So ehrlich wie Nikita Schaffner oder Franziska Schwentner sind wenige. «Ich wähle aus zwei Gründen nicht: Faulheit und Gemütlichkeit», sagt der 24-jährige Techniker. «Ich verzichte aufs Wählen, weil es grauenvoll ist, wie gelogen, gedroht und geschummelt wird», meint die 57-jährige Büroangestellte.
Die beiden gehören zur Mehrheit – zu jenen 52 Prozent, die an den letzten Parlamentswahlen nicht teilnahmen. Trotzdem ist Wahlabstinenz für viele mit Scham behaftet. «Ich möchte meinen Söhnen peinliche Fragen ersparen», begründet Putzfrau Claudia M.*, 51, weshalb sie anonym bleiben will. Die Söhne müssten sich anhören, ihre Mutter sei dumm und beklage sich nur, statt etwas zu ändern. «Es ist mir bewusst, dass es kontraproduktiv ist, wenn man nicht wählt», sagt Claudia M.
Viele schummeln
«Wer nicht wählen geht, gilt in der Schweiz nicht als guter Bürger», sagt der Berner Politikwissenschaftler Markus Freitag. Bei Befragungen nach Wahlen wird deshalb geschummelt. Bis zu drei Viertel der Befragten geben an, sie hätten gewählt – doch weniger als die Hälfte tat es.
Will nicht oder kann nicht. Viele sehen in der Wahlabstinenz ein grundsätzliches Problem. Politologe Freitag nicht. «Entscheidend ist, warum Leute nicht wählen.» Drei Umstände müsse man unterscheiden: Eine Person will nicht, weil es sie nicht interessiert. Eine Person kann nicht, weil sie sich nicht als sachkundig genug empfindet. Eine Person kommt mit dem Thema Politik nicht in Berührung, weil sie sozial isoliert ist. In den beiden letzten Fällen sei Wahlabstinenz problematisch, weil sie nicht aus freien Stücken geschehe.
Nichtwähleranteil ist konstant
Bei der Putzfrau Claudia M. besteht die Chance, dass sie irgendwann wählen wird. «Ich arbeite daran, mich mehr mit Politik zu befassen, damit ich lerne, hinter die Kulissen zu blicken und klug zu wählen.» Leute wie sie zu motivieren müsse das Ziel sein, sagt Politologe Markus Freitag. Wenn der Techniker Nikita Schaffner hingegen zu faul zum Wählen bleibt, empfindet er das als weniger problematisch.
Der Anteil der Nichtwählenden ist in der Schweiz seit Einführung des Frauenstimmrechts vor knapp 50 Jahren ziemlich konstant. «Nur wenn grosse Teile der Bevölkerung die Stabilität unseres Landes und unsere Lebensweise bedroht sähen, würde sich daran wohl etwas ändern», sagt Freitag.
Das sagen die Nichtwähler
J. Gasser (38), Schreiner, Hausen am Albis ZH: «Ich wähle nicht, weil mir teils das Vertrauen in unser System fehlt. Solange in der Schweizer Politik Lobbyisten und Wirtschaftsgrössen freie Hand haben und es für uns Wähler nicht sichtbar ist, wer wem den Ball zuspielt, frage ich mich, wie sinnvoll es ist, national Politiker zu wählen.»
Ruedi Stricker (66), Unternehmensberater, Rorschacherberg SG: «Die wesentlichen Fragen in unserem Land werden nicht ernsthaft angegangen. Man beschäftigt sich lieber mit der Gestaltung von Autobahnvignetten als mit der Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit. Die Bilanzsumme unserer zwei grössten Banken ist grösser als das Bruttoinlandprodukt, und so sind auch die Machtverhältnisse. Wer wirklich etwas bewegen will in diesem Land, braucht viel Geld oder viele naive Gläubige.»
Chantal Friolet (28), Fachfrau Gesundheit, Winterthur: «Ich befasse mich wenig mit politischen Themen. Es nützt mir nichts, die Informationsbüchlein zu den Abstimmungen oder Wahlen zu lesen. Sie sind zu kompliziert, ich verstehe sie nicht. Weil ich die meisten Politiker nicht kenne, habe ich noch nie einem meine Stimme gegeben.»
Nikita Schaffner (24), Techniker, Au ZH: «Meine Gründe fürs Nichtwählen sind Faulheit und Gemütlichkeit. Wählen kostet Zeit und Energie. Man muss sich ja bei vielen Abstimmungen oder Wahlen erst einmal in ein Thema einlesen und die Argumente der einzelnen Parteien oder Personen studieren und abwägen. Ich will ungern einfach draufloswählen. Ich denke, dass viele Wahlen nur dadurch entschieden wurden, dass die meisten ‹irgendwie› gewählt haben. Das möchte ich nicht.»
Franziska Schwentner (57), Büroangestellte, Kanton Zürich: «Ich verzichte aufs Wählen, weil es grauenvoll ist, wie gelogen, gedroht und geschummelt wird. Jeder wirft dem anderen Lügereien vor. Was ist unter all den Nachrichten denn wahr und was nicht? Die Aggressivität auf Facebook ist so unglaublich, dass es meine Unsicherheit noch verstärkt. Dieses gegenseitige Kaputtmachen ist der Hauptgrund, warum ich nicht mehr wählen gehe.»
Livia Peter (28), Pflegefachfrau, Kanton Luzern: «Bei den letzten Wahlen für den Kantonsrat habe ich auf der Plattform Smartvote die Fragen ausgefüllt. Die Übereinstimmung betrug bei keinem Kandidaten mehr als 60 Prozent. Schwierig also, sich zu entscheiden. Da lasse ich es lieber bleiben. Oder wäre es authentisch und aufrichtig, zu wählen, was einem Kollege XY empfiehlt? Oder Personen zu wählen, weil sie auf Plakaten um Sympathie werben? Personen zu wählen, die meinen ‹Keine Werbung›-Kleber am Briefkasten ignorieren? Nein danke!»
Am 20. Oktober finden die eidgenössischen Parlamentswahlen in der Schweiz statt. Die insgesamt 200 Sitz im Nationalrat werden nach Anzahl Bevölkerung auf die Kantone verteilt und müssen neu gewählt werden. Auch die 46 Sitze des Ständerats werden neu vergeben.
BLICK bietet rund um die Uhr die aktuellsten Informationen zum Wahlkampf, der politischen Themenagenda der Parteien und Kandidaten, der Sitzverteilung im Parlament und den Wahlergebnissen.
Am 20. Oktober finden die eidgenössischen Parlamentswahlen in der Schweiz statt. Die insgesamt 200 Sitz im Nationalrat werden nach Anzahl Bevölkerung auf die Kantone verteilt und müssen neu gewählt werden. Auch die 46 Sitze des Ständerats werden neu vergeben.
BLICK bietet rund um die Uhr die aktuellsten Informationen zum Wahlkampf, der politischen Themenagenda der Parteien und Kandidaten, der Sitzverteilung im Parlament und den Wahlergebnissen.
Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch.
Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch.