Seine zum Pferdeschwanz gebundenen Haare sind noch feucht, als BLICK Oskar Freysinger (58) in seinem Garten im idyllischen Savièse oberhalb von Sitten besucht. Kurz vor dem Interview habe er sich noch in seinem Kaltwasserbecken abkühlen müssen, sagt der Mann, der in den letzten 20 Jahren im Schweizer Politbetrieb Feuer legte wie kein anderer. Und sich am Ende verbrannte.
BLICK: Haben Sie Ihre Notfalltropfen griffbereit?
Oskar Freysinger: (Lacht) Ich brauche sie nicht mehr. Aber die Tropfen haben mich gerettet. Ich war in der Hölle. Mein Kopf sagte mir zwar: Oski, du Idiot, es erwartet dich nicht der Henker. Trotzdem fühlte ich mich wie beim Gang zur Guillotine.
Sie beschreiben den Moment, als sich im März 2017 Ihre Abwahl als Walliser Staatsrat abzeichnete. Im Buch «Die dunkle Seite des Lichts» haben Sie die Geschehnisse in Tagebuchform niedergeschrieben. Darin fragen Sie sich: «Kann ich wirklich und dauerhaft ohne mein mediales Spiegelbild leben, das in gewisser Weise zu meinem Alter Ego wurde?» Welcher Oskar Freysinger sitzt vor mir?
Der echte Freysinger, ich verspreche es. Ich war zu lange Gefangener meines medialen Spiegelbilds. Ich spielte zwanzig Jahre Gelassenheit vor. Mir sah man nie an, dass ich Probleme hatte. Man meinte, der Hass und der Groll, die mir entgegenkamen, perlten an mir ab. Meine Liebsten zu Hause bemerkten, wie ich langsam daran zerbrach. Ich konnte die Fassade mit letzten Kräften wahren. Jetzt brauche ich sie nicht mehr. So frei wie heute habe ich mich in meinem Leben noch nie gefühlt.
Dank der Abwahl haben Sie zu sich selbst gefunden?
Tatsächlich. Zuvor überlebte ich nur. Ich musste die Geschosse des Vortags verkraften und wusste, die nächsten sind schon unterwegs. Ich war eingezwängt zwischen Drohungen und Beschimpfungen. Dabei verlor ich mich.
Selbst verschuldet! Sie zelebrierten das Bild des politisch unkorrekten Provokateurs – selbst als Regierungsmitglied.Das tat ich, ich spielte willig die Rolle des Bösen. Aber mein scheinbares Selbstbewusstsein war ein Schutzpanzer.
Kann es sein, dass dieses zwanghafte Gerechtwerden der Rolle des Bösen Sie so einsam machte, dass Sie depressiv wurden? Sie beschreiben, wie «eine unbändige Angst» Sie lähmte, und Sie nur noch «ein stummer Schrei» waren.
Ich konnte ein Burnout grad noch abwenden. Aber ja, der Mensch ist nicht reduzierbar auf sein mediales Bild. Ich war im Hamsterrad. Habe dem Rad die Schuld gegeben an meinen Qualen. Dabei vergass ich, dass ich in einem Käfig gefangen war. Das Schlimmste ist, dass ich mich von meiner Familie entfremdete.
Sie haben sich von Ihrer Familie entfremdet, weil Sie für die SVP den Bösen spielten?
So kann man es sagen. Meine Frau sagte mir oft: «Oski, du bist gar nicht anwesend», selbst wenn ich physisch bei ihr war. Noch sechs Monate nach der Abwahl hatte ich am Sonntagabend Phantomangst vor der Arbeitswoche.
Sie mussten Ihr Leben neu ordnen, waren plötzlich ständig daheim. Fürchteten Sie, nach der Politik auch von der Familie verstossen zu werden?
Meine Frau und ich mussten uns neu finden. Das hier war ihr Reich, ich war der Eindringling. Ich fürchtete Reibereien, aber wir gewöhnten uns schnell wieder aneinander. Ich vertraute der Liebe meiner Frau, aber ich war der verlorene Sohn, der seinen Platz wiederfinden musste, den er nie hätte verlassen sollen.
