Ein Kind mit zwei Müttern oder zwei Vätern: Seit einem Jahr ist das in der Schweiz auch auf dem Papier möglich. Homosexuelle Paare dürfen seit dem 1. Januar 2018 das leibliche Kind ihres Partners oder ihrer Partnerin adoptieren.
Die Zahlen zeigen, dass ein grosses Bedürfnis danach besteht: Seit Anfang Jahr sind schweizweit 173 Gesuche von schwulen oder lesbischen Paaren eingegangen, wie eine BLICK-Nachfrage bei den Kantonen ergibt. Allein im Kanton Bern haben 42 homosexuelle Paare ein Adoptionsgesuch gestellt.
Ausgewiesener Nachholbedarf
Die Zahl dürfte noch höher liegen: Die Kantone Luzern, Zürich und Thurgau machten keine Angaben. Erstens wegen der Schweigepflicht und zweitens, weil die sexuelle Orientierung der Antragsteller für die Abklärungen keine Rolle spiele. Aus Basel-Stadt liegen ebenfalls keine Angaben vor.
Besonders viele Adoptionsgesuche von Regenbogenfamilien, also Familien mit gleichgeschlechtlichen Elternpaaren, sind in städtischen Regionen eingegangen: In der Stadt Zürich haben 19 Paare, im Kanton Genf 22 Paare eine Adoption beantragt, in der Waadt mit der viertgrössten Schweizer Stadt Lausanne 20 Paare.
In ländlicheren Regionen ist die Nachfrage deutlich kleiner. In Appenzell Innerrhoden und Obwalden gab es gar kein Gesuch. In Glarus, Nidwalden, Jura und Uri war es je eines.
Gleichstellung trotz neuen Gesetzes nicht gegeben
Die hohe Zahl der Gesuche entspricht den Erwartungen des Dachverbands Regenbogenfamilien. «Die Möglichkeit der rechtlichen Absicherung für die Familie ist essenziell», sagt Geschäftsführerin Maria von Känel (47). Erst mit der Adoption werde die Regenbogenfamilie als Einheit anerkannt und sämtliche Rechte und Pflichten würden gelten.
Und das ist wichtig: Denn stirbt die leibliche Mutter oder der leibliche Vater, kann das Kind ohne Adoption nicht automatisch beim zweiten Elternteil bleiben – obwohl es sein ganzes Leben dort verbracht hat. Falls der nicht leibliche Elternteil stirbt, hat das Kind nur Anspruch auf eine Waisenrente und ein Erbe, wenn es vorher adoptiert wurde. Und auch wenn sich die beiden Mütter oder Väter trennen, sind erst mit einer Adoption Unterhaltszahlungen und Besuchsrecht geregelt.
Hohe Hürden für Adoption
Trotzdem: Ganz zufrieden sind die Regenbogenfamilien mit dem neuen Gesetz nicht. Dass nun auch Homosexuelle Stiefkinder adoptieren dürfen, sei politisch und gesellschaftlich zwar ein wichtiger Schritt. «Es hat sich aber auch gezeigt, dass die Möglichkeit der Stiefkindadoption nicht ausreichend ist», so von Känel.
Das Problem: Wenn ein Kind in eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft hineingeboren wird, darf der nicht leibliche Elternteil das Kind erst nach frühestens einem Jahr adoptieren – auch mit dem neuen Recht. Die Abklärungen können je nach Kanton bis zu zwei Jahre dauern. Und: für das Verfahren sind bis zu 4000 Franken zu berappen!
Schwule und Lesben hoffen auf Ehe für alle
Hinzu kommt, dass Homosexuelle ein fremdes Kind adoptieren dürfen, solange sie alleinstehend sind. Wenn sie eine eingetragene Partnerschaft eingehen, bleibt ihnen diese Möglichkeit aber verwehrt.
«Es ist zentral, dass Politik und Gesellschaft Regenbogenfamilien als gleichwertiges Familienmodell anerkennen», fordert Maria von Känel. Sie hofft auf die Ehe für alle, über die das Parlament 2019 diskutiert.
Die Rechtskommission des Nationalrats will, dass künftig auch homosexuelle Paare gemeinsam ein Kind adoptieren können. Der Zugang zu Fortpflanzungsmedizin soll ihnen vorerst aber verwehrt bleiben. Aus Sicht der Regenbogenfamilien hingegen wäre der Zugang zur künstlichen Befruchtung besonders wichtig.