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Es drohen massive Kürzungen
In Bern entscheidet sich die Zukunft der Sozialhilfe

In Bern steht die spannendste Abstimmung dieses Sonntags an. Der Kanton entscheidet über die Sozialhilfe: Diese soll entweder massiv gekürzt oder aber grosszügig aufgestockt werden. Das Ergebnis hat Signalwirkung für die ganze Schweiz.
Publiziert: 17.05.2019 um 18:05 Uhr
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In Bern wird am Sonntag über die Sozialhilfe abgestimmt. Der Entscheid hat nationale Auswirkungen. (Symbolbild)
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Sermîn Faki

Am kommenden Abstimmungssonntag sind die Augen auf Bern gerichtet. Nicht nur, weil die Schweiz über den AHV-Steuer-Deal und die Änderung des Waffenrechts entscheidet.

Im Kanton Bern steht ein Urnengang an, der grosse nationale Auswirkungen haben könnte. Es geht um ein Reizthema: die Sozialhilfe. SVP-Regierungsrat Pierre-Alain Schnegg (57) hat in Regierung und Parlament eine grosse Kürzung des Grundbedarfs durchgeboxt.

Bis zu 30 Prozent weniger

Sozialhilfeempfänger sollen für Essen, Kleider, Handy-Abos und anderes acht Prozent weniger Geld bekommen. Bei jungen Erwachsenen und vorläufig aufgenommenen Asylbewerbern sollen gar 15 Prozent gekürzt werden. Wenn sie nach sechs Monaten weder arbeiten noch eine Ausbildung machen, werden weitere 15 Prozent gestrichen.

Für Ausländer gilt: Wer nach sechs Monaten keine der beiden Berner Amtssprachen (Deutsch und Französisch) spricht, erhält bis zu 30 Prozent weniger. Ausnahmen sind nur für Alleinerziehende und Schwerkranke vorgesehen.

Nachbarkantone in Angst

Sagen die Berner dazu Ja, wäre das der grösste Sozialhilfe-Abbau der Schweiz. Und schon heute liegt Bern mit seinen Sätzen unter den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz der Sozialhilfe (Skos). Diese sind nicht verbindlich, doch die meisten Kantone halten sich im Grossen und Ganzen daran.

Schert Bern nun aus, fürchten andere Kantone einen Dammbruch. Die Nachbarkantone Solothurn, Freiburg und Aargau sorgen sich, dass Berner Sozialhilfebezüger zu ihnen «auswandern» würden. Das würde einen Sozialhilfe-Wettbewerb in Gang setzen, der mit den Skos-Richtlinien beseitigt werden sollte.

Tatsächlich gibt es in anderen Kantonen ebenfalls Bestrebungen, die Sozialhilfe zu kürzen. In Baselland und Aargau soll die Hilfe auf das Existenzminimum – also um rund 30 Prozent – gesenkt werden. Kein Zufall: Hinter den Plänen steckt ein Komitee um den ehemaligen SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer (74), das die Sozialhilfe in allen Kantonen senken will. Der Ausgang der Abstimmung wird daher schweizweit ein Signal setzen.

Volksvorschlag fordert Verbesserungen

In Bern gibt es allerdings auch Widerstand: Eine linke Allianz hat der Reform einen «Volksvorschlag» entgegengestellt – ein «Referendum mit Gegenvorschlag». Dieser fordert, dass Bern seine Sozialhilfe nicht etwa kürzt, sondern auf Skos-Niveau erhöht. Über 55-jährige Arbeitslose sollen zudem nicht mehr in die Sozialhilfe rutschen, sondern stattdessen Ergänzungsleistungen erhalten. Das ist auch auf nationaler Ebene ein Thema. Diese Regelung stösst sogar in der SVP-Basis auf Sympathien.

Allein das würde zu Mehrkosten von 12 Millionen Franken im Jahr führen – der gesamte Volksvorschlag würde mit 17 bis 28 Millionen Franken zu Buche schlagen.

Sparsamkeit und Gerechtigkeit

Für Pierre-Alain Schnegg ein Unding. Schliesslich begründet er seine Reform vor allem damit, dass Bern sparen müsse – allerdings würde sein Vorstoss den Kanton nur um fünf Millionen entlasten – das sind 0,04 Prozent des Budgets. Fünf Millionen würden die Berner Gemeinden sparen. 

Das grössere Argument für den gläubigen Christen Schnegg dürfte daher jenes der Gerechtigkeit sein. Er findet es unfair, wenn jemand ohne Anstrengung einfach Geld vom Staat bekommt. «Es muss ein bisschen wehtun», sagt er.

Berner Politiker aller Couleur gehen nach einem hochemotionalen Abstimmungskampf von einem knappen Ergebnis aus.

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