Mit dem eigenen Tod setzt sich niemand gerne auseinander. Doch die Corona-Pandemie hat nicht nur bei den über 65-Jährigen Ängste ausgelöst. Was, wenn man selbst der Patient oder die Patientin ist, die wie auf den Bildern aus Bergamo (I) in einer überfüllten Intensivstation liegt? Und was, wenn man nicht mehr in der Lage ist, bei der eigenen Behandlung mitzureden?
Dann kann man eine Patientenverfügung aufsetzen. Für den Fall, dass man selbst urteilsunfähig wird, kann man damit seinen Willen kundtun – etwa, ob bei Hirntod weiterhin beatmet werden soll. Im Zuge der Corona-Krise machen sich immer mehr Menschen Gedanken dazu.
Das merkt das Schweizerische Rote Kreuz, das wie diverse andere Organisationen Beratungen dafür anbietet. «Zwischen Mitte März und Ende April ist die Nachfrage deutlich gestiegen», sagt Sprecherin Ursula Luder. Spürbar sei der Anstieg vor allem dann gewesen, als die Medien über den Mangel an Beatmungsgeräten und die Triage in den Spitälern berichteten. «Inzwischen hat sich die Nachfrage wieder normalisiert.»
Teure Behandlungen im hohen Alter
Auch FDP-Nationalrat Marcel Dobler (39) betreibt eine Website, bei der man einerseits Vorsorgeaufträge wie auch Patientenverfügungen digital erstellen kann und die andererseits Beratung zum Thema vermittelt. Bereits über 5000 Vorsorgeaufträge wurden erstellt, sagt der St. Galler. Gemeinsam mit Parteikollegin Doris Fiala (63) hat er die IG Patientenverfügung gegründet, die die verfügung bekannter machen und dabei helfen soll, den Patientenwillen auch tatsächlich durchzusetzen.
Nun wird Dobler auch politisch aktiv. Noch in dieser Session will er vom Bundesrat wissen, was getan wird, um Patientenverfügungen zu fördern und wie sichergestellt wird, dass diese auch umgesetzt werden.
Der Fall in den Niederlanden sorgte in der Schweiz für Entrüstung: Eine Ärztin hatte 2016 bei einer schwer demenzkranken Frau aktive Sterbehilfe geleistet. Diesen Frühling ist die Ärztin vom obersten niederländischen Gericht vom Vorwurf des Mordes frei gesprochen worden: Die Demenzkranke hatte eine schriftliche Patientenverfügung hinterlassen.
Auch in der Schweiz sind Patientenverfügungen immer wieder in der Debatte um Sterbehilfe ein Thema. Der niederländische Fall wäre aber in der Schweiz nicht erlaubt: Hier kann in einer Patientenverfügung nur die passive Sterbehilfe – also das Unterlassen von lebenserhaltenden Massnahmen – geregelt werden. Konflikte zwischen Angehörigen gibt es immer wieder bei Koma-Patienten, wenn eben keine entsprechende Willensäusserung vorliegt.
Für politischen Streit sorgt die Regelung bei der Beihilfe zum Suizid bei urteilsfähigen Personen. Diese ist in der Schweiz erlaubt und wird von Organisationen wie Exit und Dignitas angeboten. Umstritten ist etwa, ob sie Zugang zu Altersheimen erhalten sollen.
Der Fall in den Niederlanden sorgte in der Schweiz für Entrüstung: Eine Ärztin hatte 2016 bei einer schwer demenzkranken Frau aktive Sterbehilfe geleistet. Diesen Frühling ist die Ärztin vom obersten niederländischen Gericht vom Vorwurf des Mordes frei gesprochen worden: Die Demenzkranke hatte eine schriftliche Patientenverfügung hinterlassen.
