Der oberste Asyl-Beamte Mario Gattiker hat gute Nachrichten
«Gesuche aus Eritrea sind stark rückläufig»

Der oberste Migrationsbeamte der Schweiz, Staatssekretär Mario Gattiker, empfängt BLICK am Hauptsitz des Staatssekretariats für Migration (SEM) in Bern-Wabern. Er ist gut gelaunt. Kein Wunder, denn die Asylzahlen bleiben tief, und die Asylreform ist auf Kurs.
Publiziert: 01.02.2019 um 00:05 Uhr
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Aktualisiert: 10.01.2021 um 19:11 Uhr
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«Die Schweiz ist immer weniger Zielland für Asylsuchende, die kein Anrecht auf den Schutz unseres Landes haben.» So erklärt Mario Gattiker, Chef des Staatssekretariats für Migration, den Rückgang bei den Asylgesuchen.
Foto: Peter Mosimann

BLICK: Herr Gattiker, die Asylzahlen waren letztes Jahr tiefer als in den Vorjahren. Wie ist die Bilanz für 2018?
Mario
Gattiker: Es wurden 15'255 Asylgesuche gestellt. Das sind gut 15 Prozent weniger als im Vorjahr. Innenpolitisch hat sich die Asylsituation also weiter beruhigt.

Das ist der tiefste Wert seit elf Jahren! Wieso dieser Rückgang?
Die Schweiz ist immer weniger Zielland für Asylsuchende, die kein Anrecht auf den Schutz unseres Landes haben. Vor allem deshalb, weil wir sehr schnell über ihre Asylgesuche entscheiden und sie die Schweiz rasch wieder verlassen müssen. Zudem kommen viel weniger Flüchtlinge übers Mittelmeer nach Italien. Es gibt eine Ausweichbewegung über Marokko und Spanien – diese Asylsuchenden reisen nicht in die Schweiz.

Unser Land profitiert also davon, dass die Flüchtlinge im Mittelmeer nicht mehr gerettet werden – und deshalb viele auf die Spanien-Route ausweichen?
Das Sterben im Mittelmeer war gestern inakzeptabel und ist es auch heute. Deshalb muss man in den Herkunftsländern viel mehr tun, damit sich die Menschen gar nicht erst auf den Weg machen. An den Küsten wiederum sind Massnahmen nötig, damit die Schlepper gar keine Boote absetzen können.

Malta und Italien verlangen, dass es endlich einen europäischen Verteilschlüssel für Asylbewerber gibt, andere Staaten wehren sich dagegen. Eine Lösung zeichnet sich nicht ab.
Die Reform des Dublin-Systems ist leider blockiert. Dabei müssten Aussengrenzen-Staaten wie Italien, die sehr grossem Migrationsdruck ausgesetzt sind, dringend entlastet werden.

Bei uns sinken die Asylgesuchszahlen zwar, dafür ist die Anerkennungsquote höher. Die Schweiz nimmt im europäischen Vergleich weiter sehr viele Menschen auf.
Die Schweiz bleibt ein Aufnahmestaat für wirklich Verfolgte – und das will sie auch sein. Wer aber keinen Anspruch auf unseren Schutz hat, wird konsequent weggewiesen. Entsprechend behandeln wir nur noch wenige Gesuche von Asylsuchenden aus Staaten, in denen kein Krieg herrscht und keine Verfolgung droht – unsere Massnahmen greifen also.

Die meisten Asylgesuche stammen von Eritreern, Syrern und Afghanen – von Personen aus Krisenregionen also.
Ja. Und die Gesuche aus Eritrea sind stark rückläufig. Von den rund 2825 eritreischen Asylgesuchen sind nur 492 Personen in die Schweiz geflüchtet. Alle anderen waren Geburten und Familienzusammenführungen.

Dennoch bleibt Eritrea das grosse Politikum: Ihr Staatssekretariat hat 2018 entschieden, 3400 Dossiers von vorläufig aufgenommenen Eritreern zu prüfen, ob eine Rückkehr in ihre Heimat möglich ist. Ziehen Sie eine Zwischenbilanz!
Diese Arbeit wird Mitte Jahr abgeschlossen. Klar ist schon heute: Wir werden die vorläufige Aufnahme wie bei allen Überprüfungen nur in wenigen Fällen aufheben können. Die Quote dürfte unter 10 Prozent zu liegen kommen.

