Blick: Was ist los in der Schweiz? Früher galt Selbstverantwortung als oberstes Prinzip. Heute rufen alle nach dem Staat.
Ruedi Noser: Dieses Gefühl, dass der Staat überall eingreifen soll, haben die Linken. Die Linken wollen dauernd Rezepte aus Frankreich in die Schweiz importieren. Sie wollen in der Schweiz französische Verhältnisse schaffen. So könnten sie auch hier links politisieren. Das würde aber bedeuten: hohe Jugendarbeitslosigkeit, nicht vorhandenes Unternehmertum, keine Selbstverantwortung oder Eigeninitiative. Dafür jede Menge Staatswirtschaft. Die Schweiz aber braucht definitiv keine französischen Rezepte.
Dann ist die Frage: Was ist los mit der Linken? Die sollen doch die Arbeiterschaft vertreten.
Die gibt es ja nicht mehr. Ich komme aus eher bescheidenen Verhältnissen. Das gibt es bei den Linken ja gar nicht mehr. Im Parlament sitzen nur noch top ausgebildete linke Akademiker. Die sind von der Klientel, welche die Sozialdemokratie eigentlich vertreten müsste, meilenweit entfernt. Die Arbeitnehmerschaft wird heute nicht mehr durch die linken Parteien vertreten. Das hat seinen Grund.
Nämlich?
Die, welche die Büezer in den Parlamenten vertreten sollten, leben heute mehrheitlich vom Staat. Es sind Lehrer oder Professoren oder eben auch Sozialunternehmer, Berater im Sozialbereich, die zumindest indirekt am Tropf des Staates hängen.
Deshalb kommt von dort jetzt auch die Erbschaftssteuer, die besagt: Man nehme das Geld von den Reichen und stecke es in die AHV.
Wenn Sie nachhaltige Politik betreiben wollen, ist es eine Dummheit, wenn Sie einen einzigen Event besteuern wollen, nämlich den Zeitpunkt des Übertrags eines Erbes. Denn dieser Zeitpunkt lässt sich ja planen und eben auch umgehen. Wir haben heute ein Steuersystem, bei dem jedes Jahr Vermögenssteuer anfällt. Wenn Sie die Einkommenssteuer dazuaddieren, die Sie benötigen, um die Vermögenssteuer zu begleichen, zahlen Sie jedes Jahr fast ein Prozent Vermögenssteuer. Im heutigen Zinsumfeld ist dies enorm viel. Wenn Sie das Vermögen 50 Jahre besitzen und mehren, zahlen Sie je nach Kanton über die Jahre 30 bis 35 Prozent Vermögenssteuer. Wer kann, wird die Erbschaftssteuer jedenfalls zu umgehen wissen.
Wie meinen Sie das?
Wieso ist der reiche Chef von Ikea auf seine alten Tage wieder zurück nach Schweden gegangen? War es Heimweh nach so vielen Jahren? Oder tat er es, weil Schweden keine Erbschaftssteuer kennt? Deshalb ist die Erbschaftssteuer auch nachhaltig ungerecht.
Wie bitte?
Die Schweiz hat bis jetzt gut gelebt, weil wir ein nachhaltiges Steuersystem gepflegt haben, in welchem es für die Steuerpflichtigen nur wenige Schlupflöcher gegeben hat. Eine Erbschaftssteuer lädt aber geradezu dazu ein, diese zu umgehen.
Wie?
Sie müssen einfach rechtzeitig das Land verlassen. Es gibt Länder, die sich anbieten. Schweden etwa. Aber auch in England kann der Vererbende mit den Steuerbehörden spezielle Deals abschliessen. Oder man kann nach Dubai gehen. Der sogenannte Superreiche, von dem in diesem Zusammenhang oft despektierlich die Rede ist, wird das tun, wenn die Alternative darin bestünde, dass er von seinem Firmenbesitz gewissermassen enteignet wird, weil er die Firma wegen der anfallenden Erbschaftssteuer nicht in der Familie halten kann und als Alternative verkaufen müsste.
Was macht Sie da so sicher?
Die Erbschaftssteuer bedeutet für einen Familienunternehmer eine enorme zusätzliche Auflage vom Staat. Wenn er das einfach mit einem Domizilwechsel erledigen kann, ist das Risiko, dass er dies tut, doch gross. Es kann ja nicht die Absicht der Schweiz sein, dass Unternehmer, die jahrzehntelang in diesem Land gearbeitet haben, am Schluss das Land verlassen müssen, um die Firma in Familienhand zu belassen. Bliebe er hier, wäre er in seiner unternehmerischen Freiheit enorm eingeschränkt. Das will kein Firmenbesitzer. Wer also kann, geht.
Und die, die das nicht können?
Die Übergabe einer Firma an die nächste Generation ist so oder so anspruchsvoll. Und die Erbschaftssteuer erhöht die Kosten. Wenn dafür Kredite auf die Firma aufgenommen werden müssen, erhöht dies das Risikopotenzial, was bedeutet, dass Banken grössere Sicherheiten einfordern. Wenn aber der Erblasser seinen Kindern einen Kredit mitgibt, damit die fällige Erbschaftssteuer bezahlt werden kann, ist das genauso unsinnig, denn auch dies entzieht der Firma nur Liquidität und belastet die Erben in der schwierigen Situation des Übergangs mit zusätzlichen Kosten.
Das wäre ein grundsätzlicher Richtungswechsel im Verhältnis vom Staat zu seinen Familienunternehmen.