Auch in der Schweiz sind Patientenverfügungen immer wieder in der Debatte um Sterbehilfe ein Thema. Der niederländische Fall wäre aber in der Schweiz nicht erlaubt: Hier kann in einer Patientenverfügung nur die passive Sterbehilfe – also das Unterlassen von lebenserhaltenden Massnahmen – geregelt werden. Konflikte zwischen Angehörigen gibt es immer wieder bei Koma-Patienten, wenn eben keine entsprechende Willensäusserung vorliegt.
Für politischen Streit sorgt die Regelung bei der Beihilfe zum Suizid bei urteilsfähigen Personen. Diese ist in der Schweiz erlaubt und wird von Organisationen wie Exit und Dignitas angeboten. Umstritten ist etwa, ob sie Zugang zu Altersheimen erhalten sollen.
Doch das ist nicht alles. Dobler will die Anreize für Patientenverfügungen erhöhen. Er schlägt vor, dass Krankenkassen Prämienrabatte gewähren dürfen dass die Grundversicherung zumindest die Beratungskosten übernimmt. «Krankenkassen hätten ein Interesse daran, dass mehr Menschen eine Patientenverfügung ausfüllen», ist Dobler überzeugt. «Nur ist es ihnen verboten, dafür Anreize zu setzen.»
Es gehe ihm in erster Linie darum, für das Thema zu sensibilisieren, betont Dobler. «Ich bin mir aber sicher, dass ein Nebeneffekt eine Senkung der Gesundheitskosten wäre.» Denn der Patientenwille sei oft nicht, unter allen Umständen am Leben erhalten zu werden.
Tabu Gesundheitskosten
Dobler stösst damit eine heikle Debatte an – erneut. Auch SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel (54) und der ehemalige grüne Nationalrat und heutige Berner Stadtpräsident Alec von Graffenried (57) haben die Frage nach den Auswirkungen von Patientenverfügungen auf die Gesundheitskosten bereits gestellt.
Der Bundesrat hat entsprechende Nachforschungen jedoch immer abgelehnt. Das würde das Solidaritätsprinzip im Gesundheitswesen infrage stellen – und könnte den Druck auf ältere Menschen erhöhen, aus Kostengründen auf eine Behandlung zu verzichten.
«Kosten dürfen keine Rolle spielen»
Auch Ursula Luder vom Roten Kreuz warnt davor, Patientenverfügungen in Zusammenhang mit den Gesundheitskosten zu stellen: «Das sind sehr persönliche Überlegungen», sagt sie. Man müsse sich dafür Zeit nehmen, mit Angehörigen sprechen und bei Unsicherheit eine Beratung nützen. «Kostenaspekte dürfen hier keine Rolle spielen.»
Dobler ist sich bewusst, dass er eine heikle Frage aufwirft. «Obwohl sie unbequem ist, muss sie doch gestellt werden», findet er. Aktuell hätten zu viele Menschen weder Vorsorgeaufträge noch Patientenverfügung: «Wichtig ist, dass beides grössere Verbreitung findet – finanzielle Anreize wären ein Weg dahin.»
Haben Sie Fragen zum Thema Patientenverfügung? Eine Expertin von Pro Senectute Schweiz wird die Leserfragen beantworten.
Ruth Baumann-Hölzle: Sind Prämienrabatte für Patientenverfügungen eine gute Idee?
Nein, aus meiner Sicht absolut nicht, das ist sehr problematisch. Patientenverfügungen müssen freiwillig sein, da darf es keinen sozialen Zwang geben. Das Gesundheitssystem ist ohnehin schon stark durchökonomisiert, dies sollten wir nicht noch weiter treiben.
Wo ist denn das Problem? Es wird ja niemand gezwungen.
Für Menschen, die finanziell schlechter gestellt werden, kann dies schnell zum sozialen Zwang werden. In einer Verfügung informiere ich darüber, was mir wichtig ist im Leben und im Sterben, und welche Behandlungsmöglichkeiten ich anwenden möchte und welche nicht. Damit entlaste ich auch meine Stellvertretung, die Angehörigen und das Behandlungsteam.