Was? Nur so wenige?
Wir haben uns hier an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu halten. Bei verletzlichen Personen oder solchen, die schon lange in der Schweiz sind und sich gut integriert haben, können wir die vorläufige Aufnahme meistens nicht aufheben.

Zwangsweise zurückschaffen kann die Schweiz die Eritreer nicht. Macht die Aufhebung überhaupt Sinn? Die Eritreer landen einfach bei den Kantonen und in der Nothilfe.
Das ist keine ideale Situation, das ist mir bewusst. Aber eines ist klar: Diese Menschen können und müssen in ihre Heimat zurückkehren. Deshalb setzen wir alles daran, die Zusammenarbeit mit den eritreischen Behörden zu verbessern, damit neben den freiwilligen auch zwangsweise Rückführungen möglich werden.

Kantone beklagen die steigenden Ausgaben für Nothilfe abgewiesener Asylbewerber.
Vorübergehend können diese Ausgaben steigen. Die Schweiz hat aber eine deutlich höhere Rückkehrquote als die EU-Staaten. Wir führen weggewiesene Asylsuchende sehr konsequent in ihre Herkunftsländer oder in andere europäische Staaten zurück. So konnten wir die Zahl von Personen, die noch aus der Schweiz ausreisen müssen, seit 2012 halbieren. Auch deshalb hat die Gesamtzahl der abgewiesenen Asylsuchenden, die Nothilfe beziehen, nicht zu-, sondern abgenommen.

2015 war die grosse Flüchtlingskrise, und die SVP profitierte davon bei den Eidgenössischen Wahlen. Dieses Jahr stehen erneut Wahlen an. Ist eine neuerliche Flüchtlingskrise ausgeschlossen?
Wir gehen davon aus, dass 2019 etwa gleich sein wird wie 2018, und rechnen deshalb mit rund 15'500 neuen Asylgesuchen. Aber die Situation ist nach wie vor volatil, der internationale Migrationsdruck bleibt hoch. In der Türkei leben über 3 Millionen Syrer. Die Asylgesuchzahlen können rasch wieder ansteigen.

Mario Gattiker persönlich

Der vierfache Familienvater Mario Gattiker ist Jurist. Er war einst für das Hilfswerk Caritas tätig. Im Bundesamt für Migration (BFM), dem heutigen Staatssekretariat für Migration (SEM), leitete er ab 2005 den Direktionsbereich Arbeit, Integration und Bürgerrecht. Am 1. Januar 2012 wurde der heute 62-Jährige BFM-Direktor, seit dem 1. Januar 2015 ist er Staatssekretär im SEM.

Der vierfache Familienvater Mario Gattiker ist Jurist. Er war einst für das Hilfswerk Caritas tätig. Im Bundesamt für Migration (BFM), dem heutigen Staatssekretariat für Migration (SEM), leitete er ab 2005 den Direktionsbereich Arbeit, Integration und Bürgerrecht. Am 1. Januar 2012 wurde der heute 62-Jährige BFM-Direktor, seit dem 1. Januar 2015 ist er Staatssekretär im SEM.

Augenfällig ist, dass die Schweiz jetzt viele Dublin-Fälle zurücknehmen muss.
Wir haben auch 2018 noch viermal mehr Dublin-Fälle in andere Länder überstellt als von dort übernommen. Aber weil Frankreich und vor allem Deutschland ihre Dublin-Fälle heute viel konsequenter und rascher behandeln als früher, steigen die Anfragen an die Schweiz aus diesen Ländern stark an.

In einem Monat tritt die Asylreform mit den beschleunigten Verfahren in Kraft. Sind Sie auf Kurs?
Ja, das sind wir. Die rechtlichen Grundlagen und die Infrastrukturen sind vorhanden. Es war eine grosse Umstellung: Rund 300 Kolleginnen und Kollegen haben einen neuen Chef oder eine neue Chefin bekommen, und 120 Mitarbeiter wechseln den Arbeitsort. Diese Woche werden die neuen Verfahren in allen Asylregionen getestet. Ich kann Kinderkrankheiten in der ersten Zeit aber nicht ausschliessen.

