Alle streiten. Ein paar schreien. Nur eine bleibt stoisch. Es ist ein Samstagmorgen, Mitte Januar in Uetikon ZH. Das Säli der Goldküstengemeinde ist gut gefüllt. Noch sechs Wochen, bis das Schweizer Stimmvolk mit No Billag die SRG bachab schickt. Oder eben nicht.
An diesem Wochenende zeigen die aktuellsten Umfragen noch: Das Volk ist hässig, eine Mehrheit will der SRG, dieser Altherrenrunde, per Volksabstimmung beweisen: Eure Arroganz bricht euch das Genick. Doch Ladina Heimgartner (37) sagt mit ruhiger Stimme: «Ich finde, es ist der Schweiz nicht würdig, kein Medienhaus mehr zu haben, das den Menschen gehört.»
Es ist ihre dritte Podiumsdiskussion in dieser Woche. Frühmorgens war die Vize-Direktorin der SRG und Chefin von Radiotelevisiun Svizra Rumantscha aus dem Unterengadin hergefahren. Dort hatte sie mit dem Bündner Gewerbeverband über No Billag gestritten. Aber nicht geschrien. Rastet diese Frau mit der Aura eines Eiszapfens auch mal aus? «Sie müssen mit mir Auto fahren. Im Winter das Engadin runter, da werde ich laut. Aber jetzt bringt es einfach nichts.»
Ihren lakonischen Tonfall wird die Bündnerin auch in der SRF-«Rundschau» anschlagen. «Radiotelevisiun Svizra Rumantscha ist für viele ihr bester Freund. Es berührt mich, dass man es ihnen wegnehmen will», sagt sie dort. Gegenüber BLICK ergänzt sie: «Einen Freund gibt man doch nicht einfach so auf.»
Die No-Billag-Initianten attestieren Heimgartner Aufrichtigkeit
Es sind zwei Sätze, die sitzen. Zwei Sätze, die man dieser Frau glauben will. Die Kommunikationsabteilung der SRG frohlockt ob solchen Aussagen. Man ist froh, dass man nicht nur mit früheren Politikern – VR-Präsident Jean-Michel Cina war zwölf Jahre CVP-Regierungsrat im Wallis – die SRG-Charmeoffensive personalisieren muss.
Denn Heimgartner ist der Gegenentwurf der von Männergremien beherrschten SRG. Das Gesicht des Wandels – so ganz anders als der volksferne Intellektuelle Roger de Weck (64) oder dessen ungreifbarer Nachfolger, SRG Generaldirektor Gilles Marchand (55).
Im Gegensatz zu Cina, de Weck und Marchand weiss Ladina Heimgartner, dass Worthülsen einem als Bumerang um die Ohren fliegen können. «Ich könnte schon Unternehmens-Blabla rauslassen. Aber das wäre nicht ich.»
Aufrichtigkeit attestieren Ladina Heimgartner sogar ihre Feinde aus dem No-Billag-Lager. «Wenn die SRG es ernst meint mit den Reformen, ist Ladina Heimgartner der glaubwürdigste Kopf davon», sagt Florian Schwaab vom Initiativkomitee. Und Heimgartner beteuert: «Ich verspreche der Schweiz, dass die SRG sich nach einem Nein am 4. März ändern wird. Wir haben uns wohl etwas von der Bevölkerung entfremdet, und nur schon deshalb können wir nicht so weitermachen.»
Vor Liveauftritten stirbt sie vor Nervosität
Ich-Botschaften, Selbstkritik, zugängliche Art, nicht arrogantes Auftreten. Ladina Heimgartner macht vieles richtig in diesem Abstimmungskampf. Ihre Selbstbeherrschung sei ihr Naturell, nicht antrainiert, beteuert sie. Und verrät in einem ungezwungenerem Moment: «Vor Liveauftritten sterbe ich. So nervös bin ich.»
Man merkts ihr nicht an. Das ist auch das Resultat einer Karriereplanung, die Ladina Heimgartner vehement verneint – doch die Fakten sprechen dagegen: Sie ist seit zehn Jahren in einem Führungscoaching. «Bei einer Frau», wie sie betont. Damals, als die Bündnerin mit 27 Jahren bei RTR die Chefin «von Männern im Alter meines Vaters» wurde, habe sie damit angefangen. «Das zahle ich alles privat. Es ist wichtig, dass man sich als Führungsperson reflektiert und merkt, wenn man nicht mehr sich selbst ist. Klingt esoterisch, stimmt aber.»
Doch wer ist dieses «Sich-Selbst»?
Gut zwei Jahrzehnte zurück, im verschneiten Scuol im Unterengadin. Dort betreiben Heimgartners Eltern Heidi (63) und Martin (64) ein Familienhotel, «eine Beiz mit ein paar Betten», wie Ladina Heimgartner es nennt. Das Geld fehlt vor allem in den ersten Jahren an allen Ecken. Wenn die Schweiz Ferien hat, muss die Familie der heutigen SRG-Galionsfigur chrampfen. Und immer, wenn Klein Ladina etwas braucht, ist gerade ein Gast da. «Man ist halt schon die Nummer zwei», erinnert sie sich.
Beim Kinderskirennen, «wo leider alle mitmachen müssen», wie Heimgartner rückblickend ächzt, lacht der Vater am Skipistenrand. Die Tochter hat schon das erste Törchen verfehlt, ist disqualifiziert – und fährt trotzdem tapfer das Rennen zu Ende.
