2011 waren der Waadtländer Pierre-Yves Maillard (51) und der Freiburger Alain Berset (47) Kontrahenten im Kampf um den freien Bundesratssitz von Micheline Calmy-Rey (73). Jetzt ist Maillard Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds und trifft erneut auf Sozialminister Berset – im Ringen um die AHV.
BLICK: Herr Maillard, der AHV-Steuer-Deal ist durch, obwohl die Gewerkschaften gespalten waren. Sind Sie zufrieden?
Pierre-Yves Maillard: Ja, ich war für die Vorlage. Zwei grosse Herausforderungen können jetzt besser gelöst werden. Das ist ein gutes Zeichen für unsere Kompromisskultur. Ausschlaggebend für das Ja war aber ganz klar der AHV-Teil. Die Bevölkerung will eine sichere AHV – und ist bereit, dafür etwas zu bezahlen.
Das ist nur ein Zwischenschritt. Der nächste ist Frauenrentenalter 65. Helfen Sie da endlich mit?
Nein. Wird das Frauenrentenalter auf 65 erhöht, ist die AHV-Reform gefährdet. Mit der Erhöhung haben die Frauen 1,2 Milliarden Franken weniger auf dem Konto. Mit den vorgeschlagenen Ausgleichsmassnahmen fliesst kaum mehr als die Hälfte zurück – wahrscheinlich sogar viel weniger.
Sie müssen auch einen Schritt machen, um die AHV zu sanieren.
Doch nicht auf dem Buckel der Frauen! Diese werden in vielen Bereichen benachteiligt: Sie bekommen weniger Lohn, sie müssen sich häufiger mit Teilzeitjobs begnügen, sie leisten mehr in der Kinderbetreuung und im Haushalt. Bei dieser Ausgangslage darf es keine Verschlechterung der Leistungen für die Frauen geben. Was zudem oft vergessen geht: Viele Grosseltern helfen mit in der Enkelbetreuung. Fällt ein Rentenjahr weg, schliesst auf einen Schlag die grösste Kinderkrippe der Schweiz.
Frauenrentenalter 65 ist also tabu?
Zuerst braucht es konkrete Fortschritte in der Gleichstellung. Erst dann können wir darüber diskutieren.
Die Bürgerlichen wollen mittelfristig noch weitergehen Richtung Rentenalter 66 oder 67 für alle.
Das können die Leute nicht verstehen! Sie erleben derzeit ein ganz anderes Phänomen: Ältere Arbeitslose gleiten als Ausgesteuerte immer öfter in die Sozialhilfe ab. Bei den über 50-Jährigen ist die Angst weitverbreitet, nicht bis zum Rentenalter arbeiten zu können.
Was halten Sie von der Idee, die AHV-Rente für Superreiche zu streichen? Da muss ein linkes Herz doch höherschlagen.
Nein, da halte ich es mit dem früheren Bundesrat Hans-Peter Tschudi: «Die Reichen brauchen die AHV nicht, aber die AHV braucht die Reichen.» Werden Reiche von der AHV ausgeschlossen, untergräbt dies den Solidaritätsgedanken. Dann werden sie früher oder später auch nicht mehr dafür bezahlen wollen.
Mit Ihrer Blockadehaltung wird bloss das Loch in der AHV-Kasse grösser.
Nein, wir wollen eine gut finanzierte AHV. Aber nicht über ein höheres Rentenalter. Die Stimmberechtigten haben gesagt, in welche Richtung es gehen kann. Wenn es in ein paar Jahren nötig ist, sind zusätzliche Lohnpromille möglich – die AHV ist das wert.
Mehr Geld – eine typisch linke Lösung.
Die Reformen müssen aber aufgrund der Entwicklung in der zweiten Säule sowieso neu gedacht werden. Die AHV muss künftig eine noch viel grössere Rolle bei der Existenzsicherung im Alter spielen.
Das heutige Drei-Säulen-Prinzip funktioniert doch.
Rund ein Drittel der Frauen und fast ein Fünftel der Männer haben keine Renten aus der zweiten Säule. Und gleichzeitig hat sich die Situation bei den Pensionskassen massiv verschärft. In den letzten zehn Jahren sind die Pensionskassenrenten im Schnitt um neun Prozent gesunken. Die AHV wird damit immer wichtiger, um das Rentenniveau insgesamt zu halten. Leistungskürzungen bei der AHV kommen deshalb nicht infrage.
Stattdessen planen Sie eine Volksinitiative für eine 13. AHV-Rente. Das braucht nochmals Geld.
Der letzte SGB-Kongress hat diesen Vorschlag prinzipiell beschlossen. Dafür müssen wir auch über neue Finanzierungsmöglichkeiten diskutieren. Die Realität ist doch: Obwohl die Wirtschaft gut läuft, sinken die Pensionskassenrenten drastisch. Da macht eine Schlechterstellung der AHV überhaupt keinen Sinn! Stattdessen muss die erste Säule gestärkt werden. Die 13. AHV-Rente ist die beste und für das Gros der Bevölkerung die kostengünstigste Möglichkeit, das Rentenniveau zu halten.
Vor drei Jahren wurde die AHV-plus-Initiative für eine zehnprozentige Rentenerhöhung abgelehnt. Da ist die neue Initiative vermessen.
Die Ausgangslage hat sich seither dramatisch verändert. Wir können doch nicht einfach tatenlos zuschauen, wenn das Rentenniveau sinkt.
Wann starten Sie mit der Unterschriftensammlung?
Unsere Delegiertenversammlung wird im Herbst über den Initiativtext befinden. Die Unterschriftensammlung startet voraussichtlich Anfang 2020.