeln müssen. Wir sehen, dass ältere Arbeitslose mehr Mühe haben, wieder eine Stelle zu finden. Und das sind nicht einfach Zahlen in Statistiken, sondern viele betrof­fene Menschen! Das weiss ich aus meinem persönlichen Umfeld. Die Angst der über 50-Jährigen vor einem Arbeitsplatzverlust macht mir Sorgen. Darum sollen sie besser unterstützt und beraten werden, damit sie möglichst rasch wieder eine Stelle finden.

Die Problematik ist doch nicht neu.
Ja, aber ich trage jetzt die Verantwortung im zuständigen Depar­tement. Sehen Sie, die Weltwirtschaftslage wird immer schwieriger. Bis jetzt spüren wir das bei den Schweizer Arbeitslosenzahlen noch nicht. Aber ich bin mir sicher, das wird sich ändern. Darauf müssen wir vorbereitet sein.

Die Landesregierung argumentiert mit dem freien Personenverkehr. Sind ältere Arbeitnehmer stärker von der Personenfrei­zügigkeit betroffen als jüngere?
Betroffen sind alle. Alle müssen sich weiterbilden, um bestehen zu können. Aber die Personenfrei­zügigkeit ist ein Teil der Pro­ble­matik.

Die SVP will mit der sogenannten Begrenzungs-Initiative die Personenfreizügigkeit kündigen. Mit den angesprochenen Arbeitsmarktmassnahmen wollen Bundesrat und Sozialpartner ebendiese Vorlage bekämpfen. Sie stehen quasi in der Mitte.
Wir hätten diese Massnahmen sowieso beschlossen. Ich bin mir nicht sicher, ob sie dem Bundesrat in diesem Abstimmungskampf nützen werden.

In diesem Abstimmungskampf kommt Ihnen als Wirtschafts-minister eine zentrale Rolle zu. Werden Sie sich gegen die Vor­lage engagieren?
Ich werde die Position des Bundesrats vertreten.

Angenommen, die SVP gewinnt die Abstimmung. Welche Konsequenzen hätte dies für den Wirtschaftsstandort Schweiz?
Ach, Sie stellen fiktionale Fragen. Warten wir den Entscheid ab.

Anders gefragt: Wie schätzen Sie die Bedeutung der Personenfreizügigkeit für die Schweizer Wirtschaft ein?
Sie hat positive Effekte. Aber wir haben auch Probleme damit. Und darum gibt es flankierende Massnahmen.

Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse möchte den Rahmenvertrag mit der EU zügig abschliessen. Für Sie drängt die Zeit nicht. Warum?
Wir werden bald einen Entscheid fällen. Wir haben alle wichtigen Player angehört: die Wirtschaft, die Gewerkschaften, die Parteien, die Kantone und die Wissenschaft. Der Bundesrat weiss: Für den vorliegenden Text gibt es keine Mehrheit. Der Tenor im Parlament ist klar: So wie das Abkommen formuliert ist, im Bereich der Unionsbürgerrichtlinie, der flankierenden Massnahmen und der staatlichen Beihilfen, ist es nicht mehrheitsfähig.

Die Wirtschaft kann kein Interesse an einer weiteren Verzögerung haben.
Das kann ein Problem für die Wirtschaft sein, ja. Aber Politik funktioniert eben anders. Sie brauchen Mehrheiten.

Sie sagen also: nicht unterschreiben?
Nochmals, ich sehe die kritische Stimmung im Parlament und die Zweifel, die in den Anhörungen zum Ausdruck gebracht wurden. Wir müssen nochmals verhandeln. Sonst haben wir ein doppeltes politisches Problem: gegenüber der EU und gegenüber der Bevölkerung. Das ist Klartext, nichts anderes.

Wie erklären Sie Brüssel, dass Sie den Vertragstext ändern wollen?
Wie gerade gesagt. Wir können doch eine Gegenofferte machen! Dann sehen wir, was möglich ist. Das ist unser Job!

Sie sagen also, die EU biete nach wie vor Hand für Verhandlungen?
Wenn man immer gleich sagt, das und das kann man nicht diskutieren, hat man ein Problem. Nochmals: Für dieses Abkommen gibt es keine Mehrheit, das kann weder ich noch der Bundesrat, noch sonst jemand ändern.

Martin Selmayr, Generalsekretär der Europäischen Kommission, sagte diese Woche im Schweizer Fernsehen: Die Verhandlungen sind abgeschlossen, und jede Seite sei selber verantwortlich, dafür eine Mehrheit zu schaffen.
Das ist gut gemeint, aber diese Mehrheit besteht eben nicht. In der Schweiz sitzt das Volk nun mal mit am Verhandlungstisch. Ich sage: Wir wollen stabile Beziehungen mit der EU. Bis jetzt hat das gut funktioniert.

Sie machen sich keine Sorgen wegen Gegenmassnahmen der EU? Stichwort Börsenäquivalenz.
Wir wollen eine stabile Beziehung mit Brüssel. Möglich, dass Retor­sionsmassnahmen folgen. So funktioniert Machtpolitik, das tun Grossmächte. Sind sie mit einem Vertrag nicht zufrieden, passen sie ihn an, das lehrt uns die Geschichte. Das war beim Bankgeheimnis nicht anders. Damit müssen wir leben.

Vergangene Woche reiste Bundespräsident Ueli Maurer nach Washington. Kommt nun bald ein Freihandelsabkommen mit den USA?
Wir befinden uns in einer heiklen Phase: Beide Staaten können profitieren, müssen nun aber die Bereiche definieren, wo es Probleme für ein Abkommen geben könnte, und aufzeigen, welche Lösungen möglich wären. Denn das Schlimmste wäre, wenn wir jetzt zu sehr beschleunigen und das Ganze am Ende scheitert. Das hatten wir schon 2006.

Der Handelskonflikt zwischen den USA und China hat sich diese Woche mit dem Boykott des Tech-Giganten Huawei auch zugespitzt. Wie beurteilen Sie die Situation aus Sicht der Schweiz?
Präsident Trump und unser Bundespräsident Ueli Maurer haben vergangene Woche auch über China gesprochen. Ueli Maurer hat den Amerikanern klargemacht, dass wir gute Beziehungen mit allen pflegen, auch mit China. Denn als kleines, dynamisches Land ist die Schweiz auf diese Kontakte angewiesen.

Sie haben keine Sicherheitsbedenken gegen Technik aus China?
Bis jetzt hat uns der Nachrichtendienst klar bedeutet, dass er kein grundsätzliches Problem bei Huawei sieht. Wir beobachten die Entwicklung genau. Diese Auseinandersetzung ist Teil eines globalen Wirtschaftskonflikts, und ich hoffe, dass die Sanktionen und Gegensanktionen das weltweite Wirtschaftswachstum nicht zu sehr schwächen.

Hilfe für ältere Arbeitslose

Vergangene Woche verkündete der Bundesrat ein Massnahmenpaket zur Förderung der inländischen Arbeitskräfte. Im Fokus stehen namentlich ältere Arbeitslose: Personen, die älter sind als 40 Jahre, sollen kostenlose Laufbahnberatung in Anspruch nehmen können. Zusätzlich werden die kantonalen Stellen bei der Betreuung von schwer Vermittelbaren gestärkt. Für Ausgesteuerte über 60 sind Überbrückungsleistungen vorgesehen.

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