Die FDP sucht einen neuen Bundesrat. «Zu 95 Prozent wird ein Tessiner auf dem Ticket stehen und zu 95 Prozent wird der Ignazio Cassis heissen», sagt ein Mitglied des Parteipräsidiums. Tatsächlich hat der 56-jährige Mediziner aus Montagnola bei Lugano derzeit die besten Chancen, Didier Burkhalter zu beerben.
Was für einen Bundesrat Cassis spricht:
Seine Erfahrung: Cassis ist seit 2007 Nationalrat und damit ein alter Hase im Parlament. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil, tendieren Parlamentarier doch dazu, einen der ihren zu wählen. Er hat sich früh einen Namen als kompetenter Gesundheitspolitiker gemacht. Seit Beginn ist er Mitglied in der Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK), derzeit als Präsident. Und neben CVP-Ständerat Filippo Lombardi ist er der bekannteste Tessiner unter der Bundeshauskuppel.
Seine Vielsprachigkeit: Dieser Mann ist perfekt dreisprachig – Cassis kann fliessend vom Italienischen ins Französische und Deutsche wechseln und muss dennoch nie nach einem Wort suchen. Selbst auf seiner Homepage präsentiert sich Cassis in den drei grossen Landessprachen. Bei diesem Sprachtalent würde es nicht erstaunen, wenn er auch bald Rätoromanisch spräche.
Sein Charakter: Mit Cassis zu reden, ist ein Vergnügen. Er ist meistens erreichbar und immer charmant. Sein freundliches Wesen verlässt ihn nicht einmal, wenn er wie in diesen Tagen von allen Seiten bestürmt wird. Ratskollegen schätzen ihn als gewinnenden Typ, als umgänglich und kommunikativ. Auch wenn er – vor allem seitdem er die FDP-Fraktion anführt – deutlich nach rechts gerückt ist, wollen auch die Linken nicht den Stab über ihn brechen.
Doch ein Spaziergang würde die Bundesratskandidatur auch für Cassis nicht.
Was gegen einen Bundesrat Cassis spricht:
Der Filz: Wenige Parlamentarier haben so viele Hüte auf wie Ignazio Cassis. Früher Vizepräsident der Ärztevereinigung FMH, ist er heute Präsident des Krankenkassenverbandes Curafutura – und kassiert dafür 180'000 Franken im Jahr. Im Tessin blieb das nicht ohne Folgen: Er musste den Verwaltungsrat der öffentlichen Spitäler verlassen und 2015 sogar um seine Wiederwahl in den Nationalrat bangen. Doch Cassis vertritt nicht nur die Kassen, sondern auch gegenteilige Interessen. Beispielsweise den Dachverband der Alters- und Pflegeheime und die Stiftung Radix, die sich im Auftrag von Bund und Kantonen für Gesundheitsförderung einsetzt. Das führt zu Kritik, zumal als Fraktionschef und SGK-Präsident Hüte hinzukamen, die sich nur schlecht mit Lobby-Mandaten vertragen.
Sein Rollenverständnis: Die vielen Hüte beeinträchtigen Cassis. Das zeigte sich besonders deutlich bei der Rentenreform. Als Präsident der vorberatenden Kommission hätte er moderierend wirken müssen zwischen Mitte-links und rechts. Er tat es aber nicht, wie Kommissionsmitglieder bestätigen. Er habe stattdessen vor allem darauf geschaut, die FDP-Mitglieder stramm zu führen. Zum Eklat kam es in der Einigungskonferenz. Statt wie üblich neben dem Präsidenten der Schwesterkommission zu sitzen, nahm Cassis inmitten seiner Leute Platz. Und versuchte, das Paket zum Abschuss zu bringen.
Sein Führungsstil: Sein moderates Wesen zeigt sich auch darin, wie Cassis die FDP-Fraktion führt. Er ist das Gegenteil seiner Vorgängerin, der eisernen Lady Gabi Huber. Vielen freigeistigen Liberalen gefällt das Laissez-faire natürlich, doch trägt es ihm auch den Vorwurf ein, den Laden nicht im Griff zu haben. Was sogar zu Abstimmungspannen führte. Einige halten Cassis für zu harmoniebedürftig und zu sensibel für die harten Kämpfe im Bundesrat und das Führen eines Departements.