«Ladina lief nirgends hinunter, wo sie wieder hoch musste», ist einer der Running Gags der Familie Heimgartner. Dass die Älteste im Herbst mit dem Vater auf die Jagd geht: unvorstellbar. «Ich bin keine typische Berglerin. Trotzdem schöpfe ich viel aus den Bergen, Standhaftigkeit zum Beispiel.»
Heimgartners Personalpolitik sorgt für böses Blut in Graubünden
Sie sei die Zukunft der SRG , heisst es intern. Jung, Frau, Randregion. Pragmatikerin Ladina Heimgartner macht keinen Hehl daraus, dass diese Eckdaten ihr Karriereturbo sind. «Man kann hier schon ehrlich sein. Rätoromanin und Frau sein hat mir auf meinem berufliche n Werdegang sicher geholfen.» Nein, ohne diese Eigenschaften wäre sie nie an dem beruflichen Punkt, an dem sie jetzt ist. Pragmatikerin Heimgartner ist sich dessen bewusst.
Den Chefposten verdankt Ladina Heimgartner auch ihrem Vater. A ls sie nach der Matur am Hochalpinen Institut Ftan anfängt, in Freiburg Englisch und Deutsch zu studieren und «nie mehr nach Graubünden zurück will », überredet er seine einzige Tochter: « Ladina , studiere Romanisch . Dann kannst du zur SRG. »
Nur sieben Jahre später beginnt der Aufstieg des Nachwuchstalents. Zuerst als Leiterin des Ressorts «Reflexiun», dann als Chefin über «Märkte und Qualität» der SRG, seit 2014 ist sie Direktorin des rätoromanischen TV und Radios und seit letztem Herbst stellvertretende Generaldirektorin der SRG. Doch die junge Chefin sorgt für Ärger mit ihrer Personalpolitik. Heimgartner macht mit Flavio Bundi einen 30-jährigen Chordirigenten und Papst-Gardisten zum Chefredaktor von RTR. Journalistisch ist der Bündner Oberländer ein Greenhorn. Er hat «keine Ahnung vom Business», so ein Bündner Journalist.
Alle reden von No Billag, wir schauen hin. Am Donnerstag, 8. Februar werden die BLICK-Reporter Flavia Schlittler -(People) und Daniel Leu (Sport) von 9 Uhr bis um Mitternacht durch sämtliche SRG-TV- und -Radiosender zappen und dabei Eigenproduktionen bewerten.
«Ich freue mich auf Unterhaltung und Kultur», sagt Schlittler. «Ich mich auf Sport und die Fernbedienung in der Hand», so Leu. Blick.ch überträgt die 15 Stunden live.
Alle reden von No Billag, wir schauen hin. Am Donnerstag, 8. Februar werden die BLICK-Reporter Flavia Schlittler -(People) und Daniel Leu (Sport) von 9 Uhr bis um Mitternacht durch sämtliche SRG-TV- und -Radiosender zappen und dabei Eigenproduktionen bewerten.
«Ich freue mich auf Unterhaltung und Kultur», sagt Schlittler. «Ich mich auf Sport und die Fernbedienung in der Hand», so Leu. Blick.ch überträgt die 15 Stunden live.
Nennt man Heimgartner eine Quotenfrau, verzieht sie keine Miene. «Ich bin kein Fan der Frauenquote, sehe aber ihre Vorteile. Es geht schneller. Und es hat Vorbildcharakter», sagt sie. Wenn Frauen in Führungspositionen sind, ziehe das Frauen nach. «Wäre ich nach ein paar Monaten gescheitert, wäre ich tatsächlich eine Quotenfrau gewesen.»
Dank No Billag hat Heimgartner ein neues Standing in der SRG-Geschäftsleitung
Spricht die SRG -Galionsfigur über das Frausein , wirkt sie zugänglicher . Der Eiszapfen schmilzt. «Ich war nie Feministin, aber ich werde es langsam», sagt Ladina Heimgartner . Anfang 20 sei sie noch überzeugt gewesen, dass die Gleichberechtigung längst real sei. Erst mit der Berufserfahrung seien ihr die «subtilen, nicht böse gemeinten, aber doch herabsetzenden Mechanismen» aufgefallen. «Man kann es drehen, wie man will: Sitzt man als einzige Frau mit sieben Männern am Tisch, ist man die unnatürliche Minderheit und wird übergangen. Männer sprechen in solchen Runden mit Männern.»
Mittlerweile ist Ende Januar. Seit dem Ochsentour-Stopp an der Goldküste ist Heimgartner acht Mal aufgetreten. Heute ist die Helvetische Gesellschaft dran, morgen die FDP Zug. Später das Schauspielhaus in Zürich. Und vor ihrem Auftritt in der SRF-«Arena» stirbt sie wieder fast. Sicher ist: Meinungen umzukehren vermag die No-Billag-Bekämpferin bei diesen Auftritten nicht mehr. Laut GfS-Umfrage ist die Stimmung im Land gekippt: Stimmt die Momentaufnahme, darf Heimgartner mit 60 Prozent Nein rechnen.
Wie auch immer No Billag ausgeht: Ladina Heimgartner ist die Gewinnerin dieser Debatte. «Männerrunden hören seit dem Abstimmungskampf anders hin, wenn ich etwas sage», meint sie. «Die Wahrnehmung und mein Standing haben sich offenbar verändert.»
Die Schweiz stimmt wieder ab: Erklärungen zu allen Initiativen, aktuelle News und prominente Stimmen zum Thema finden Sie hier.
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