Fussballerin und Polit-Talent Sarah Akanji (26) über harte Fouls und alte Männer im Parlament
«Frauenfussball ist automatisch politisch!»

Sie ist ein Shooting-Star in der Politik, Vorkämpferin des Frauenfussballs und stammt aus einer bemerkenswerten ­Familie: Sarah Akanji (26) über ­harte 
Fouls, alte Männer im Parlament und 
wieso Fragen nach ihrem Bruder, Fussballprofi 
Manuel Akanji, manchmal nerven.
Publiziert: 06.07.2019 um 13:29 Uhr
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Aktualisiert: 07.07.2019 um 12:04 Uhr
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Fussballerin und Poiltikerin Sarah Akanji (26) sagt: «Frauenfussball ist in der Schweiz unsichtbar.»

Wo werden Sie heute Sonntag um 17 Uhr sein?
Sarah Akanji: In Lyon. Am Final der Frauenfussball-WM. Für mich ist schon sehr lange klar, dass ich ­dieses Spiel live sehen will.

Geht es für Sie da mehr um Sport oder um Politik?
Es geht in erster Linie um Sport. Aber Frauenfussball ist auto­matisch politisch!

Auffällig ist, dass Spielerinnen wie die US-Amerikanerin Megan Rapinoe sich politisch äussern. Sie hat angekündigt, im Fall ­eines Titelgewinns nicht ins Weisse Haus zu gehen, weil sie die Politik von Präsident Trump ablehnt. Wieso tun das Frauen, Männer aber nicht?
Weil Frauen müssen. Sie verdienen weniger, bekommen weniger ­Respekt und weniger Aufmerk­samkeit. Megan Rapinoe ist nicht die einzige, aber sie ist ein perfektes Beispiel, wie eine Spielerin durch Ungerechtigkeiten im Sport auf ­soziale Ungerechtigkeiten aufmerksam wird. Sie macht das toll.

Wenn man mit Ihren politischen Wegbegleiterinnen spricht, dann sagen die, dass auch Sie der Fussball politisiert hat. Stimmt das?
Richtig.

Erzählen Sie!
Mir wurde durch den Fussball ­bewusst, dass ich in der Schweiz als Mädchen nicht gleich wie ein Bub behandelt werde.

Woran haben Sie das konkret ­bemerkt?
Als ich zu spielen begann, gab es keine Mädchenteams. Und das kümmerte auch niemanden. Ich durfte als Kind zum Glück bei den Buben mitspielen. Aber mir wurde immer das Gefühl gegeben, dass ich ein Extra-Aufwand bin.

Bekamen Sie das auch physisch zu spüren?
Ja, als Jugendliche foulten mich die Gegenspieler entweder extra hart, oder sie wichen mir aus. Wenn ich anstelle eines Teamkollegen eingesetzt wurde, dann beschwerte der sich, weil ein Mädchen für ihn spielt.

Sie haben dann vor ein paar ­Jahren beim FC Winterthur eine Frauenmannschaft gegründet.
Vorher gab es einen wichtigen ­Zwischenschritt. Ich spielte in der Nationalliga A für das Frauenteam des FC St. Gallen. Ich dachte, okay, jetzt spiele ich in der besten Liga der Schweiz und kann mich voll auf den Sport konzentrieren.

Aber?
In Tat und Wahrheit spielten wir auf einem Nebenplatz, ich bezahlte den Mitgliederbeitrag, musste Sponsoren organisieren, um überhaupt mitmachen zu können. Ich kaufte meine Trainingssachen selbst, und das, obwohl ich viermal in der ­Woche trainierte. Dann verletzte ich mich – und begann zu über­legen, was ich jetzt mache. So entstand die Idee, in Winterthur eine gute Frauenmannschaft aufzubauen, weil es in der Region keine gab.

Seit der Gründung vor drei ­Jahren stiegen Sie direkt in die 1. Liga auf, mit Ihnen als ­Captain. Ihre Armbinde ist regenbogenfarbig. Wieso?
Unser Team steht für Toleranz auf und neben dem Platz ein. Mit dieser Captainbinde zeigen wir auf, dass sich unser Team gegen Diskriminierung jeglicher Art stellt, insbesondere auch gegen ­Homophobie.

Der Fussball sorgt in Sachen ­Sexismus immer wieder für ­negative Schlagzeilen. Zuletzt, als Fans des FC Schaffhausen ein Transparent nach Winterthur ZH mitbrachten, auf dem sie zur ­Vergewaltigung von Winter­thurer Frauen aufriefen.
Dazu habe ich mich geäussert. Ich forderte Stadionverbote für die Täter. Zum Glück wurden diese auch ausgesprochen. Aber wichtig ist, dass gerade der Frauenfussball immer mehr positive Schlagzeilen schreibt.