Plagen Sie Existenzängste? Sie leben heute von 6000 Franken Rente.
Nein, ich habe meinen Lebensstandard nie erhöht, fahre seit Jahren mit meiner alten Kiste umher. Ich konnte schon immer mit Geldmangel umgehen. Und noch etwas ist jetzt besser: Als Staatsrat musst du ständig essen, deshalb wurde ich immer dicker. Derjenige, der das kalte Buffet erfunden hat, ist ein Sadist. (lacht)
Ist Oskar Freysinger heute geläutert?
Der Mann, der die ersten Zeilen meines Buchs verfasst, ist auf der letzten Seite ein anderer Mensch. Insofern bin ich geläutert. Während den Jahren als Staatsrat schrieb ich fast keine Gedichte. Doch im Moment grösster Not, als der Wahlkampf richtig schmutzig wurde, fing ich wieder damit an. Nur dank ihnen konnte ich überleben.
Sie beschreiben, dass Sie kurz davor waren, in die Psychiatrie eingewiesen zu werden.
Das ist übertrieben. Aber ich stand vor einem schwarzen Tunnel, dessen Ende der 19. März 2017, den Tag des zweiten Wahlgangs, markierte. Der Weg dahin war die Hölle. Am Entscheidungstag war ich derart am Ende, dass ich unbewusst wünschte, abgewählt zu werden. Ich hatte ganz einfach keine Kraft mehr.
Sie behaupten, zuvor im Wallis gemobbt worden zu sein.
Die Parteien, das Parlament, die Medien – und vor allem die sozialen Medien setzten mir zu. Ich habe jetzt noch eine Strafanzeige hängig gegen einen, der rassistische Aussagen in meinem Namen verbreitete. Es gab sogar Karikaturen, die mein Gesicht als WC-Schüssel zeigten oder mein Hirn als Hakenkreuz. Im ganzen Wallis wurden Hetzflyer gegen mich verteilt. Das war orchestriert!
Sie glauben an eine Verschwörung gegen Sie, unter anderem angeführt von Ihrem ehemaligen Staatsratskollegen Christophe Darbellay. Sie beschreiben ihn als «ein in jungen Jahren abgerichteter Mann, der für den Clan Bedürfnisse befriedigen muss». Sie sind doch einfach neidisch.
Nein! Ich bemitleide diesen Menschen. Was konnte der schon frei entscheiden? Früher musste in solchen Familien einer Pfarrer werden. Bei den Darbellays muss er Ämter besetzen, damit der Clan an der Macht bleibt.
Ihr Hass auf die CVP muss tief sitzen.
Meine Abneigung gilt dem christlichsozialen Teil der CVP, dem Darbellay angehört. Das sind einfach Sozialisten, die Angst vor dem Tod haben.
Hätten Sie «dasselbe gemacht wie Darbellay, wäre ich öffentlich gevierteilt, gehängt und verbrannt worden», schreiben Sie. Damit spielen Sie auf das uneheliche Kind Ihres Ex-Kollegen an. Wären Sie nicht auch mal gerne einer der Guten?
(Lacht) So ein scheinheiliger Guter sicher nicht! Diese Doppelmoral ertrage ich nicht. Ich war «böse», weil ich wenigstens die Wahrheit sagte. Aber Typen wie er gelten als «die Guten». Meine Frau sagte nach meiner Abwahl etwas sehr Treffendes: Oski, du hast dich viel zu sehr mit Arschlöchern abgegeben.
Was geht in Ihnen vor, wenn Sie hören, dass der wegen Sexismus-Vorwürfen und einer Verurteilung wegen Stalkings zurückgetretene Walliser CVP-Mann Yannick Buttet sein Comeback in Bern vorbereitet?
Der hat keine Chance. Die CVP Schweiz wird das nie erlauben. Seine Leichen sind noch warm. Es haben zu viele Frauen berichtet, wie er sie sexuell bedrängt hat. Sogar die Walliser CVP hat ihn fallen lassen, einzig seine Lokalsektion ist noch loyal. Zudem sind Darbellay und Buttet alles andere als Freunde. Darbellay wird dafür sorgen, dass Buttet nie mehr aufsteigt.
