Newal Sexo Axa Safone (51) sitzt in ihrer Wohnung im luzernischen Büron wie auf Nadeln. Sie weiss nicht, wie lange ihre krebskranke Schwester noch zu leben hat – und ob sie es rechtzeitig zu ihr schafft. Ihre Schwester liegt in Deutschland im Spital, ein paar Stunden von der Schweizer Grenze entfernt. Doch einfach in den Zug steigen, das können Safone und ihr Mann Ibrahim Isso (57) nicht. Für eine Reise ins Ausland müssen sie beim Kanton eine Ausnahmebewilligung beantragen: ein bürokratischer Hürdenlauf.
So brauchen sie die Bestätigung der behandelnden Ärzte in Deutschland, dass Safones Schwester tatsächlich schwer krank ist. Sie brauchen das Schreiben eines Bürgen in Deutschland, der ihre Rückkehr in die Schweiz garantiert. Auszüge aus dem Betreibungsregister. Den Nachweis einer Krankenversicherung. Urkunden des syrischen Konsulats.
«Wir mussten sechs Monate warten, bis wir nach Deutschland reisen konnten», sagt Safone. Ihre Schwester lebte noch, zum Glück. Vier Jahre ist das nun her. Safones Schwester geht es inzwischen ein wenig besser, sie konnte das Spital verlassen.
Bewilligung nur in Ausnahmefällen
Safone und ihr Mann sind 2011 vor dem syrischen Bürgerkrieg in die Schweiz geflüchtet. Doch hat sie der Bund nicht als Flüchtlinge anerkannt, sondern ihnen – wie 8400 weiteren Syrern auch – lediglich die vorläufige Aufnahme gewährt. Personen mit einem F-Ausweis haben deutlich weniger Rechte als anerkannte Flüchtlinge. So sind ihnen Reisen ins Ausland grundsätzlich untersagt; Bewilligungen gibt es nur in Ausnahmefällen. Die schwere Krankheit oder der Tod eines Familienmitglieds sind zwei davon.
Jana Maletic von der Hilfsorganisation Caritas Schweiz kritisiert denn auch, die Hürden für Auslandsreisen für vorläufig Aufgenommene seien «fast unüberwindbar hoch». Und selbst wer ein Gesuch einreicht, kann noch lange nicht damit rechnen, dass dieses gutgeheissen wird. Das zeigen die Zahlen des Staatssekretariats für Migration (SEM): Von den 2484 Gesuchen für Auslandsreisen von vorläufig Aufgenommenen wurden 2018 lediglich 1101 bewilligt.
Das strenge Regime sei nicht gerechtfertigt, sagt Jana Maletic: «Die Integration dieser Menschen müsste im Gegenteil gefördert werden: Entgegen der Bezeichnung bleiben die meisten von ihnen längerfristig in der Schweiz.»
Justizministerium packt Änderung ins Gesetzespaket
Die bürgerlichen Parteien wollen davon jedoch nichts wissen. Und möchten die Schraube gar noch anziehen: Personen mit F-Ausweis sollen die Schweiz künftig gar nicht mehr verlassen dürfen. Einzige Ausnahme: eine Reise zur Vorbereitung der definitiven Rückkehr in die Heimat.
Die geplante Gesetzesänderung geht auf eine Motion von CVP-Präsident Gerhard Pfister zurück. Dieser forderte ursprünglich ein Verbot von Heimatreisen für vorläufig Aufgenommene. Das Justizdepartement packte dann mit dem generellen Reiseverbot plötzlich eine Änderung ins Gesetzespaket, die so gar niemand verlangt hatte. Ausnahmen sollen nur noch im Einzelfall und bei «Vorliegen besonderer persönlicher Gründe» bewilligt werden können, wie ein Sprecher des SEM schreibt.
In der Vernehmlassung, die vorgestern Freitag abgelaufen ist, stellen sich SVP, FDP, CVP und GLP hinter die Verschärfung. Das Verbot verhindere, dass vorläufig Aufgenommene «über einen Drittstaat nach Hause fliegen und so de facto das Heimreiseverbot umgehen», schreiben die Christdemokraten. Tatsächlich war die Diskussion um (verbotene) Heimatreisen von Geflüchteten der Auslöser für die Motion Pfister gewesen.
Flüchtlingshilfe hält Reiseverbot für «unhaltbar»
Auf der anderen Seite des politischen Lagers kritisiert die SP das Reiseverbot als «unnötig und kontraproduktiv». Scharfe Kritik gibt es auch vonseiten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Das Reiseverbot sei «unhaltbar», schreibt das Hilfswerk. Angesichts der bereits heute restriktiven Regelung bestehe «keinerlei Raum für weitere Verschärfungen».
Vor dem Hintergrund, dass keine legalen Fluchtwege existierten und Flüchtlingsfamilien oft über mehrere Länder verteilt lebten, sei ein Reiseverbot «nicht mit der humanitären Tradition der Schweiz vereinbar», fügt Jana Maletic von der Caritas an. «Flüchtlingskinder könnten nicht einmal an einer Schulreise nach Konstanz teilnehmen.»
Allerdings zweifeln auch einige bürgerliche Politiker am Sinn des Reiseverbots. So hält FDP-Ständerat Andrea Caroni (39, AR) ein Heimatreiseverbot zwar für gerechtfertigt. «Aber warum vorläufig Aufgenommene nicht in Drittstaaten sollen reisen können, leuchtet mir nicht ein.» Ähnlich äussert sich GLP-Nationalrätin Tiana Moser (40, ZH): «Wenn jemand in Deutschland seine Tante besuchen will, soll das möglich sein», sagt sie. Das Reiseverbot wird die Politik noch eine Weile beschäftigen.