Zuletzt waren es leider vor allem traurige: Florijana Ismaili (24) verstarb diese Woche im Comersee. Haben Sie sie gekannt?
Nein, nicht persönlich. Aber ich kenne Kolleginnen, die mit ihr spielten. Es ist fürchterlich, was ­geschehen ist.

Themawechsel: Ärgert es Sie, dass Sie in jedem Interview auf Ihren Bruder Manuel Akanji angesprochen werden?
Wenn es um Fussball geht, kann ich das nachvollziehen. Es ärgert mich dann, wenn ich in einem Interview zu politischen Themen plötzlich über meinen Bruder reden muss. Denn damit hat er nichts zu tun.

Wir müssen jetzt trotzdem noch etwas über Ihre Familie reden. Ihr Bruder Manuel ist einer der besten Fussballer der Schweiz. Ihre Schwester Michelle Akanji übernimmt ab nächstem Jahr die Co-Leitung eines renommierten Zürcher Theaterhauses, der Gessnerallee. Sie sitzen mit 25 im Zürcher Kantonsrat. Was ist eigentlich los mit den Akanjis?
(Lacht) Ich weiss es auch nicht. Was ich weiss: Es steckt viel Arbeit dahinter. Mein Bruder leistete in seiner Jugend enorm viel, um Profi zu werden. Meine Schwester war ex­trem fleissig, und ich bin wohl auch nicht die unengagierteste Person.

Ihre Schwester hat sich in einer preisgekrönten Radio-Reportage mit ihrem aus Nigeria stammenden Vater auseinander­gesetzt. Ihr Vater sagte dort ­etwas Spannendes über die Familie Akanji: «Wir sind Leute, die ­Dinge durchdenken.»
Er hat recht. Wir sind alles Denkerinnen und Denker. Wir überlegen uns sehr genau, wie wir etwas angehen. Auch mein Bruder ist ein enormer Kopfmensch. Er analysiert die Dinge und hat deshalb enorm viel Übersicht auf dem Platz.

Die Reportage beginnt mit den Worten «Das ist keine Migra­tionsgeschichte». Wieso ist das wichtig?
Meine Schwester erzählt in diesem Podcast die Geschichte meines ­Vaters. Mein Vater ist zwar über die USA in die Schweiz migriert, aber die Geschichte behandelt viel mehr: Es geht um eine Familiengeschichte, um die Schweiz als vielfältiges ­kulturelles Land, um uns als Gesellschaft. Und meine Geschwister und ich sind nie migriert. Wir sind hier aufgewachsen. Nur weil wir eine andere Hautfarbe haben, sind wir nicht weniger Schweizerinnen.

Wann fühlten Sie sich denn zum ersten Mal auf Ihre Haut­farbe ­reduziert?
Schon als kleines Kind – etwa, wenn mir wildfremde Menschen in die Haare fassten. Als Kind habe ich mir oft gewünscht, dass ich gleich bin wie alle anderen. Ich werde bis ­heute permanent auf meine Hautfarbe angesprochen, auf meinen Hintergrund, auf meine «Wurzeln», wie es so gern genannt wird.

Aber ist es wirklich so schlimm? Im Vergleich zu anderen Ländern…
Das ist eine falsche Herangehensweise. Man kann sich mit anderen vergleichen und dann beruhigt feststellen, dass man nicht so schlecht dasteht. Ich halte es auch in der ­Politik so: Ein Problem muss fest­gestellt und angegangen werden. Es gibt in der Schweiz offenen Rassismus, aber meist geschieht er unbewusst. Und ich habe oft das Gefühl, dass uns Afro-Schweizern nicht richtig zugehört wird. Wenn ich sage, dass es nicht okay ist, dass ich jeden Tag gefragt werde, wo ich herkomme, dann heisst es sofort: «Wieso? Ich zeige doch bloss mein Interesse!»

Seit Mai sind Sie nun im Zürcher Kantonsrat. Hat Sie etwas überrascht im Politikbetrieb?
Man hat nach den Wahlen betont, dass es nun viel mehr Frauen und viel mehr Junge im Parlament hat. Aber wenn man in diesem Saal ist, merkt man, dass da immer noch vor ­allem ältere Herren sitzen. Ich ­fühle mich im Parlament sehr jung. Da gibt es noch viel zu tun.

