SonntagsBlick: Frau Martullo, seit zwei Jahren sitzen Sie im Nationalrat und haben gerade einmal zwei Vorstösse eingereicht. Macht Ihnen die Parlamentsarbeit Mühe?
Magdalena Martullo-Blocher: Wir haben ja bereits heute 70000 Seiten Regelungen und jede Woche kommen 140 Seiten dazu. Das reicht! In der Kommission setze ich mich für einfache, praxisnahe Lösungen ein.
Bereuen Sie den Schritt nach Bern bereits?
Nein. Immerhin haben wir erreicht, dass das EU-Beitrittsgesuch zurückgezogen, die Kohäsionsmilliarde nicht bezahlt und das institutionelle Rahmenabkommen noch nicht vorgelegt wurde. Es gibt aber auch Rückschläge wie die Nichtumsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative. Unternehmerin bin ich natürlich lieber als Politikerin.
Dann lassen Sie es doch sein.
Das hätten Sie wohl gern (lacht)! Ich habe mich zur Verfügung gestellt, weil ich mit dem Linkskurs in Bern unzufrieden war. Nun haben mich die Bündner nach Bern geschickt, also setze ich mich dort für sie und die Schweiz ein. Im Vergleich zu meinen Ratskollegen, von denen 80 Prozent Berufspolitiker sind, habe ich natürlich viel weniger Zeit.
Was müsste man tun, um dem Milizgedanken besser Rechnung zu tragen?
Das Wesentliche gut machen. Die Sessionszeit könnte halbiert werden! Aber bei Berufspolitikern, die von Sitzungsgeldern leben, haben solche Anliegen natürlich keine Chancen.
Sie pflegen bloss Ihr Image der Aussenseiterin, die streng wirtschaftlich denkt und in diesem ineffizienten Betrieb für Ordnung sorgen will. Das ist ein uraltes Klischee.
Als Unternehmerin und als Politikerin sind für mich gute Lösungen und Verhandlungsstärke letztlich wichtiger als Effizienz! Für mich stehen in Bern die Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Schweiz und der Mut für bessere Lösungen im Vordergrund.
Sie klingen wie Ihr Vater, der 2014 sein Nationalratsmandat aufgab mit dem Hinweis, es sei Zeitverschwendung.
Das kann ich nachvollziehen.
Sie verschwenden in Bern Ihre Zeit?
Nicht, solange ich für die Schweiz etwas bewirken kann. Ich sage den Bündnern immer: Wenn ihr einen Besseren findet, schickt den. Bis jetzt haben sie aber noch keinen gefunden (lacht).
Etwas erreichen können Sie nur, wenn Sie mit den anderen bürgerlichen Parteien zusammenspannen.
Ja. Das gelingt uns bei wirtschaftlichen Belangen oft. Allgemein ist es mit der CVP schwierig, da sie nicht konstant und nicht geschlossen ist. Bei der FDP sind es dann oft einige wenige Abweichler, die eine Mehrheit im Rat verhindern. Bei der SP und der SVP weiss man eigentlich immer, woran man ist.
Die bürgerliche Zusammenarbeit funktioniert demnach nicht?
Sie ist deutlich schlechter als erwartet. Gerade beim stark wachsenden Bundeshaushalt erleben wir das mit der FDP immer wieder.
Werden Sie 2019 nochmals als Nationalrätin antreten?
Wenn ich gesund bleibe und in der Firma keinen Notfall habe, wohl schon. Ich glaube, die Bündner sind mit meiner Arbeit zufrieden.
SVP-Bundesrat Ueli Maurer wird 67 Jahre alt und ist seit neun Jahren im Amt. Sein Rücktritt rückt näher. Ihr Parteipräsident Albert Rösti hat Sie bereits als Nachfolgerin ins Spiel gebracht.
Unser Bundesrat Ueli Maurer macht einen hervorragenden Job für die Schweiz, auch international. Er ist kompetent, man spürt den Unterschied zu seiner Vorgängerin Widmer-Schlumpf deutlich.
Trotzdem: Eines Tages ist Schluss. Können Sie sich eine Kandidatur vorstellen?
Wir haben viele gute Kandidaten bei der SVP. In einem Notfall, wenn die EU uns plötzlich unerwartet stark unter Druck setzen würde, würde ich das Amt wohl in Betracht ziehen, sonst nicht. Wie gesagt, ich bin gerne Unternehmerin.
Mit Schneider-Ammann tritt ein Industrieller bald ab.
Ja. Ein Unternehmer täte dem Bundesrat schon gut. Aber vergessen Sie nicht: Das Parlament wählt selten den Besten in die Regierung ...
Sagen Sie das Ihrem Vater.
(Lacht) Das war wirklich eine spezielle Situation, die mein Vater damals hatte. Man wollte ihn mit der Wahl ruhigstellen, was aber nicht gelang. Er war zu stark und wurde deshalb vier Jahre später wieder abgewählt.
Sie leiten eine der grössten Schweizer Firmen. Könnten Sie aus Sicht des Unternehmens überhaupt Bundesrätin werden?
Wir kennen das Prinzip: Jeder ist ersetzbar. Jedes Jahr evaluieren wir für alle Positionen mögliche Nachfolger. In meinem Fall ist es etwas komplizierter. Ich bin nicht nur Firmenchefin, sondern auch noch Eigentümerin. Aber es liesse sich natürlich auch da eine Lösung finden.