Sie waren einst selbst zwei Jahre CVP-Mitglied, bevor Sie 1999 zum Mann fürs Grobe bei der SVP wurden.
Ich ging, weil es bei der Walliser CVP keine Konservativen mehr gab. Die Werte der CVP vertrete ich noch immer. Wir müssen sie verteidigen und uns gegen äussere Einflüsse vor allem aus islamischen Kreisen wehren. Wenn wir unsere Werte verleugnen, wird diese Leere ausgefüllt. Mit Gender kann man die Dogmatik des Islams nicht bekämpfen.
25 Minuten Interview – und Sie sind bei Ihrem alten Lieblingsthema. Sie beschworen seit Jahrzehnten die «schleichende Islamisierung». Das neue Buch des deutschen Islamkritikers Sarrazin ist sicher Ihre Bettlektüre.
Nein, ich habe es nicht gelesen. Aber seit sechs Monaten studiere ich sehr intensiv den Sufismus. Ich lese Schriften von Rumi und Bayazid Bastami. Die Texte dieser Mystiker des Islams sind genial!
Oskar Freysinger findet in islamischen Schriften Wahrheiten?
Tatsächlich, ich bin ja selbst auch Mystiker. Dieser Teil des Islam ist mit unseren Werten kompatibel. Leider werden die Sufis von den Islamisten bekämpft.
Die rechtsradikalen Ausschreitungen im deutschen Chemnitz erschütterten Deutschland. Wären Sie eigentlich auch auf die Strasse gegangen «gegen Flüchtlinge»?
Merkels «Wir schaffen das» war und ist der grösste Reinfall. Aber ich bin kein Demonstrant.
Sie haben sich früher oft mit umstrittenen Figuren der Rechtsaussen-Bewegungen Europas getroffen, weil Sie Ihnen «die Schweizer Demokratie erklären wollten», wie Sie sagten. Die AfD ist deshalb Fan der Schweiz. Die hätten einen wie Sie sicher gerne bei sich.
Ich habe mich zurückgezogen. Aber eines will ich klarstellen: Mir wurde Nähe zu falschen Leuten angedichtet, unter anderem zum Front National, den ich immer vermieden habe. Dessen Politik ist mir viel zu zentralistisch und staatsgläubig. Ein Geert Wilders aus den Niederlanden entspricht mir eher.
Auch dank der AfD wurde rechtsextremes Gedankengut in Deutschland wieder salonfähig.
Ach, alles, was rechts der Mitte ist, wird heutzutage als rechtsextrem verunglimpft. Die Nazikeule kommt inflationär.
Mit einem Nazi muss man nicht debattieren, das Wort ist der Todesstoss jeder Diskussion. Aber wieso haben Sie sich nie von solchen Leuten distanziert, wenn Sie kein Nazi sind?
Ich muss mich doch nicht von etwas distanzieren, womit ich nichts zu tun habe.
Sie liessen sich einst vom rechtsextremen «Compact Magazin» zu einer Konferenz nach Berlin einladen.
Na und?! Ich gehe hin und bin für meine Rede verantwortlich. Dafür stehe ich ein. Was ein anderer auf der Bühne sagt, hat er selber zu verantworten.
Was würden Sie tun, wenn an einer solchen Veranstaltung jemand neben Ihnen den Hitlergruss zeigt?
Ich war nie bei der NPD, wo das passiert. Weder beim «Compact Magazin» noch bei Geert Wilders hatte ich den Eindruck, unter Neonazis zu sein.
Nochmals: In Chemnitz marschierten normale Leute mit Neonazis und Holocaustleugnern. Der Hitlergruss wurde toleriert. Finden Sie das o.k.?
