Gestern Abend hat sich FDP-Chef Philipp Müller (63) nach seinem Frontalcrash erneut zu Wort gemeldet. Er wünsche sich nichts mehr, als dass die junge Frau, die sich bei dem Unfall schwer verletzte, «baldmöglichst genese».
Es passierte am Donnerstag. Um 17.15 Uhr fährt Müller auf der Seonerstrasse von Seon AG in Richtung Lenzburg AG. Er ist zu einer Wahlkampfveranstaltung in Lupfig AG unterwegs.
Doch dort kommt er nie an.
Sein 487 PS starkes Mercedes-AMG-Coupé gerät auf die Gegenfahrbahn. Müller rammt Kim A.* (17), die ihm auf ihrem Roller entgegenfährt. Die junge Frau wird durch die Luft geschleudert, bleibt schwer verletzt liegen. Sie befindet sich inzwischen mit mehreren Beinbrüchen im Spital. Den Umständen entsprechend gehe es ihr aber gut, sagte ihr Vater gestern gegenüber der «Aargauer Zeitung». Müllers weisser Mercedes steht derzeit in der Garage des Abschleppunternehmers, die Staatsanwaltschaft hat ihn beschlagnahmt.
Augenzeugen kritisieren Müllers Verhalten am Unfallort. Er habe sich nicht um das Mädchen gekümmert, sagt Susanna Baumer (69). «Sein Auto war ihm wichtiger.»
«Er war bei der Hilfe nicht präsent», sagt auch Nastassya Longo (32). Sie holte für die Verletzte Sauerstoff aus der benachbarten Badi und leistete Erste Hilfe. «Das Mädchen hatte einen offenen Bruch, es blutete.»
Müller schrieb dazu gestern, er sei nach dem Zusammenprall unter Schock gestanden. «Ich habe deshalb mein Fahrzeug erst bei der nächsten Ausfahrmöglichkeit abgestellt und lief unverzüglich zur Unfallstelle zurück. Am Unfallort leisteten bereits viele erfahrene Personen Erste Hilfe, weshalb ich als Erstes die Rettungskräfte anrief. Von der Polizei wurde ich in ein Polizeiauto gesetzt.» Auch der Vater des Opfers, der selbst am Unfallort war, hatte Müller zunächst heftig kritisiert. Der FDP-Chef, den er persönlich gut kenne, habe sich weder am Unfallort noch später bei ihm gemeldet.
Müller sagte gestern dazu, er habe den Vater am Unfallort nicht erkannt. Und die Eltern des Opfers hätten am Freitag gegenüber seinem Anwalt erklärt, sie wünschten keine direkte Kontaktaufnahme. Am Samstag habe er, Müller, den Vater dann angerufen und «in einem längeren Telefonat» die Missverständnisse geklärt. Er werde alles unternehmen, um die Eltern und das Opfer in dieser belastenden Situation zu unterstützen.
Die drängendste Frage bleibt: Was ist die Unfallursache?
Warum geriet Philipp Müller – notabene ein ehemaliger Rennfahrer – auf die Gegenfahrbahn?
Der FDP-Chef hat bisher nur erklärt, was er NICHT gemacht hat. Er habe weder telefoniert noch am Handy hantiert. Er sei auch nicht anderweitig abgelenkt gewesen. Er habe keinen Alkohol getrunken (was durch einen Test am Unfallort bestätigt wurde). Er habe sich vor und während der Fahrt nicht unfit gefühlt.
Was war es dann? Dazu hat Müller noch nicht den Ansatz einer Erklärung geliefert.
Für Marco Unternährer (51), erfahrener Luzerner Rechtsanwalt von Verkehrsopfern, ist die Frage, warum Müller auf die Gegenfahrbahn geriet, der «Knackpunkt», wie er sagt. «In 99 Prozent der Fälle wissen die Verursacher, weshalb sie auf die Gegenfahrbahn geraten sind und einen Unfall verursacht haben.» Er rät Müller, gegenüber der Öffentlichkeit alles zu sagen, was er weiss. «Es ist jetzt ein Härtetest für ihn: Wie handelt man in einer Situation, in der hohes moralisches Verhalten gefordert ist? Von ihm, dem Nationalrat und FDP-Chef, erwartet man jetzt korrektes Verhalten ganz besonders», so Unternährer. Einfach zu sagen, man erinnere sich nicht, sei eine Strategie – aber eine schlechte.
Und falls sich Müller tatsächlich nicht erinnert? «Dann müsste man abklären, ob er ein medizinisches Problem hat, und die Fahreignung grundsätzlich überprüfen.»
Die Frage, warum Müller auf die Gegenfahrbahn geriet, wird bei der Strafzumessung entscheidend sein. Denn: «Dabei wird auch die Verwerflichkeit des Handelns geprüft werden müssen. Sprich: Wäre der Unfall zu verhindern gewesen? War Müller massiv abgelenkt?», so Unternährer. «Die Polizei wird zwingend die Telefondaten auswerten müssen, um zu sehen, ob er telefoniert hat. Und ein unfallanalytischer Gutachter wird eine Analyse vorlegen müssen, um zu klären, wie schnell er unterwegs war.»
Sicher ist: Der FDP-Chef wird sich wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung verantworten müssen. Der Untersuchungsrichter wird abklären, wie schwer die junge Frau verletzt ist und ob sie bleibende Schäden hat. Auch das werde für die Strafzumessung entscheidend sein, sagt Unternährer. «Möglich sind bis zu drei Jahre Gefängnis – oder eine Geldstrafe.» Und: Ex-Rennfahrer Müller wird für mindestens drei Monate den Führerausweis abgeben müssen. Wie es politisch genau weitergeht, ist unklar. Einerseits setzt Müller den Ständeratswahlkampf bis auf weiteres aus, andererseits bleibt er Nationalrat und FDP-Präsident.