Am 1. November zog Ignazio Cassis in den Bundesrat ein und übernahm die Führung des Aussendepartements. Genau drei Monate später berichtete er heute in Lugano – auf halbem Weg zwischen dem Schweizer Mittelland und Mailand – über seine ersten Eindrücke und Herausforderungen. Keine andere Region liege der EU näher, und nirgendwo sei die Skepsis grösser. Und dieses Gefühl von Nähe und Distanz sei typisch für die Schweiz, findet der FDP-Bundesrat.
Die Uni-Atmosphäre steckte Cassis offenbar an. Er hielt eine Art Vorlesung über die Beziehung der Schweiz und Europa, über die Aufgaben des Aussendepartementes und die aktuellen Auseinandersetzungen mit der EU. Dabei hantierte er mit farbigen Klötzchen, Kugel und Zylinder – und sorgte für Kopfschütteln. Cassis verstand die Kritik nicht: «Ich wollte nicht in philosophisch-abstraktem Sinne vortragen, sondern ganz praktisch.»
Cassis will Ruhe in die Aussenpolitik und in die EU-Beziehungen bringen. Als er nach Bern gekommen sei, habe er eine starke Hektik und Spannung gespürt und sich gefragt, wo eigentlich das Problem sei. «Weshalb fragen wir uns nicht einfach, was wollen wir und was kostet das?» Die Gegenseite, die EU, werde das genau Gleiche tun. Und dann müsse sich die Schweiz entscheiden: «Genügt das? Oder genügt es nicht?» Das sei doch ein ganz normales Vorgehen. Er suche jetzt die politischen «Pisten» für dieses Vorgehen.
Überhaupt versuchte Cassis, Ruhe auszustrahlen. So versteht er auch die Aufregung um US-Präsident Donald Trump nicht. Viele hätten eine zu romantische Vorstellung von der Weltpolitik. Trump vertrete die Interessen seines Staates genauso wie er, Cassis, es für die Schweiz tue. Trump habe schliesslich gesagt: «America first, but not alone.»
Locker nahm Cassis offenbar auch den Anwurf von SP-Präsident Christian Levrat (47), der ihn als «Praktikanten» bezeichnete. Er sei sogar stolz, als Praktikant bezeichnet zu werden. Er sei neugierig wie ein Praktikant, er wolle etwas lernen und habe den Willen, sich zu bewegen.