Nein, diese Leute sollen endlich mit dem Hitlergruss aufhören. Das Dritte Reich ist vorbei, und es war Scheisse. Mich regt es auch auf, dass es diese Typen immer noch gibt. Ich glaube an den Rechtsstaat und den institutionellen Weg. Diese Leute überschreiten den Rahmen des Rechtsstaats, darum wollte ich nie etwas mit ihnen zu tun haben. Dass nun normale Leute in Chemnitz neben denen marschierten, zeigt, wie frustriert diese Menschen sind.
Sie reden sich jetzt raus. Im Buch können Sie es selbst nicht lassen, sich mit Hitler zu vergleichen. Darin steht: «Ich selber bin ein Böser, ausserdem noch Österreicher wie ... Sie wissen schon.» Was soll das?
Das ist ironisch. Es geht da um einen, der mich fertigmachen wollte. Ich habe vor Bundesgericht gegen ihn gewonnen, weil er mein Bild neben eines von Hitler setzte und darunter schrieb: Einen Österreicher hatten wir schon.» Ich beschreibe es im Buch, weil es sinnbildlich für den Hass gegen mich ist.
Ihre Obsession mit dem Bösen ist trotzdem bemerkenswert. Sie vergleichen sich sogar mit Hannibal Lecter, dem Schlächter aus «Schweigen der Lämmer».
Nun, ich war 20 Jahre lang der Bösewicht vom Dienst. Wenn irgendwer irgendwo einen suchten, der politisch unkorrekte Positionen vertrat, stand ich zur Verfügung. Lassen Sie mich kurz das passende Gedicht rezitieren: «Das Drecksbild war erlogen und erstunken. Und trotzdem war ich es, der es genährt. Lässt man sich willig in die Jauche tunken, bleibt ein Geruch, der nicht verjährt. Das Sein verfiel, ich nährte nur den Schein. ... Am Ende brachte mich das Biest zu Fall.» Nach der Abwahl bin ich abgetaucht, weil ich nicht als Politleiche vorgeführt werden wollte.
Und jetzt, ist der Politiker Freyinger tot?
Ich werde nie mehr für irgendein Amt kandidieren, darum habe ich auch das Vizepräsidium der SVP abgegeben. Vielleicht engagiere ich mich im Abstimmungskampf für die «Fremde Richter»-Initiative. Es gibt Pläne, aber die sind noch nicht ganz reif. Ich war immer ein Schriftsteller, rutschte für zwanzig Jahre in die Politik, und bin jetzt wieder da, wo ich mich nicht gefangen fühle: Bei mir selbst.
Oskar Freysinger (58) wuchs in Sitten auf. Von 1987 bis 2013 lehrte er Literatur und Philologie am Gymnasium in Sitten. 1997 wurde er CVP-Gemeinderat seines Wohnorts Savièse VS. Doch Freysinger verkrachte sich mit der Partei und gründete 1999 die erste SVP-Sektion im Wallis. 2013 schafft es der rechtsaussen stehende Politiker in den Nationalrat. 2013 wurde er Vorsteher des Departements für Bildung und Sicherheit der Walliser Regierung, 2017 wurde er abgewählt. Er ist Vater dreier erwachsener Kinder und eines erwachsenen Pflegekinds. Jetzt hat er die für ihn traumatischen Ereignisse rund um seine Abwahl im Buch «Die dunkle Seite des Lichts» (Brink Haus Verlag) aufgearbeitet.
Oskar Freysinger (58) wuchs in Sitten auf. Von 1987 bis 2013 lehrte er Literatur und Philologie am Gymnasium in Sitten. 1997 wurde er CVP-Gemeinderat seines Wohnorts Savièse VS. Doch Freysinger verkrachte sich mit der Partei und gründete 1999 die erste SVP-Sektion im Wallis. 2013 schafft es der rechtsaussen stehende Politiker in den Nationalrat. 2013 wurde er Vorsteher des Departements für Bildung und Sicherheit der Walliser Regierung, 2017 wurde er abgewählt. Er ist Vater dreier erwachsener Kinder und eines erwachsenen Pflegekinds. Jetzt hat er die für ihn traumatischen Ereignisse rund um seine Abwahl im Buch «Die dunkle Seite des Lichts» (Brink Haus Verlag) aufgearbeitet.