Wir hören aber, Sie hätten grosse IT-Probleme.
Es gibt grosse Umstellungen in diesem Bereich. In der ersten Phase arbeiten wir parallel mit zwei Systemen. Die IT wird am 1. März bereit sein für die Durchführung der beschleunigten Verfahren, aber wir müssen danach noch optimieren.

Und die geplanten 5000 Betten stehen in den Bundesasylzentren bereit?
Wir haben derzeit 4000 Unterbringungsplätze und könnten bei Bedarf um weitere 400 aufstocken. An gewissen Orten arbeiten wir noch mit Übergangslösungen.

Im Kanton Schwyz zum Beispiel.
In der Zentralschweiz brauchen wir ab 2022 eine Anschlusslösung für das Zentrum auf dem Glaubenberg, ja. Wenn wir diese nicht haben, müssten wir wieder mehr Asylsuchende auf die Kantone verteilen – und das wollen weder der Bund noch die Kantone.

Der Kanton Schwyz wehrt sich aber gegen ein Bundeszentrum. Jetzt wollen Sie den Kanton zwingen, Betten zur Verfügung zu stellen, nicht?
Die Zentralschweizer Kantone können immer noch Alternativen vorschlagen. Auch die neue Departementschefin Karin Keller-Sutter ist sicher offen dafür, andere Standorte zu prüfen, sofern diese wirtschaftlich betrieben werden können und nicht zu abgelegen sind. Der Bund hat in der Asylregion Tessin und Zentralschweiz 40 Standorte abgeklärt und über eine halbe Million Franken in Machbarkeitsstudien investiert. Wir versuchen, wenn immer möglich einvernehmliche Lösungen zu finden.

Differenzen hat man auch mit Zürich. Nämlich beim Hassprediger der Winterthurer An’Nur-Moschee. SP-Regierungsrat Mario Fehr wirft dem SEM vor, sich zu wenig für die Ausschaffung des Äthiopiers einzusetzen.
Der Kanton rennt hier offene Türen ein – wir haben das gleiche Ziel. Aber wir brauchen die Zustimmung von Äthiopien. Hier sind wir dank des neuen Abkommens auf einem guten Weg. Der Wegweisungsvollzug und insbesondere Fälle wie diese haben für mich eine sehr hohe Priorität.

Auch Kosovaren sollen zurück. 158'000 Franken hat das SEM für Rückreise-Werbefilme investiert. Warum will das SEM gut integrierte Kosovaren zur Ausreise bewegen?
Das sind keine Werbefilme für eine Rückkehr, überhaupt nicht. Es hat sich aber schon bei den Italienern und Spaniern gezeigt, dass die einen hierbleiben, andere jedoch in die Heimat zurückkehren. Hier geht es darum, ein Projekt zu unterstützen, das die albanisch-sprachige Diaspora in der Schweiz über alle Aspekte der Integration und über Möglichkeiten wirtschaftlicher Betätigung im Heimatstaat informiert.

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Seit Anfang Jahr haben Sie mit Karin Keller-Sutter eine neue Chefin. Als St. Galler Asyldirektorin hat sie sich einen Namen als «eiserne Lady» gemacht. Was ändert sich für Ihr Staatssekretariat unter FDP- stattSP-Führung?
Frau Keller-Sutter kennt unsere Themen aus ihrer Zeit als Regierungsrätin und Präsidentin der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren sehr gut. Die Zusammenarbeit ist gut gestartet, und wir werden sie nach allen Kräften unterstützen.

Sie sind 62 Jahre alt und haben unter Bundesräten aller Parteien gearbeitet – unter Ruth Metzler (CVP), Christoph Blocher (SVP), Eveline Widmer-Schlumpf (BDP), Simonetta Sommaruga (SP) und jetzt Karin Keller-Sutter (FDP). Jetzt könnten Sie doch in Pension gehen.
Daran denke ich nicht. Das SEM lässt einem keine Minute Zeit, die Hände in den Schoss zu legen. Wir haben tagtäglich grosse Herausforderungen zu bewältigen. Ich gehe jeden Tag mit viel Energie zur Arbeit.

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