Die SVP sammelt im Moment für ihre Personenfreizügigkeitskündigungs-Initiative. Für die Wirtschaft ein absolutes No-Go – haben Sie dafür Verständnis?
Nein, die Wirtschaft muss hier viel differenzierter beurteilen und auch die Anliegen der Bürger ernst nehmen. Ich bin klar für eine Selbstbestimmung der Schweiz bei der Zuwanderung. Für uns Unternehmer ist es immer angenehm, aus möglichst vielen Arbeitnehmern auswählen zu können. Aber was sind die Konsequenzen für das Land?
Und?
Die Personenfreizügigkeit ist für die Schweiz nicht verkraftbar. In gewissen Branchen haben wir eine bedeutende Arbeitslosigkeit und es kommen trotzdem immer mehr Ausländer aus der EU. Ausserdem weitet die EU den Anspruch nach Niederlassung und Sozialleistungen immer mehr aus. Jetzt können wir nicht einmal mehr Schläger aus der EU ausweisen, die nach der Ausschaffungsinitiative eigentlich zurückmüssen. Wir müssen die Zuwanderung wieder selber steuern können. Unternehmen müssen auch Verantwortung für die Beschäftigung von Inländern übernehmen und nicht einfach immer wieder neue Ausländer holen. Dass wir dort, wo wir keine eigenen Leute haben, Spezialisten aus dem Ausland holen, dagegen ist und war die SVP noch nie. Aber sicher nicht für die Zuwanderung in die Sozialhilfe, die Arbeitslosigkeit oder in die Kriminalität.
Dann werden laut den Gegnern auch andere Verträge mit der EU hinfällig.
Wir haben alles genau untersucht. Die sechs Verträge, die betroffen sein könnten, sind für die Schweiz nicht entscheidend. Der wichtige Zollfreihandel wird nicht in den Bilateralen geregelt. Ich glaube sowieso nicht, dass die EU diese Bilateralen kündigen würde. Sie nützen ihr nämlich viel mehr als der Schweiz. Ausserdem möchte die EU nicht, dass sich noch weitere Länder von ihr abwenden.
Sie geben sich als Vertreterin der Wirtschaft. Geht es aber um die Klientel der SVP, sprich die Bauern, ist von freier Marktwirtschaft wenig zu spüren.
Ja, leider hängt die Landwirtschaft am Tropf des Staates. Ich glaube aber, dass das Schweizer Volk zur Landwirtschaft steht. Letzte Woche sagte Bundesrat Schneider-Ammann, die Landwirtschaft verhindere weitere Freihandelsabkommen. Das stimmt doch überhaupt nicht. Schneider-Ammann verdeckt damit nur seine Misserfolge bei den Verhandlungen. Seit dem Abschluss mit China vor vier Jahren geht bei den Verhandlungen einfach nichts mehr. Die Nachverhandlung dieses Abkommens kommt nicht vorwärts, mit Indien wird der Investitions- und Patentschutz nicht gelöst und mit Brasilien haben wir das lange versprochene Doppelbesteuerungsabkommen auch nicht abgeschlossen. Das hat doch alles mit der Landwirtschaft gar nichts zu tun.
Unterstützen Sie eigentlich die No-Billag-Initiative?
Ich wollte die Billag-Gebühr auf die Hälfte reduzieren. Dieser SVP-Vorstoss kam bei den anderen Parteien nicht durch. Nun geht es halt um alles oder nichts. Ich stimme dafür. Die Initiative wird aber wohl kaum angenommen.
Doch gerade für Ihren Kanton mit seinen drei Sprachen ist der Service public zentral.
Das ist die Drohung des Schweizer Fernsehens. Der Sprachenartikel der Verfassung gilt aber weiterhin. Aus meiner Erfahrung mit dem Schweizer Fernsehen weiss ich, dass es viele anderweitige Einsparmöglichkeiten gibt. Es bot aber nie Hand für Einsparungen. Nun liegt der Entscheid beim Volk.
Magdalena Martullo-Blocher (48) sitzt seit zwei Jahren für die SVP im Nationalrat und ist Mitglied der Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK). Als ihr Vater Christoph Blocher (77) 2003 zum Bundesrat gewählt wurde, übernahm die studierte Betriebsökonomin die Leitung der Ems-Chemie. Martullo ist verheiratet und Mutter von drei Kindern.
Magdalena Martullo-Blocher (48) sitzt seit zwei Jahren für die SVP im Nationalrat und ist Mitglied der Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK). Als ihr Vater Christoph Blocher (77) 2003 zum Bundesrat gewählt wurde, übernahm die studierte Betriebsökonomin die Leitung der Ems-Chemie. Martullo ist verheiratet und Mutter von drei Kindern.
Gilt dies auch für die Beschaffung neuer Kampfjets?
Ja. Und auch für die Milliarde des Bundes für die Olympischen Spiele 2026. Das Volk muss über bedeutende Entscheide das letzte Wort haben. Bei Olympia ist das Volk sehr kritisch. In Graubünden haben wir die Olympischen Spiele bereits zweimal abgelehnt. Sogar in den Austragungsorten fand sich keine Mehrheit beim Volk.