Hier in Derry sind die Wunden des Konflikts noch gut sichtbar: Wandgemälde feiern IRA-Kämpfer, erinnern an die Gefallenen. Im Free-Derry-Museum kann jeder die Geschichte der «Troubles» (Nordirlandkonflikt) von 1969 bis 1998 hautnah erleben. Der Bürgerkrieg kostete 3500 Menschenleben und spaltet die Bewohner der irischen Insel bis heute: Hier die Unionisten, die für den Verbleib in Grossbritannien einstehen – dort die Republikaner, die für eine Vereinigung der Nordprovinz mit Irland streiten.
Dem Museum gleich gegenüber steht ein Monolith mit 13 eingravierten Namen. Der Stein ist das Denkmal für den Bloody Sunday, den 30. Januar 1972 – den Tag, als 13 unbewaffnete Demonstranten von britischen Fallschirmjägern erschossen wurden. Einer von ihnen war der Bruder von Gene Hagarty (70), die heute an der Kasse des Free-Derry-Museums arbeitet. Auf den Brexit angesprochen, sagt sie: «Wir wollen Frieden. Niemand will die Troubles zurück.»
Nordirland hat sich seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 wirtschaftlich erholt. Touristen schlendern durch die Strassen von Londonderry, wie die Stadt von den London-treuen Unionisten genannt wird. Londonderry oder Derry – je nach politischem Standpunkt – war zwischen 1969 bis zum Abschluss des Friedensvertrags Brennpunkt des Nordirlandkonflikts. Mit dem Brexit gerät die wirtschaftliche und politische Stabilität nun ins Wanken.
Als Zöllner jeden kontrollierten
Denn mit dem EU-Austritt Grossbritanniens und dem bisher fehlenden Abkommen dafür droht auf der Insel wieder eine harte Grenze. Beim Referendum vor zwei Jahren stimmte Nordirland mit einer Mehrheit von 55,8 Prozent für den Verbleib in der EU. Mit dem Brexit befürchten jetzt insbesondere die Katholiken in Nordirland eine Rückkehr der Spannungen – oder gar den Ausbruch neuer Unruhen.
Das ursprüngliche Abkommen sieht für Nordirland eine spezielle Zollunion mit der EU vor. Damit sollte eine harte Grenze auf der irischen Insel verhindert werden. Sollte vor dem Austritt Grossbrittaniens aus der EU am 29. März kein Vertrag zustande, kommt der sogenannte Backstop zum Zug.
Die Übergangsmassnahme soll eine harte Grenze auf der Insel verhindern, indem Nordirland teil des EU-Binnenmarktes bliebe.
Doch vor allem dieser Backstop stösst bei Unionisten und Konservativen in England auf Widerstand. Denn mit einem Backstop verliefe die EU-Aussengrenze zwischen Irland und Grossbritannien in der irischen See. Exporte aus England nach Nordirland wären dann nicht mehr so einfach möglich und würde der britischen Wirtschaft schaden.
Das ursprüngliche Abkommen sieht für Nordirland eine spezielle Zollunion mit der EU vor. Damit sollte eine harte Grenze auf der irischen Insel verhindert werden. Sollte vor dem Austritt Grossbrittaniens aus der EU am 29. März kein Vertrag zustande, kommt der sogenannte Backstop zum Zug.
Die Übergangsmassnahme soll eine harte Grenze auf der Insel verhindern, indem Nordirland teil des EU-Binnenmarktes bliebe.
Doch vor allem dieser Backstop stösst bei Unionisten und Konservativen in England auf Widerstand. Denn mit einem Backstop verliefe die EU-Aussengrenze zwischen Irland und Grossbritannien in der irischen See. Exporte aus England nach Nordirland wären dann nicht mehr so einfach möglich und würde der britischen Wirtschaft schaden.
Wie es war, als Schlagbäume den Norden von der Republik Irland trennten? Als Zöllner jeden kontrollierten, der in den Norden wollte? Allean Simmons (81) kann sich noch daran erinnern.
Auf dem kleinen Stück Land, das zu ihrem Häuschen bei Donegal gehört, grasen Schafe. Wer sie im Auto besuchen will, überquert die heute fast unsichtbare Grenze vier Mal. «Es war 1971, als die Brücken zu unserem Haus von den Briten gesprengt wurden», erzählt sie. Um nach Pettigo zu gelangen, das nächste Dorf, musste sie eine Stunde Fahrt in Kauf nehmen. Die Angst kam hinzu: «Eines Nachts drangen bewaffnete, maskierte Männer in unser Haus ein. Sie wollten die Autoschlüssel.» Simmons diskutierte nicht lange und gab ihnen die Schlüssel: «Es waren Männer der IRA, die irgendein Ding durchzogen.»
30'000 Menschen passieren heute jeden Tag die unsichtbare Grenze zwischen der zur EU gehörenden Republik Irland und dem britischen Norden. Bloss eine unscheinbare Verkehrstafel signalisiert, dass man in den Norden fährt: «Welcome to Northern Ireland – speed limits in miles per hour.» Doch geht es nach der Politik in London, könnte es hier bald wieder eine harte Grenze geben.
Noch immer ein Nebeneinander statt Miteinander
Im 500-Seelen-Kaff Pettigo erinnert ein verlassener Grenzposten an die Zeit, als hier noch jedes Fahrzeug kontrolliert wurde. Der Termon River trennt die irische Seite vom Norden. Im Dorfteil High Street wohnen heute noch 63 Menschen. Im irischen Teil des Dorfes stehen Farmer ums Kaminfeuer von Potter’s Bar. Sie kennen nur ein Thema: den Brexit.
«Niemand weiss, wie es weitergehen soll», sagt einer von ihnen. Es gibt Landwirte, die auf beiden Seiten Land besitzen. Mit dem Verlassen Grossbritanniens aus der EU müssten hier wieder Grenzkontrollen eingeführt werden. Bloss, da ist sich Wirtin Noreen Potter sicher: «Sollte hier ein Grenzer auftauchen, würde er kurzerhand erschossen.»
Die Wiederkehr der Grenze bereitet den katholischen Nordiren vor allem aus einem Grund Sorge: Der erst vor 20 Jahren angestossene Friedensprozess ist nicht wirklich weit fortgeschritten. Die protestantischen Unionisten und die katholischen Republikaner, einst verfeindet, leben heute nebeneinanderher statt miteinander. Deshalb sind die Katholiken so entschieden gegen eine Grenze.
Dann ziehen sie lieber in den Süden
«Die Trennung hat den Nordirlandkonflikt verursacht, deshalb müssen wir dagegen kämpfen», sagt Gerry Adams (70), Unterzeichner des Karfreitagsabkommens und Ex-Präsident der pro-irischen Partei Sinn Fein. Politiker wie er kämpfen nun für ein Referendum über den künftigen Status von Nordirland.
Sean McConnel (47) der mit seiner Tochter durch das katholische Viertel Bogside in Derry spaziert, weiss das nur allzu gut. Eine Narbe an seinem Kopf zeugt von der gewaltreichen Zeit: «Wenn die Grenze zurückkommt, fliegt hier alles in die Luft», sagt er. Denn eine Grenze würde die Unionisten der anderen Seite in ihrer Position bestärken. Alte Rechnungen, so glaubt er, würden dann beglichen und ein erneuter Ausbruch der Gewalt unausweichlich. Deshalb ist McConnel sicher: «Falls die Grenze kommt, werden wir unsere Sachen packen und in den Süden ziehen – nach Irland.»