Sparen denn Patientenverfügungen Gesundheitskosten?
Nicht zwingend! Das kann höchstens eine Begleiterscheinung sein, da die letzten Wochen medizinisch gesehen die teuersten sind. Aber: Bei einer Patientenverfügung geht es nicht unbedingt darum, auf Massnahmen zu verzichten, sondern um eine mir angemessene Behandlung – das ist eine individuelle Frage. Und es ist sehr fragwürdig, diese in Zusammenhang mit den Gesundheitskosten zu stellen. Die Frage der Gesundheitskosten ist politisch zu klären und der zur Verfügung gestellte Rahmen für alle fair festzulegen,
Es geht aber auch darum, mehr Anreize für Patientenverfügungen zu geben. Das ist doch begrüssenswert?
Grundsätzliche sind mehr Anreize begrüssenswert. Das haben wir auch in der Corona-Krise gesehen, es ist sehr wichtig, sich den Fragen rund ums Sterben zu stellen – sonst müssen andere in der Krisensituation stellvertretend entscheiden. Aber finanzielle Anreize sind nicht die richtigen. Der Anreiz muss im Grunde genommen ein gutes Sterben sein: Wir sollten mit unseren Nächsten darüber reden, was für uns gutes Leben, und gutes Sterben bedeutet – und welche medizinische Massnahmen im Angesicht des Todes für uns sinnvoll sein könnten und welche nicht.
Dr. Ruth Baumann-Hölzle ist Theologin und Leiterin des privaten Instituts «Dialog Ethik» in Zürich.
Ruth Baumann-Hölzle: Sind Prämienrabatte für Patientenverfügungen eine gute Idee?
Nein, aus meiner Sicht absolut nicht, das ist sehr problematisch. Patientenverfügungen müssen freiwillig sein, da darf es keinen sozialen Zwang geben. Das Gesundheitssystem ist ohnehin schon stark durchökonomisiert, dies sollten wir nicht noch weiter treiben.
Wo ist denn das Problem? Es wird ja niemand gezwungen.
Für Menschen, die finanziell schlechter gestellt werden, kann dies schnell zum sozialen Zwang werden. In einer Verfügung informiere ich darüber, was mir wichtig ist im Leben und im Sterben, und welche Behandlungsmöglichkeiten ich anwenden möchte und welche nicht. Damit entlaste ich auch meine Stellvertretung, die Angehörigen und das Behandlungsteam.
Sparen denn Patientenverfügungen Gesundheitskosten?
Nicht zwingend! Das kann höchstens eine Begleiterscheinung sein, da die letzten Wochen medizinisch gesehen die teuersten sind. Aber: Bei einer Patientenverfügung geht es nicht unbedingt darum, auf Massnahmen zu verzichten, sondern um eine mir angemessene Behandlung – das ist eine individuelle Frage. Und es ist sehr fragwürdig, diese in Zusammenhang mit den Gesundheitskosten zu stellen. Die Frage der Gesundheitskosten ist politisch zu klären und der zur Verfügung gestellte Rahmen für alle fair festzulegen,
Es geht aber auch darum, mehr Anreize für Patientenverfügungen zu geben. Das ist doch begrüssenswert?
Grundsätzliche sind mehr Anreize begrüssenswert. Das haben wir auch in der Corona-Krise gesehen, es ist sehr wichtig, sich den Fragen rund ums Sterben zu stellen – sonst müssen andere in der Krisensituation stellvertretend entscheiden. Aber finanzielle Anreize sind nicht die richtigen. Der Anreiz muss im Grunde genommen ein gutes Sterben sein: Wir sollten mit unseren Nächsten darüber reden, was für uns gutes Leben, und gutes Sterben bedeutet – und welche medizinische Massnahmen im Angesicht des Todes für uns sinnvoll sein könnten und welche nicht.
Dr. Ruth Baumann-Hölzle ist Theologin und Leiterin des privaten Instituts «Dialog Ethik» in Zürich.