Klimabewegung, Frauenstreik: Die junge Generation wird gerade von einer politischen Welle erfasst…
Voll. Und es war toll, so viel Solidarität zu spüren und das Gefühl, dass viele junge Menschen etwas gegen alte Strukturen tun wollen. Aber auch zu sehen, dass viele nicht beim Aktivismus bleiben, sondern wirklich in die Politik einsteigen.

Nun, die junge Generation ist aber eben auch die Generation Easyjet, die übers Wochenende nach London jettet…
Das sind die Argumente jener, die auf die Bremse stehen wollen. Das stört mich enorm. Es ist nicht die Jugend, die dafür gesorgt hat, dass es Billigflüge gibt. Die Jugendlichen leben in einer Gesellschaft, in der es möglich ist, für 30 Franken nach Rom zu fliegen, die Zugreise dahin aber kostet 200 Franken. Nachhaltigkeit sollte keine Geldfrage sein.

Jeder kann auf einen Flug ­verzichten, wenn er will.
Politikerinnen und Politiker nehmen sich aus der Pflicht, wenn sie sagen: Umweltschutz ist etwas ­Individuelles. Dann brauchts keine Politik mehr. Das System muss so verändert werden, dass Menschen nachhaltig leben können.

Alle sagen, wenn Sie dieses Jahr für den Nationalrat kandidiert hätten, wären Sie wohl gewählt worden. Wieso tun Sie es nicht?
Wir sprachen vorher darüber, dass wir in unserer Familie Dinge gern durchdenken und gut vorbereitet sein wollen. Für den Nationalrat fühl ich mich noch nicht vorbereitet. Ich habe dafür noch zu wenig politische Erfahrung.

Also kandidieren Sie in vier Jahren für den Nationalrat.
Vier Jahre sind lang. Aber wenn ich lerne, was ich mir vorgenommen habe, und Parlamentarierin ­bleiben will, dann: Ja, wieso nicht?

Nochmals zurück zum Fussball: Die Spiele Frankreichs sahen im französischen TV zum Teil über zehn Millionen Zuschauer. In der Schweiz kamen nur ­wenige ­Spiele auf SRF. Wie erklären Sie sich dieses Desinteresse?
Das SRF hat einfach noch nicht ­erkannt, dass es eine attraktive Sportart ist. Frauenfussball ist in der Schweiz unsichtbar. Gegenüber den USA, aber auch gegenüber ganz vielen anderen europäischen Ländern hinken wir enorm hinterher. In den USA ist das Trikot der Frauen-Nationalmannschaft der meistverkaufte Dress von Nike. Das wirkt sich auf den Sport aus.

Wer gewinnt die WM?
Ich glaube, die USA.

Schafft die Schweiz das irgendwann auch?
(Lacht) Wenn wir in den Frauenfussball investieren, ist alles ­möglich. Aber wenn wir so weitermachen, sicher nicht.

Die Frau am linken Flügel

Sarah Akanji (26)wuchs in Wiesen-dangen ZH auf und begann als Neun­jährige, Fussball zu spielen. Später kickte sie unter ­anderem für den FC St. Gallen in der höchsten Schweizer Liga. Nach einer ­Verletzung zog sie sich aus dem Spitzensport zurück, gründete in Winterthur eine Frauenmannschaft und stieg in die Politik ein. Im März wurde sie mit einem Glanzresultat für die SP in den ­Zürcher Kantonsrat gewählt. In der Partei zählt sie zum linken Flügel, ihr wird eine grosse politische ­Zukunft voraus­gesagt. Ihre Schwester Michelle (29) ­leitet ab 2020 das Zürcher Theater Gessnerallee. Bruder Manuel (23) spielt bei Borussia Dortmund und in der Nati.

Sarah Akanji (26)wuchs in Wiesen-dangen ZH auf und begann als Neun­jährige, Fussball zu spielen. Später kickte sie unter ­anderem für den FC St. Gallen in der höchsten Schweizer Liga. Nach einer ­Verletzung zog sie sich aus dem Spitzensport zurück, gründete in Winterthur eine Frauenmannschaft und stieg in die Politik ein. Im März wurde sie mit einem Glanzresultat für die SP in den ­Zürcher Kantonsrat gewählt. In der Partei zählt sie zum linken Flügel, ihr wird eine grosse politische ­Zukunft voraus­gesagt. Ihre Schwester Michelle (29) ­leitet ab 2020 das Zürcher Theater Gessnerallee. Bruder Manuel (23) spielt bei Borussia Dortmund und in der Nati.

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