Das ist so. Ein kleiner Staat braucht eine effiziente Verwaltung und eine tiefe Fiskalquote. Wenn wir die Schweiz heute anschauen, dann haben wir eine immer kompliziertere Verwaltung und eine steigende Fiskalquote. Und in diesem an sich schon negativen Kontext soll nun mit der Erbschaftssteuer zusätzlich eine neue Steuer eingeführt werden. Damit belasten wir eine für das Steueraufkommen der Schweiz ganz wichtige Klientel mit einer neuen dramatischen Abgabe.
Inwiefern wichtig?
Die Hälfte der Bevölkerung zahlt keine Bundessteuer, weitere 35 Prozent zahlen sehr wenig, und 15 Prozent zahlen sehr viel. Wenn diese Vermögenden nicht mehr da sind, weil wir diese mit einer fast prohibitiv hohen zusätzlichen Erbschaftssteuer belasten, handeln wir uns beim Bund ein grosses Problem ein. Das Steuergleichgewicht wie auch die Steuersolidarität fielen völlig aus dem Lot.
Ist die Linke ideologisch verblendet, dass sie diese Zusammenhänge nicht sieht oder nicht sehen will?
Das kann in niemandes Interesse sein. Auch und gerade nicht der Linken, die vorgeben, sich für Arbeit und Jobs in diesem Land einzusetzen. Das ist in sich eine Dummheit. Ich bin überzeugt, hier wurde eine reine Neiddiskussion gegen Reiche angezettelt. Dabei geht der entscheidende Aspekt verloren.
Nämlich?
Familienvermögen, die über Generationen weitergegeben werden, erwirtschaften einen enormen Mehrwert für dieses Land. Denken Sie etwa an die Erben von Roche, eine florierende Firma. Oder an die Besitzer der Aufzugsfirma Schindler oder der Maschinenbauer Bühler in Uzwil. Es ist ja nicht nur so, dass diese Unternehmen wie auch deren Besitzer Steuern bezahlen, sondern auch die Tausenden von Mitarbeitern, welche sie beschäftigen. Diese Unternehmerfamilien handeln auch verantwortungsbewusst für unser Land.
Und auch das zerstört eine Erbschaftssteuer?
Ein Urs Bühler fühlt sich mit der Ostschweiz persönlich verbunden. Wäre der Besitzer eine amerikanische Risikokapitalgesellschaft, wäre das nicht mehr der Fall. Und genau das geschieht mit der Erbschaftssteuer.
Wieso?
Wenn die Erbschaftssteuer Familienunternehmen schwächt, diese mitunter verkauft werden müssen, können Sie davon ausgehen, dass amerikanische Hedgefonds sich dies zunutze zu machen wissen. Wir werden sehen, dass Schweizer Familienbetriebe in deren Besitz übergehen werden. Das ist das Paradoxe: Ausgerechnet die Linken, welche diese Heuschrecken bekämpfen, treiben unsere Firmen in deren Arme. Wir müssten alles daransetzen, diese Familienunternehmen zu stärken, denn nur sie geben den Firmen die notwendige Stabilität.
Sie sind nicht nur Politiker, sondern auch Familienunternehmer mit 450 Mitarbeitern. Was würde die Erbschaftssteuer für Sie persönlich bedeuten?
Wenn ich heute sterben würde, wäre die Nachlasssteuer fällig. Meine Kinder sind für eine Firmenübernahme zu jung. Es gäbe also keine Nachfolge in der Familie. Meine Firma müsste verkauft werden. Ich könnte die Firma dem Management übergeben. Dann wäre einfach eine andere Familie Besitzerin. Damit diese die Übernahme überhaupt finanzieren könnte, müsste der Preis wohl unter dem Marktwert sein. Und das bedeutet: Es fiele bei mir noch Schenkungssteuer an. Auf der anderen Seite sagt meine Bank: Ja, der Noser könnte wirklich heute sterben. Darin sieht sie ein Risiko, was meine Kreditfähigkeit schmälert. Das Resultat: Meine Innovationskraft ist eingeschränkt, die Liquidität wird geschmälert. Das kann bei klarem Geiste niemand ernsthaft wollen.
Es wäre also nicht mehr lustig, in der Schweiz Familienunternehmer zu sein?
Nicht nur das. Ich habe einen grossen Nachteil gegenüber Nicht-Familienunternehmen. Die grossen börsenkotierten Unternehmen haben all diese Nachteile nicht. Denn diese zahlen keine Vermögenssteuer und keine Erbschaftssteuer. Das ergibt eine potenzierte Belastung für das Konzept Familienunternehmen, deren Besitzer oftmals auch sein gesamtes Vermögen in der Fima hat. Das Ende vom Lied ist: Der Familienunternehmer wird zum Hochrisikopatienten. Das gilt für praktisch alle mittelständischen Familienunternehmen, von einem grossen wie Peter Spuhlers Stadler Rail ganz zu schweigen. Das kann doch nicht im Sinn der Arbeitnehmerschaft sein, denn Familienunternehmen sind die besten Arbeitgeber im Land.
Im Klartext: Wenn Ruedi Noser heute sterben würde, könnte seine Firma die Erbschaftssteuer nicht bezahlen, sie müsste verkauft werden.
Genau so ist es. Und dies müsste erst noch unter Druck passieren. Diesen Zwang würden all die Haifische ausnützen, welche die Linken sonst so bekämpfen. Wenn man also die Schweizer Familienunternehmen dem internationalen Raubtierkapitalismus vorwerfen will, dann muss man dieser Erbschaftssteuer zustimmen.